Mit „Would I Lie to You“ landete Eddie Chacon 1992 einen Welthit. Heute teilt der Sänger seine Lebenserfahrungen mit einem jungen Publikum. Am 3. November auch in Köln, auf dem Week-End Fest im Stadtgarten.
Konzert in KölnEddie Chacon war einmal ein Weltstar – heute ist er glücklich
Eddie Chacon erinnert sich nur zu gut an den Tag, als die Musik starb. Als er in seinem Aufnahmestudio in L.A. den Strom abstellte und beschloss: Das war’s. Für eine kurze Zeit im Winter 1992 war er ein Star gewesen. Jetzt schien niemand mehr übrig, der ihm noch zuhören wollte. „Es war niederschmetternd. Musik war meine erste Liebe gewesen. Seit meiner Kindheit wollte ich nichts anderes machen“, erzählt der 60-Jährige im Zoom-Gespräch. „Aber du brauchst Menschen, die sich für dich einsetzen, die dir helfen, deine Musik zu verbreiten und ich hatte einen Punkt in meiner Karriere erreicht, wo diese Leute in Rente gingen.“
Seine erste Band hatte Eddie Chacon bereits mit 12 Jahren gegründet, im nordkalifornischen Castro Valley. Fry By Nite hieß die und seine beiden Mitstreiter hießen Mike Bordin und Cliff Burton. Bordin sollte später Schlagzeug bei Faith No More spielen, Burton war zu seinem Unfalltod im Jahr 1986 der Bassist von Metallica. Eddie Chacon aber ging nach Los Angeles und verdingte sich als Songschreiber für CBS Records.
Sein Glück änderte sich, als er die Küsten wechselte. Kurz nachdem der Sohn mexikanischer Einwanderer nach New York gezogen war, lernte er in der U-Bahn-Linie C den ausgebildeten Jazzsänger Charles Pettigrew kennen. Der hielt Marvin Gayes Schallplatte „Trouble Man“ im Arm. Die jungen Männer unterhielten sich über ihre Liebe zur Soulmusik – um kurz darauf festzustellen, dass sie beide beim selben A&R-Mann von Capitol unter Vertrag standen. Zufall? Schicksal: Zwei Jahre später stand Charles & Eddies Single „Would I Lie to You“ weltweit an der Spitze der Charts. Ein unwiderstehlich schmachtendes Soul-Stück, das Ihnen jetzt sicher im Kopf herumspukt.
„Wenn du noch jung und unsicher bist, hast du noch viel zu beweisen“, sagt Chacon. „Ich war ehrgeizig und auch ziemlich geschickt darin, mich mit großen Namen im Musikgeschäft zu vernetzen.“ Dass dabei am Ende ein Nummer-Eins-Hit herauskommen würde, sei da nur folgerichtig gewesen. Was als nächstes passierte, nämlich nicht mehr allzu viel, leider auch: „Ich wusste damals schon, dass 99 Prozent aller Musiker niemals einen zweiten Hit haben werden.“
Charles Pettigrew starb mit 37 Jahren an Krebs
Bitter sei er deswegen nie gewesen: „Das war meine Startrampe. Die hat mir ein gutes Leben ermöglicht und mir eine sagenhaft schöne Ehefrau geschenkt.“ Seine Stimme klingt tiefenentspannt, unter seinen Sätzen scheint ein permanentes Lächeln zu liegen. Nie habe er jemand anderem die Schuld für etwas gegeben, das ihm widerfahren war, sagt Chacon. Nicht, als sein Solodebüt für Columbia ins Archiv wanderte – „Ich war erst 22 Jahre alt und einfach noch nicht reif fürs Hauptprogramm“ – und auch nicht, als „Chocolate Milk“, das zweite Charles & Eddie-Album, floppte.
„Ich kenne keinen anderen Weg, sein Leben zu meistern, als die volle Verantwortung zu übernehmen“, erklärt Chacon heute. Aber verletzt war doch, als das Label sie fallen ließ und aus einer kurzen Auszeit Jahre wurden. Als sich Charles wieder bei ihm meldete, als sie wieder begannen, musikalische Ideen auszutauschen, bracht der Kontakt unvermittelt ab: Charles Pettigrew war im Alter von 37 Jahren an Krebs gestorben, von seiner Krankheit hatte er nichts erzählt.
Eddie Chacon machte weiter, aber er fühlte sich verloren – und gab auf. „Das war die dunkelste Zeit meines Lebens. Doch dann schenkte mir einer meiner ältesten Freunde, wir sind wie Brüder, eine Profi-Kamera mit einem Post-it dran: Ich glaube, das ist etwas, worin du gut sein wirst.“ War er. Es half, sagt Chacon, dass er zuerst keine Ahnung hatte, wie prestigereich die Modemagazine waren, für die er bald schon fotografierte. „Ich war nicht nervös oder aufgeregt, ich habe einfach mitgemacht.“ Zuletzt als Kreativdirektor für das renommierte „Autre Magazine“.
Dann arrangierte ein gemeinsamer Freund ein Treffen mit dem Produzenten und Komponisten John Carroll Kirby. Der hatte bereits Tracks für Beyoncés Schwester Solange produziert, hatte mit Mark Ronson, Frank Ocean und Harry Styles zusammen gearbeitet. Was sollte er mit einem 20 Jahre älterem Auslaufmodell anfangen? Doch das Stelldichein auf einem Parkplatz in Los Angeles erwies sich als himmlische Kombination. „John ist wie mein älterer Bruder, auch wenn er jünger ist. Ich halte ihn für ein Genie.“
Chacons größte Angst war es, als Oldie-Act zu enden. Deshalb hatte er ja aufgegeben. „Das Interessanteste am Musikmachen ist die Entdeckungsreise, auf die du dich begibst. Etwas auszugraben, das du selbst noch nicht verstehst, Licht in die Dunkelheit zu bringen, böse Geister auszutreiben.“ John Caroll Kirby schwärmte zwar für alte Analog-ynthesizer, aber was er darauf spielte, hatte mit Retro-Soul nichts zu tun. Im Studio schuf Kirby einen safe space, in dem Chacon ohne jeden Gedanken an die kommerzielle Verwertung aus seinen Lebenserfahrungen schöpfen konnte. Diese Musik hätte er ohne vorherige Enttäuschungen und Umwege gar nicht machen können. „Ich wollte etwas zum Abschluss bringen, auf unverwässerte und ehrliche Art.“
Obschon er darauf in alten Wunden wühlte, nannte er das fertige Album „Pleasure, Joy and Happiness“. Es erschien im ersten Pandemie-Sommer und wirkte auf etliche Hörer wie eine akustische Heilpflanze. Chacon hat seine inneren Monologe darauf auf wenige, einprägsame Mantras verkürzt: „Mit dem Alter wirst du zu deinem eigenen Lektor.“ Es brachte ihn ein Publikum zurück, ein erstaunlich junges übrigens, 18 bis 34 schätzt seine Plattenfirma, das renommierte Label Stones Throw. „Vor 45 Jahren habe ich das erste Mal vor Menschen gesungen“, sagt der Sänger. Jetzt sind sie wieder da und Chacon wacht jeden Morgen, wie er sagt, „mit einem großen Gefühl der Zielstrebigkeit“ auf.
Auf dem Kölner Week-End Fest wird Chacon am Freitag, dem 3. November, sein neues Album „Sundown“ vorstelle, von dem er weite Teile mit Kirby in einer sonnendurchfluteten Villa auf Ibiza geschrieben hat, die ihnen ein Fan von „Pleasure, Joy and Happiness“ zur Verfügung gestellt hatte: „Wir fühlten uns wie Babys, gekuschelt und außer Kontrolle. Die Magie war intensiv.“ Eddie Chacon lacht. Seine dunkelsten Tage liegen lange hinter ihm. Die Musik lebt wieder.
Week-End Fest XII vom 2. bis zum 4. November im Kölner Stadtarten. 3-Tages-Ticket ab 69 Euro, Tagestickets zwischen 19 (2.11.) und 29 (3., 4. 11.) Euro. Eddie Chacon tritt am 3. November in Stadtgarten auf.