Chilly Gonzales über sein neues Album „Gonzo“, das Lebensgefühl nach seiner Therapie und sein Konzert am 25. Juli auf dem Roncalliplatz.
Chilly Gonzales„Wenn ich in Köln bin, habe ich ein Gefühl von Leichtigkeit“
Chilly Gonzales, die neue Veröffentlichung „Gonzo“ ist nicht nur Ihr erstes Rap-Album seit „The Unspeakable Chilly Gonzales“ von 2011, es enthält mit „I.C.E.“ auch Ihren allerersten Song auf Deutsch.
Chilly Gonzales: Ja, mein erster und wahrscheinlich letzter Song auf Deutsch. Das Feedback ist sehr positiv. Er wird von den Radiosendern gespielt, was mir vorher noch nie passiert ist. Es fühlt sich gut an, dass dieses Lied so ankommt, wie ich es wollte – als eine Art Liebesbrief an meine Wahlheimat.
Da sind Sie als Ausländer vielleicht in einer besseren Position. Man kann sich schlicht nicht vorstellen, dass ein deutscher Künstler ein charmantes Lied über Deutschland schreibt.
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Ja, in gewisser Weise ist Stolz in Deutschland immer noch verboten. Die einzigen Leute, die dieses Tabu brechen, stehen auf der Seite der extremen Rechten. Als ich 2012 nach Köln gezogen bin, waren meine Freunde schockiert, dass ich hierhergezogen bin, dass ich keine Wohnung in Paris behalten habe. Und dann erzählte ich ihnen, was mir an Köln gefällt. Das habe ich mir auch von dem Lied erhofft, wenn ich im Refrain sage: „Wenn du sehen könntest, was ich sehe, wenn ich aus dem Fenster des ICE schaue.“ Es ist eine humorvolle, spielerische Version von Stolz. Und ein Wort wie „Schumi“ ist einfach lustig.
In Ihren Konzerten kommentieren Sie regelmäßig kuriose deutsche Wörter, die sie aufgeschnappt haben, zum Beispiel „Handschuh“.
„Handschuh“ war schon immer ein Lieblingswort von mir, es passte leider nicht in den Song. Ich liebe auch „Schifffahrt“, weil es drei „fs“ enthält. Aber viele meiner Lieblingswörter und -ausdrücke haben es in den Song geschafft: „Es tangiert mich peripher“, oder „Kabelsalat“ und „Kummerspeck“.
Vor Ihnen hat auch noch niemand „Adorno“ auf Porno gereimt.
Humor und Absurdität funktionieren am besten, wenn sie etwas Tieferes offenbaren. Gerade diese Zeile „Porno, Drehbuch von Adorno“ könnte doch für meine ganze Karriere stehen: Rigorose intellektuelle Ideen, ein bisschen schäbig und billig verpackt, ganz im Einklang mit der Zeit. Denn wir leben in billigen, schnellen und krassen Zeiten. Chilly Gonzalez ist ein billiger Name. Es könnte der Name eines Pornodarstellers sein.
Streng ist die reine Musik, aber will man ein Publikum gewinnen, muss man auch in bisschen Show machen, oder?
Ich glaube, die Götter der Musik wollen, dass das Publikum möglichst viel Freude an der Musik hat. Bei meiner Musik gehe ich keine Kompromisse ein, aber ich versuche, das Publikum dort abzuholen, wo es steht. Ernste Instrumentalmusik ist nicht mehr im Zentrum der Popkultur. Das war vielleicht noch zur Zeit von Franz Liszt so. Welcher Musikstil trifft den Nerv unserer Zeit am besten? Für mich ist es Rap. Deshalb habe ich meine Karriere nach dem Vorbild von Rappern gestaltet, habe ihre Art zu kommunizieren genutzt und immer wieder auch ihren Musikstil. Ich bin 52 Jahre alt und komme aus einem klassischen Umfeld, aber bin auch ein Produkt meiner Zeit.
Auf Ihren Liebesbrief an Deutschland folgt ein Stück namens „Eau de Cologne“, das hat keine Worte.
Ich wollte versuchen, ein Instrumentalstück zu schreiben, das meine Liebe zu Köln ausdrückt. Köln ist keine traditionell schöne Stadt und ich wollte, dass das Stück das widerspiegelt, aber auch das Gefühl der Leichtigkeit, das ich habe, wenn ich hier lebe, diese humanistische Qualität von Köln. Ich habe es deshalb in einer sehr positiven Dur-Tonart geschrieben, es soll an den Rhein mit seinen rollenden Wellen erinnern. Aber ich habe die Akkorde sehr tief auf dem Klavier gespielt, damit es nicht zu zuckrig klingt. Köln haut einen nicht so um wie Paris oder Prag, diese Städte, die einem sofort Zucker geben. Der Dom ist nicht süß, er ist monumental. Aber sobald man ihn hinter sich gelassen hat, ein wenig mehr Zeit hier verbringt, trifft man auf diesen herzlichen Vibe. Der Versuch, den Klang des Wassers zu komponieren, ist natürlich ein alter Hut. Ravel und Debussy haben das sehr schön gemacht. Ich dachte daran, wie es ist, die Severinsbrücke oder die Deutzer Brücke zu überqueren, wenn einen der Wind fast wegweht und man hinunterschaut, und das Wasser so tief und reißend ist, dass es sich anfühlt, als brodelte hier eine Menge unter der Oberfläche. Das ist die Art von Wasser, die ich komponieren wollte. Und dabei trotzdem die Ruhe, die ich hier empfinde, bewahren, die unaufdringliche, unprätentiöse Schönheit dieser Stadt.
Sie werden mich dafür hassen, aber man könnte auch an die „Rheingold“-Ouvertüre denken.
Ja, natürlich. Ich bin ein großer Fan von Wagners Musik. Er hat ja nicht nur das Wasser dargestellt, sondern auch den Beginn des Lebens, das aus dem Wasser stammt. Zusammen mit dem „Tristan“-Vorspiel ist das vielleicht Wagners größter Moment.
Auch Ihr Song „Fuck Wagner“ ist auf dem Album enthalten. Der ist ein Kommentar zur Cancel Culture – und begleitet zugleich Ihre Forderung, die Richard-Wagner-Straße in Tina-Turner-Straße umzubenennen. Wie geht es mit der Kampagne voran?
Die Petition hat momentan mehr als 13.000 Unterschriften. Ich habe auch einige Verbündete in der Lokalpolitik gefunden. Das Thema sollte eigentlich im Juni als Bürgerbegehren behandelt werden, ist jetzt aber auf den September verschoben. Man braucht Geduld. Jemand – ich weiß nicht, wer – hat ein „Tina Turner-Straße“-Schild aufgestellt. Man hat es bis jetzt stehen lassen, für mich ein Zeichen dafür, wie schön Köln ist. Immer, wenn ich daran vorbeigehe, macht gerade jemand ein Foto davon. Ich wollte vor allem eine Debatte anstoßen. Es gab eine Menge höflich formulierter Reaktionen. Leute argumentierten, man könne die Geschichte nicht auslöschen, es wäre besser, ein Schild an der Ecke aufzustellen, das über Wagners antisemitische Ansichten aufklärt. Ich denke, auch das ist eine gute Idee.
Aber nicht alle Reaktionen fielen so höflich aus?
Ich habe einige sehr böse Kommentare bekommen, viele kaprizieren sich auf mein Gebiss: Statt die Kunst von den Künstlern zu trennen, sollte ich mich lieber von meinem Zahnarzt trennen. Gelegentlich gab es sogar Antisemitismus. Ich habe das in Kauf genommen. Aber ich bevorzuge es, wenn Meinungsverschiedenheiten zivil ausgetragen werden. Demnächst will ich eine öffentliche Debatte auf der Straße selbst organisieren. Ich hätte „Fuck Wagner“ und die Kampagne auch nie gemacht, wenn ich nicht mit Tina Turner einen positiven Ersatz gehabt hätte. Im Grunde bin ich ein positiver Künstler.
Als Sie vorhin erwähnten, dass das „Rheingold“-Vorspiel den Ursprung des Lebens darstellt, dachte ich auch an das letzte Lied auf Ihrem Album. Das heißt schlicht „Poem“. Der Text könnte fast eine Geburtsszene beschreiben.
Das waren die ersten Zeilen, die ich schrieb, als ich 2022 wieder anfing, Texte zu schreiben. Ich wollte von meiner eigenen Perspektive weg, wollte ausbrechen und in Bildern schreiben, meine Rap-Lyrics vor der Therapie waren eher wie Hilferufe. Ich bin mir nicht einmal sicher, wovon „Poem“ handelt. Sagen wir, es geht um eine Art Tod, der zu einer Wiedergeburt führt.
Was hat Sie dazu bewogen, wieder Texte zu schreiben?
Das Ende meiner Therapie. In den fast zehn Jahren, die ich in Therapie war, habe ich kaum ein Wort geschrieben. Und als die Therapie vorbei war, sprudelten die Texte einfach so heraus, auf Englisch, auf Französisch und sogar ein bisschen auf Deutsch.
Eine indiskrete Frage: Was hat Sie dazu gebracht, sich in Therapie zu begeben?
Eine Art Weckruf. Die Krise kam, als ich 39, 40 war. Vor der Therapie mochte ich es nicht, wenn Leute meinen richtigen Namen, Jason, benutzten. Ich habe darauf bestanden, dass mich alle Gonzo nennen. Weil ich die leicht verdiente Liebe, den leicht verdienten Respekt, den man sich verdient, wenn man auf der Bühne steht und die Leute unterhält, der echten Liebe vorzog. Da entsteht eine Art Rückkopplungsschleife und bald zieht man die Performance dem wahren Leben vor. Das ist als Jason viel schwieriger, denn als Chilly Gonzalez. Nur: irgendwann holt einen das ein. In meinem Privatleben sind einige Dinge passiert, die mir klargemacht haben, dass ich die richtige Grenze zwischen Performance und Realität finden muss.
Und heute?
Heute genieße ich die Auftritte vielleicht sogar noch mehr als vorher. Weil ich jetzt verstehe, dass das Publikum der Musik applaudiert und der Applaus nun zu den Göttern der Musik hinaufsteigen kann, anstatt dass ich ihn für mich selbst nehme und ihn hinunterschlinge wie ein ausgehungerter Hund ein Stück Fleisch. Ich bin dankbar, dass ich auftreten, diese Energie herauslassen und damit meinen Lebensunterhalt verdienen kann. Die Gier hat sich in Dankbarkeit verwandelt.
Gott sei Dank nehmen Sie trotzdem noch Diss-Tracks auf. Sprechen wir über „Neoclassical Massacre“, in dem Sie gegen Künstler wettern, die jene Art beruhigender, meditativer Klaviermusik spielen, die auf Playlists sehr beliebt ist.
Ich hatte bei „Neoclassical Massacre“ Sorge, dass es zu insiderisch rüberkommen könnte. Als ich den Song auf der Bühne ausprobierte, war das Gegenteil der Fall, er provoziert regelmäßig die stärksten Reaktionen.
Warum?
Weil jeder versteht, dass es im Lied eigentlich darum geht, wie das Internet und die Algorithmen die Art und Weise verändert haben, wie wir Kultur wahrnehmen. Der Algorithmus kontrolliert uns auf eine Weise, die uns kaum bewusst ist, aber viele Menschen verstehen, dass wir etwas verloren haben. Gott sei Dank gibt es noch die Performance. Konzerte bieten vielleicht die einzige Zeit, in der die Leute mal ihr Handy weglegen. Es sind die letzten Orte, an denen man die volle Aufmerksamkeit der Leute bekommen kann.
Apropos Konzert: Sie treten am 25. Juli auf dem Roncalliplatz auf, vor imposanter Domkulisse.
Das habe ich 2019 schon einmal gemacht und es war fantastisch. Aber jetzt kann ich ein Konzert spielen, das sich noch mehr wie eine Rock- oder Rapshow anfühlt. Deswegen wollte ich dieses Jahr die Philharmonie einmal auslassen und auf die Straße gehen. Es werde auch einige Gäste kommen, unter anderem Peaches. Wir sind in den frühen 2000er Jahren zusammen groß geworden. Ich habe an ihrer Seite viel über extreme Performances gelernt. Sie ist eine meiner Mentorinnen und ich denke, sie würde auch sagen, ich bin eine ihrer Mentoren.
Chilly Gonzales tritt am 25. Juli auf dem Roncalliplatz auf. Sein neues Album „Gonzo“ erscheint am 13. September.