Die nicht-binäre Person trat in der ausverkauften Lanxess-Arena auf – und sang die Geschichte der eigenen Befreiung.
Konzert in KölnSam Smith lässt im Lederschlüpfer die Pobacken wackeln
Eine schwarze Königin in Goldlamé stöckelt zu den Klängen von Tiny Tims „Tiptoe Through the Tulips“ über die Rampe, greift einen Zipfel des großen Lakens, das den hügeligen Aufbau vor neugierigen Augen verborgen hat – und legt die gigantische goldene Statue einer schlafenden Göttin frei. Lasziv bettet sie sich über ganze Breite der Bühne, wie eine Rokoko-Odaliske von Boucher, oder Shirley Eaton in „Goldfinger“. Entlang ihrer Kehrseite schlängelt sich eine Treppe.
Sam Smith aber nimmt den Bühnenaufzug. Fährt, unter gewaltig anschwellenden „Ohohos“ seines dreiköpfigen Quasi-Gospelchores und dem Jubel der bis unters Dach ausverkauften Lanxess-Arena, aus der Schulterpartie der Liegenden heraus. „Ich schätze, es ist wahr/ Ich bin nicht gut bei einem One-Night-Stand“, gesteht die nicht-binäre Person einem potenziellen Sexpartner mit singulär einschmeichelnder Stimme –ein Seufzer des einsamsten Engels im Himmelsrund – und fragt dann, ob er stattdessen nicht einfach ihre Hand halten könne, denn Liebe brauche sie schon.
Die Single „Stay With Me“ katapultierte Sam Smith 2014 in Adele-Sphären, Liebesweh und scheue Hingabe wurden zu Markenzeichen. Heute markieren sie nur den Ausgangspunkt für eine Emanzipationsbewegung, hin zu einer Identität, mit der es sich lieben und leben lässt. Smith ist bereits mächtig aufgeglamt, trägt ein goldenes Bustier zur goldenen Hose, abgerundet von einer goldenen Kapitänsmütze und ebensolchen Plateauschuhen.
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Sam Smith erklärt die Lanxess-Arena zum „safe space“
In dieser Show gehe es um Freiheit, verkündet Smith und erklärt gleich die gesamte Arena zum „safe space“. Wer möchte, könne sich gerne seiner Kleider entledigen. Tut natürlich niemand, trotz des behaupteten Exzesses – wir kommen noch dazu – bleibt alles britisch-wohlanständig.
Das erste Drittel des Konzerts ist der Liebe gewidmet, Sam-Smith-Style, mit hohen Sehnsucht-Anteilen und mehr Zögern als Erfüllung: „Ich werde dir nie zu nahe kommen/ Für den Fall, dass du gehst und mich im Dreck liegen lässt“, klagt Smith zur akustischen Gitarre in „Too Good at Goodbyes“, bildet dazu mit dem Background-Chor eine kleine Selbsthilfegruppe.
„Ich bin nicht perfekt, aber ich bin es wert“, singt Smith, auf der Wange der Göttin sitzend, im Song „Perfect“. Der stammt aus dem aktuellen Album „Gloria“, auf dem sich Smith zum ersten Mal als der Liebe wert beschreibt: „Ich trage meine Schwächen wie Schmuck.“
Das zweite Drittel des Abends ist der Schönheit gewidmet: Smith erscheint in einem violetten Abendkleid, das ein wenig wirkt, als wäre es in einem Kostümwettbewerb in „RuPaul’s Drag Race“ eilig zusammengenäht worden. Über dem Kopf prangt ein weißes Banner, „Queer“ steht dort in eckiger Schreibschrift stolz zu lesen. Smiths Coverversion von Desr’ees 1996er-Hit „Kissing You“ (aus Baz Luhrmans „Romeo und Julia“-Soundtrack) ist bereits die personifizierte Schönheit. „Lay Me Down“, im Duett mit einer der stimmgewaltigeren Backgroundsängerinnen ist aber auch sehr schön, erinnert, auf völlig unpeinliche Weise, an die Superstar-Wettgesänge der 1980er, „Islands in the Stream“ und so.
Aber irgendwann hat man sich am süßen Balladenstoff überfressen und ist dann umso dankbarer, als ein Tänzer, der sich gerade noch wehmütig an die Schulter der Odaliske geschmiegt hat, diese plötzlich im Rhythmus der Uptempo-Nummer „Gimme“, man kann es nicht anders sagen, bumst. Der Ausflug in die Disco – eine Dragqueen mit Oberlippenbart befeuert die Feierlichkeiten, Smith wird eine Muppet-artige Flauschrobe umgelegt – kulminiert im unverwüstlichen Disclosure-Hit „Latch“, in dem man Smiths Stimme 2012 zum ersten Mal begegnete. Mary J. Blige, die Schmerzenskönigin des R’n’B, dachte damals, hier singe eine schwarze House-Diva.
Schließlich erklingt Donna Summers „I Feel Love“ vom Band, Sam Smith räkelt sich im Kreise der Tänzer, entledigt sich seines Hemdes. Es ist ein anrührender Moment und dass der finale Part der Show mit „Sex“ übertitelt wird, konnte man sich schon denken. Smith erscheint jetzt unter einem Bettlaken mit funkelnder Dornenkrone, wiederholt das Mantra aus Madonnas „Human Nature“: „Express yourself/ Don’t repress yourself“ – und diesmal erwartet uns keine Göttin als das Laken fällt, sondern eine genderqueere Person im Lederschlüpfer. Die freigelegten Pobacken lässt Smith in Großaufnahme wackeln. Huch!
Das kann nur zum eindeutig-zweideutigen Höhepunkt der Show führen: Smiths Nummer-Eins-Hit „Unholy“, eine pumpende Club-Hymne an die Freuden der Perversion. Kim Petras, die in Köln geborene trans Sängerin, mit der Smith hier im Duett singt, erscheint leider nur im Video. Dafür hat sich Smith aber als kleiner, geiler Teufel mit Hörnern am Zylinder und Plastikheugabel verkleidet, wie man es aus dem Video kennt. Flammen züngeln auf der goldenen Göttin. Die Arena flippt aus, Sam Smith streckt die Arme im Triumph, ein verletzlicher Engel, der die Zurüstungen der Sünde entdeckt hat.