Die Pet Shop Boys, Großbritanniens erfolgreichstes Duo, gaben ihr einziges Deutschland-Konzert in der Kölner Lanxess-Arena.
Konzert in KölnWas die Pet Shop Boys gegen die Langeweile unternehmen
Im Internet hat jemand 150 Seiten mit Wissenswertem zum Pet-Shop-Boys-Song „Being Boring“ zusammengestellt. Auf Seite 84 findet sich folgende Anekdote: Nach einer Show in Los Angeles im März 1991 besucht Axl Rose von Guns ’N Roses unsere beiden Helden im Backstage-Bereich, outet sich, zur Verwunderung von Neil Tennant und Chris Lowe, als großer Fan. Und fragt, warum sie denn ausgerechnet sein Lieblingslied, „Being Boring“, nicht gespielt hätten.
Die Antwort liegt auf der Hand: „Being Boring“ erreichte in ihrer britischen Heimat nur Platz 20 der Single-Charts. In der Welt der Pet Shop Boys ist das ein glatter Flop. Seit der Rose’schen Intervention aber, so geht die Legende, spielen sie das Stück – es ist ja eigentlich auch ihr Lieblingslied – regelmäßig als letzte Zugabe.
So auch am Samstagabend in Köln. Es ist das einzige Deutschland-Konzert der Pet Shop Boys und es ist ein erhebender Moment. Tennant trägt nach wilden Eskapaden mit einem weißen Filz-Fez und einem silbern funkelnden Überzug, der aussieht, als könnte er atomaren Fall Out abhalten, nun altersgemäß einen langen schwarzen Mantel – nächstes Jahr wird er 70 – und singt wehmütig vom Aufbruch der Jugend, vom gegenseitigen Versprechen, niemals langweilig zu sein. Und er beklagt die Bittersüße des Erfolgs. Er ist ein Pet Shop Boy, der Freund tot. Es ist 1990, die Ära von AIDS. Wenn man ein schwuler Mann ist, scheint jede Party gleich neben einem Friedhof stattzufinden.
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In die Trauer mischt Neil Tennant Triumph
Mit den letzten Zeilen verstummt langsam die Musik. „Wir haben immer gehofft, dass, wenn wir zurückblicken, man sich immer auf einen Freund verlassen kann“, singt Tennant fast unbegleitet. In die Trauer mischt sich Triumph. Neben ihm steht der Freund, der geblieben ist. Chris Lowe bearbeitet die Tasten so stoisch wie eh und je. „Boy“-Käppi, Hoodie, Parka, Sonnenbrille: Man kann auch mit dieser Uniform durchs Leben gehen, als Bollwerk gegen die Langeweile.
Für die 10 000 Zuschauer in der Lanxess-Arena aber sind sie beide die Freunde, auf die man sich immer verlassen kann. Ihre „Dreamland“-Tour ist eine Greatest-Hits-Show, wie sie Bands eigentlich erst spielen, wenn der kreative Quell endgültig versiegt ist: „Früher oder später passierten das jedem“, verkündet eine körperlose Stimme zur Ouvertüre der Show.
Aber die Pet Shop Boys haben ihre Karriere mit Top-Ten-Hits begonnen. „Opportunities (Let's Make Lots of Money)“ heißt einer ihrer ersten, in Köln spielen sie ihn gleich an dritter Stelle. Manche haben ihnen wegen solcher Stücke Gier, manche abgehobene Ironie, manche blanken Zynismus vorgeworfen. Dabei erzählen ihre Lieder immer Geschichten, „Opportunities“ etwa die von zwei geborenen Verlierern, deren Traum vom Reichwerden nicht aufgeht.
Am Anfang des Konzerts täuschen sie tatsächlich kurz Unnahbarkeit vor, tragen seltsame Brillengestelle, an denen große Stimmgabeln befestigt sind, nach unten verdecken sie das Gesicht wie ein abstrakter Biker-Bart, nach oben erinnern sie an Roboterantennen oder Insektenfühler. Aber wen wollen Jungs aus der Zoohandlung damit täuschen? Schon zu „Suburbia“ singt der ganze Saal mit und obwohl der Innenraum bestuhlt ist, setzt sich in den nächsten 110 Minuten niemand mehr hin.
Was einen echten Hit ausmacht
Gleich beim nächsten Song („Can You Forgive Her?“) enthüllt Tennant dann den Menschen unterm Gestell, grinst, stellt das Duo artig in makellosem Deutsch vor – „Wir sind die Pet Shop Boys“ – und verspricht Musik, die ewig spielen wird.
Wie wahr! Vor einigen Jahren erzählte mir Tennant am Rande eines Interviews, was seiner Meinung nach einen echten Hit ausmacht: Dass man ihn nicht entkommen kann, selbst wenn man das Popgeschehen nicht verfolgt, selbst wenn man das Radio so gut wie nie anschaltet. Diese Definition trifft, wie man in Köln nacherleben konnte, auf beinahe jede Pet-Shop-Boys-Single des vergangenen Jahrtausends zu. Auf Sommer-Sonne-Sehnsuchts-Songs wie „Se a vida é (That’s the Way Life Is)“ oder „Domino Dancing“, auf Disco-Lobgesänge wie „New York City Boy“ oder „Go West“, das traumhaft sicher zwischen Schwulenemanzipation und Stadion-Südkurve balanciert. Kennt jeder, liebt jede. Die Lieder fließen ineinander, man fühlt sich von ihnen getragen wie vom Arm der Mutter.
Ist jemals ein besserer Song über die falschen Versprechungen der Liebe geschrieben worden?
Bald hebt sich die LED-Wand und enthüllt eine kleine Band aus zwei Perkussionisten, die ein wenig mehr Dynamik ins harmonische Geschehen bringen, und einer Keyboarderin, die später auch den Dusty-Springfield-Part in „What Have I Done to Deserve This?“ übernimmt. Sie und Tennant singen sich vorwurfsvoll an, während sie jeweils an einer Straßenlaterne festhalten. Ist jemals ein besserer Song über die falschen Versprechungen der Liebe geschrieben worden?
Lowe thront jetzt zwischen den Musikern auf einer Art DJ-Podest und Tennant erzählt von „Jealousy“, dem sehr dramatischen Stück, das der – zumeist – stumme Teil des Duos am elterlichen Klavier in Blackpool komponiert hatte, und zu dem er Tennant bat, Lyrics zu schreiben: der erste Pet-Shop-Boys-Song, der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Und wie gut ihr Werk gealtert ist! „It’s a Sin“, Neil Tennants Abrechnung mit seiner katholischen Erziehung, klingt heute wie eine Meat-Love-Hymne für alle verfolgten LGBTQ+-Menschen, seine immer noch durchdringend klare Stimme weist den Weg aus der Hölle. Die einzige Sünde ist eh die Langeweile.
Dann kann nur noch „West End Girls“ kommen, die LED-Wand hat sich wieder gesenkt, die Pet Shop Boys sind jetzt ganz bei sich und wo sie sind, schlägt das Herz der Popmusik.