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Interview

Was ist mit der Welt passiert?
Scorpions-Sänger Klaus Meine wartet auf einen neuen Wind of Change

Lesezeit 8 Minuten
Scorpions-Sänger trägt Sonnenbrille, Leder-Käppi und -jacke auf der Bühne der Wembley-Arena in London. In der rechten Hand hält er mehrere Drum-Sticks.

Klaus Meine während des Scorpions-Konzerts in der Londoner Wembley-Arena.

Im Gespräch wundert sich Klaus Meine, was bloß mit der Welt passiert ist. Das geplante Konzert der Scorpions am 18. September in der Lanxess-Arena fällt aus.

Hinweis der Redaktion: Zu dem Zeitpunkt, als dieses Interview geführt wurde, war noch nicht bekannt, dass das Konzert der Scorpions in Köln abgesagt werden würde. Hier erfahren Sie mehr.

Klaus Meine, im Booklet zum Scorpions-Boxset „Wind of Change“ haben Sie geschrieben: „Unsere Väter kamen mit Panzern, wir kamen mit Gitarren.“ 1989 schien sich das Freiheitsversprechen des Rock’n’Rolls erfüllt zu haben. Wie sehen sie das 35 Jahre später?

Klaus Meine: Man reibt sich die Augen und fragt sich, was ist mit der Welt passiert? 1989, 1990 schien alles in die richtige Richtung zu laufen. Wenn ich daran zurückdenke, was für wunderbare Erlebnisse wir hatten! Wir waren wie Pioniere unterwegs, haben die Tür nach Osten ganz weit aufgemacht. Wir haben auf dem Moscow Music Peace Festival gespielt, haben da so viel positive Gefühle eingefangen, die dann schließlich die Inspiration für „Wind of Change“ waren. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine war es dann unmöglich, den Song in der Originalversion zu performen. Ich habe den Text geändert und daraus eine Solidaritätsbekundung für die Ukraine gemacht.

Mittlerweile ist aus „Now listen to my heart/ It says Ukrainia“ allerdings „Now listen to my heart/ It still believes in love“ geworden, warum?

Weil das, was gerade im Nahen Osten passiert, uns sehr bewegt. Egal wo in der Welt wir spielen, der Song wird als Friedenshymne wahrgenommen. Die neue Fassung soll sagen: Auch wenn die Welt so ist, wie wir sie jetzt erleben, dürfen wir nicht den Glauben an eine bessere Zukunft verlieren. Wir warten auf einen neuen Wind of Change und hoffen, dass der Wind sich dreht. Deswegen hat der Song weiterhin im Rahmen unserer Shows einen besonderen Platz. Denn wir sehen natürlich auch, wie emotional er von den Fans aufgenommen wird. Da wird so manche Träne vor der Bühne vergossen. Wir versuchen mit unserer Musik vor allem positive Signale zu senden. Wir wollen das Publikum für 90 Minuten oder mehr aus dieser brutalen Realität rausholen, wollen es in unsere Welt der Musik mitnehmen.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine war es dann unmöglich, 'Wind of Change' in der Originalversion zu performen.
Klaus Meine

Aber Sie singen längst nicht mehr nur von Sex & Drugs & Rock’n’Roll. Im Song „Peacemaker“ auf ihrem aktuellen Album „Rock Believer“ mahnen Sie „If we don’t change, we’re gonna crash“.

Das ist ein schmaler Grat, auf dem sich eine doch weitestgehend unpolitische Band wie die Scorpions bewegt. Wir versuchen, unsere Friedensbotschaft rüberzubringen, ohne hochpolitisch zu sein. „Wind of Change“ wird voller Leidenschaft mitgesungen, egal wo wir spielen. Wir sind eine der wenigen Bands, die wirklich überall spielen, natürlich auch im Nahen Osten, sei es in Tel Aviv oder auch in Beirut. Wir haben erlebt, wie unsere Musik die Menschen, egal wo, friedlich verbindet. Leider trägt diese Euphorie nicht lange über die Konzerte hinaus.

Weil Musik leider doch nicht die Welt verändern kann?

Wir Musiker erleben die Welt manchmal wie durch eine rosarote Brille. Wir waren gerade in zum ersten Mal in Abu Dhabi und in Bahrain. In Istanbul mussten wir noch ein Zusatzkonzert geben. All diese Stationen waren faszinierend und die Fans waren großartig.

Vielleicht ist ja gerade das ein politischer Akt, dass die Scorpions in fast jedem Land willkommen sind.

Ja, irgendwie sind wir schon so eine Art musikalische Botschafter.

Selbst dort, wo sie nicht spielen konnten, waren die Scorpions ein Einfluss. Im Ostblock wurden Ihre Alben als raubkopierte Tonbänder verbreitet. Die Comic-Autorin und Regisseurin Marjane Satrapi erzählte mir, dass es für sie als Teenager in Teheran das Größte war, eine Scorpions-Kassette auf dem Schwarzmarkt zu ergattern.

Ich weiß, dass wir im Iran sehr populär sind. Als wir jetzt in Istanbul gespielt haben, waren da nicht nur viele russische Fans, sondern auch Fans aus dem Iran. Vor ein paar Jahren war ich im Rahmen eines Medizinerkongresses in Teheran. Da war ich überrascht, wie viele junge Leute auf mich zukamen, das hat mich sehr berührt.

Die Scorpions feiern kommendes Jahr ihr 60. Sie selbst sind seit 55 Jahren dabei. Blicken Sie als Band immer nur nach vorne – nächste Tour, nächster Studiotermin –, oder schauen Sie auch manchmal zurück und taumeln vor so viel eigener Geschichte?

Gerade wenn wir viele Interviews geben, schauen wir auch mal wieder zurück und stellen fest, dass es doch viele Höhepunkte gab. Aber auch Zeiten, in denen wir durch ein tiefes Tal wandern mussten.

Aber auch Zeiten, in denen wir durch ein tiefes Tal wandern mussten.
Klaus Meine

Was war das Tiefste?

Das war in den 1990ern, als Alternative Music die Welt dominiert hat. Anfang der Nullerjahre hat sich das dann wieder geändert. Was einfach gezeigt hat, dass du wieder aufstehen musst, auch wenn du schon fast am Boden liegst. Jede neue Generation entdeckt dieses Genre für sich wieder. Das sehen wir auch vor der Bühne: da sind so viele junge Rock-Believer und haben mit uns ihren Spaß.

Weil Sie den originalen Stoff haben und immer noch da sind.

Ja, ich denke, es kann nur an den Songs liegen, die sich über viele Jahre zu Klassikern entwickelt haben und die heute in Filmen oder anderen Projekten genutzt werden. Wenn ein Stück wie „Rock You Like a Hurricane“ auf einmal in der Netflix-Serie „Stranger Things“ auftaucht, ist das wie eine Brücke zur jungen Generation. Auch das Internet ist ein großer Verbündeter: Junge Leute schauen sich auf Youtube unsere Konzerte an, fahren mit ihren Freunden hin, wenn wir in ihre Stadt oder ihr Land kommen, und feiern eine geile Rockparty. Wir haben eine tolle Produktion, keine Frage, aber manchmal ist alles, was du auf der Bühne brauchst, um die Fans ins Herz zu treffen, ein Lächeln im Gesicht.

In Ihrem Song „Shoot for Your Heart“ singen Sie, „can’t find the door to say goodbye“. Die Scorpions haben bereits vor einigen Jahren ihre Abschiedstournee gegeben – und dann doch nicht aufgehört. Suchen Sie noch nach der Ausgangstür?

Ne, ganz bestimmt nicht! Aber wir wissen, dass diese Straße nicht endlos ist. Wir haben sehr rührige Agenten in den USA und in England, die schmieden schon munter Pläne für unser Jubiläumsjahr. Wie es aussieht, machen wir eine weitere Residency in Las Vegas gleich Anfang des Jahres, Südamerika steht auf dem Plan. Und natürlich wollen wir auch in Deutschland unseren 60. Geburtstag gebührend feiern. Klar kann man sagen, jetzt lasst mal gut sein und langsam zum Ende kommen. Aber es ist wahnsinnig schwer, den Ausgang zu finden, wenn die Nachfrage so stark ist und wir uns auf der ganzen Welt aussuchen können, wo wir als Nächstes spielen. Wir haben dieses Jahr bereits um die 35 Shows gespielt, da war Wacken dabei und das „Rock in Rio“-Festival in Lissabon, bei dem wir vor 80.000 Zuschauern aufgetreten sind. Wenn man von so einer Tour zurückkommt, hat man so viele Bilder und Emotionen im Kopf – ich kann kaum beschreiben, was das selbst nach so vielen Jahren noch für mich bedeutet. Ich springe jetzt vielleicht keine drei Meter mehr vom Drum-Riser, aber wir bleiben im Herzen jung und wir lieben das, was wir machen, nach wie vor.

Als ich kurz nach dem Mauerfall durch die USA reiste, wurde ich immer zwei Dinge gefragt: „Hast Du ein Stück von der Mauer?“ und „Kennst Du die Scorpions?“. Damals hat man Ihre Band im Ausland mehr geschätzt als in der Heimat.

Ach ja, die Zeiten sind lange her. Deutschland hatte damals wohl andere Prioritäten. Als die Neue Deutsche Welle in den 1980ern durchs Land zog, befanden wir uns von der Wahrnehmung her am anderen Ende, also ganz unten. Dafür haben wir in den USA den Madison Square Garden dreimal ausverkauft, da war es für uns nicht so wichtig, wie wir in Deutschland wahrgenommen werden. Mittlerweile fühlen wir uns hier überhaupt nicht mehr vernachlässigt. Ich freue mich jetzt darauf, wieder in Köln zu spielen. Wir haben nur einen Steinwurf von hier unsere größten Hits aufgenommen, in den Dierks Studios …

… in Pulheim-Stommeln.

Da ist über viele Jahre eine sehr emotionale Verbindung mit der Stadt entstanden. Wir wollen auch zu Hause erfolgreich sein, gar keine Frage.

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Schönes Wochenende!

Sie sind nie aus der Gegend um Hannover weggezogen, lockte nicht irgendwann mal die Villa in Beverly Hills oder in Florida?

Doch, die Diskussion gab es Mitte der 80er, als wir sechs Monate im Jahr durch die USA getourt sind. Aber dann sind unsere Kinder geboren und wir wollten unsere Familien nicht verpflanzen und rückblickend war das genau die richtige Entscheidung. Wir sind eben Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen, das sind hier unsere Roots. Wir waren unser ganzes Leben lang auf Achse und haben aus dem Koffer gelebt, aber wir sind immer wieder gerne nach Hannover zurückgekommen. Und dann hat meistens Dieter Dierks angerufen und gesagt: Jungs, kommt mal nach Stommeln, es ist Zeit, ein neues Album aufzunehmen.

Am 18. September spielen die Scorpions in der Lanxess-Arena.