Chilly Gonzales, Pianostar und Wahlkölner, spielte vor 3000 Glücklichen auf dem Roncalliplatz.
Konzert vorm DomWie Chilly Gonzales Köln mit deutschen Reimen und einem Überraschungsgast becirct
Ein kleines Lobgedicht hat Chilly Gonzales geschrieben. Backstage, auf einem Fetzen Klopapier, wie er behauptet. „Ich mag Deutschland“, hebt der Entertainer an, „aber ich liebe Cologne/Seit 2012 habe ich hier gewohnt/Bescheiden im Schatten des Riesendoms.“ So demütig kennt man Chilly Gonzales sonst kaum, doch an diesem lauen Donnerstagabend dräut ihm der Kölner Riesendom ja tatsächlich im Rücken.
Für die vorne Stehenden verdeckt die Bühne auf dem Roncalliplatz das Richterfenster und das Südportal, nur in der rechten Ecke lugt noch ein Säulenheiliger durch den aufgeschlagenen Prospekt.
Erinnerungen an Bayreuth
Seine alte Chuzpe hat Gonzales schnell wieder gefunden, es ist nicht sein erstes Konzert im Kathedralenschatten. Das Einzige, was ihm nicht an Köln gefalle, sei die Tatsache, dass es hier eine Richard-Wagner-Straße gebe. Dann erzählt der Kanadier, wie er als Jugendlicher mit seinem Vater die Bayreuther Festspiele besucht hat, wie auch er dem „verschmitzten Hexenmeister“ (Thomas Mann) verfiel – bis er auf dessen antisemitische Hetzschrift „Das Judentum in der Musik“ stieß. Man müsse Werk und Künstler trennen, habe der Vater, Jude und glühender Wagnerianer, geraten. Eben.
Genau das wolle er tun, spricht Gonzales und erhebt sich vom Klavierschemel, um den 3000 Menschen, die sich vorm Dom versammelt haben, mit großer Geste zu predigen. Keinesfalls wolle er Wagners Werk abschaffen, die Straße aber sei nach dem Mann benannt, der einem hasserfüllten Buch seinen Namen lieh.
Zu „Fuck Wagner“ haut Chilly Gonzales mächtig auf die Pauke
Schon deckt er eine Pauke ab – „Wagners Lieblingsinstrument“ –, um „Fuck Wagner“, das Stück zur Umbenennungskampagne, mit Schmackes herauszuhauen. Der Protestsong ist weniger eindeutig, als die Paukenschläge vorgeben, er entpuppt sich schnell als kluge Meditation über Cancel Culture: Wir sind alle Trolle, wir sind alle getriggert, rappt Chilly, wir sind alle schuldig, wir sind alle Richard. Sein Gegenvorschlag ist denn auch die reine Liebe. Anstelle des Ring-Komponisten solle Tina Turner mit einer Straße geehrt werden, Weltstar und zehn Jahre lang Wahlkölnerin.
Braucht man dafür mehr Argumente als den folgenden, umjubelten Gastauftritt von Peaches? Zusammen mit seiner Landsfrau hatte Gonzales einst im Berliner Exil den künstlerischen Durchbruch erlebt, jetzt komplementiert sie im fingernagellackroten Plastikponcho ideal seinen schwarzen Morgenmantel. Doch sie singt keinen ihrer transgressiven Hits – „Fuck the Pain Away“ oder „Lovertits“ – sondern Tina Turners „Private Dancer“. Und sie singt die Powerballade mit soviel Einfühlungsvermögen, Wucht und Verzweiflung, dass am Roncalliplatz für einen Augenblick die Zeit stillzustehen scheint. Anschließend hält ein junges Mädchen ein Straßenschild hoch – „Tina-Turner-Straße“ – und hinterlässt nur Überzeugte. Gonzales‘ Online-Petition nähert sich der 15.000er-Marke.
Die Spannungskurve müsste nun unweigerlich abfallen, aber Gonzales‘ Charme-Initiative ist noch lange nicht zu Ende. Er wolle etwas Neues wagen, hatte der Pianist anfangs verkündet, eine Weltpremiere in seiner Wahlheimat. Die Stücke seines im September erscheinenden Albums seien noch „ofenfrisch“. Das allein wäre noch kein Wagnis, doch obwohl er das ganz große Publikum erst mit seinen eingängig-minimalistischen Instrumentalstücken erreicht hat (die es selbstredend, von „Knight Moves“ bis „Advantage Points“, auch zu hören gibt), knüpft Gonzales hier noch einmal an seine alten Hip-Hop-Träume an, die Worte fließen wie seit vielen Jahren nicht mehr, er muss sich eine Menge von der Seele rappen.
Konzert auf dem Roncalliplatz: eine lästerliche Liebeserklärung an die Bundesrepublik
Dass es funktioniert, ist schon nach dem ersten, einschmeichelnden Anfang mit „Lac du cerf“ klar, langsam fällt die vierköpfige Band mit ein, das könnte ganz gemütlich anderthalb Stunden lang so weiter gehen. Stattdessen wechselt Chilly vom Flügel an die Bongos und binnenreimt im neuen Song „Gonzo“ sein künstlerisches Selbstverständnis. Das Publikum belacht jede der eilig aufeinanderfolgenden Pointen, die schonungslose Selbstbespiegelung mit dem übersteigerten Selbstbewusstsein des Hip-Hop-MC’s verbinden. Es lacht noch lauter, als Gonzales nach dem Peaches-Auftritt seine erste Deutschrap-Nummer „I.C.E.“ spielt, eine lästerliche Liebeserklärung an die Bundesrepublik: „Was steckt unter dem Dirndlkleid?/Einigkeit, Disziplin und Fleiß und Billigfleisch.“
Im Zugabenteil folgen noch einige Musik-Clownereien. Gonzales begleitet die heisere „Summer of 69“-Gesangsspur seines Landmanns Bryan Adams mit gewichtigen Klavierakkorden; droht damit, niemals aufzuhören; lädt das Publikum zum Mitsummen ein; besucht die teuren Plätze auf der Tribüne; lässt sich von fünf Freiwilligen durchs Publikum tragen, das nicht eng genug steht, um den Songtitel „Surfing the Crowd“ buchstabengetreu umzusetzen.
Die Stimmung ist jetzt maximal ausgelassen, dabei rappt Chilly Gonzales inmitten des Trubels von seiner traurigen Kindheit, von zehn Jahren in Therapie und von der Gefahr, sich allein auf die Aufmerksamkeit der Masse zu verlassen. Aber die hat er und überhaupt, man ist ja unter sich. „Meine Freunde nennen mich Gonzo“, schließt Chilly von Mitbürger zu Mitbürger: „Ihr könnt mich Gonzo nennen.“