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Krampfig, platt, espritfreiKölner Opern-Premiere gerät zur opulenten Pleite

Lesezeit 5 Minuten
LA GRANDE-DUCHESSE DE GÉROLSTEIN1

"Hambi bleibt": Miljenko Turk, Jennifer Larmore, Vincent Le Texier (v.l.n.r)

  1. Ein panischer Overkill an Aktualitäts-Spots führt bei der Aufführung von Jacques Offenbachs Oper„La Grande-Duchesse de Gérolstein“ in konzeptuelle Finsternis.
  2. Die Reihen im Saal 2 des Staatenhauses lichteten sich von Akt zu Akt.
  3. Ganz und gar unerquicklich sind die von Dietmar Jacobs neugefassten deutsch gesprochenen Dialoge.

Köln – Die gute und weithin erfolgreiche Saison 2018/19 endet an der Kölner Oper (jedenfalls soweit sie im Staatenhaus stattfindet) leider mit einer opulenten Pleite. Offenbachs Opéra-bouffe „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ könne in ihrer ursprünglichen Version, so behauptet das Regieteam mit Renaud Doucet (Inszenierung) und André Barbe (Bühne und Kostüme) im Begleitheft, dem heutigen Zuschauer nichts mehr sagen. Aktualisierung sei also angezeigt. Ob das so stimmt, sei dahingestellt.

Militarismus und Machtmissbrauch

Immerhin heißen die zentralen und auch nicht sonderlich lustigen Zentralmotive in Offenbachs Werk Militarismus und Machtmissbrauch. Sind die etwa inaktuell, abgestanden, von vorgestern? Wenn schon eine Aktualisierung nach Maßgabe des Regietheaters, dann hätte sie eine zeitgemäße Anpassung dieser Thematik betreiben können, dürfen, müssen.

Doucet und Barbe, die vor einem Jahr mit ihrer Verpflanzung von Cimarosas „Matrimonio segreto“ auf einen Hühnerhof großartiges komödiantisches Gespür bewiesen, haben sich verhängnisvollerweise für einen anderen Weg entschieden – einen Weg, der in krampfiger Abstrusität und Beliebigkeit mündet, der auch keine versteckten Heiterkeitspotenziale erschließt und im Publikum achselzuckendes Desinteresse hervorzurufen geeignet ist – was sich am Premierenabend im Saal 2 in der von Akt zu Akt zunehmenden Lichtung der Reihen kundtat.

Wie nun also? Anstelle des Hofstaats eines fiktiven deutschen Duodezfürstentums zeigt die Bühne des ersten Akts ein etwas ranziges Camp samt Regendusche und überfülltem Plumpsklo mit ebenso waldschratig-hippiehaften Bewohnern, zu denen die Armee der Großherzogin hier mutiert ist. „Hambi bleibt“ lautet eine der gepinselten Parolen, die anzeigen, worum es geht: um die Waldbesetzer des Hambacher Forsts. Das ist der Clou der Inszenierung: Doucet wendet das kritische Potenzial der „Großherzogin“ nach Maßgabe zeitgenössischer Konflikte ins Umweltpolitische: Offenbachs Soldaten sind jetzt Ökofreaks, die freilich in ihrem Kampf für den Goldenen Frosch von General Boum und Baron Puck, den Beratern der Herrscherin, manipuliert und instrumentalisiert werden: Umweltgesinnung als Verkaufsmasche.

Funktioniert das? Tut es nicht. Was sich allein schon anlässlich der Frage zeigt, gegen wen man eigentlich zwischen erstem und zweitem Akt in den Krieg zieht. Ist es etwa die NRW-Polizei? Und weil das alles noch nicht reicht, kommen später eine AfD-Demo für rasche Abschiebung und ein paar Gelbwesten hinzu. Tatsächlich führt dieser panische Overkill an Aktualitäts-Spots in jene konzeptuelle Finsternis, in der alle Katzen grau sind. Dabei verflüchtigt sich die Umweltthematik in den neuen Bühnenbildern des zweiten und dritten Teils zusehends – was die Sache nicht besser macht: Der Holzweg weist sich selbst als ein solcher aus.

LA GRANDE-DUCHESSE DE GÉROLSTEIN2

Dino Lüthy und Emily Hindrichs

Unstrittig geht es bei all dem munter, farbenfroh, aktionsreich zu – und die Breite dieser Bühne erzählend zu füllen, stellt in der Tat eine erhebliche Herausforderung dar. Doucet und seine Choreographin Cécile Chaduteau lösen die Aufgabe, indem sie auf der symmetrisch angelegten Spielfläche (mit um das Orchester herumlaufender Passerelle) drei Bewegungszentren etablieren – rechts, links und in der Mitte. Es gibt also viel und immer wieder Neues zu sehen, auch dank der Einführung von Revue-Elementen mit Balletteinlagen. Der Eindruck leerlaufender Selbstzweckhaftigkeit wird dadurch allerdings nicht ganz vertrieben.

Ganz und gar unerquicklich sind die von Dietmar Jacobs neugefassten deutsch gesprochenen Dialoge, die karnevalistisch die Köln-Karte mit den entsprechenden wohlfeilen Anspielungen ziehen. Ist das lustig? Hier wird vielmehr das Publikum in der – falschen – Erwartung, dass solche Plattitüden die Zwerchfelle aktivieren, auf eine fast schon unverschämte Weise unterfordert.

Stark geforderter Chor

Da die Solistenstimmen technisch verstärkt werden, lässt sich über deren genuine Qualität nicht viel sagen. Jennifer Larmore (Großherzogin), Miljenko Turk (Puck), John Heuzenroder (Paul), Vincent Le Texier (Boum), Emily Hindrichs (Wanda) und noch mehr Dino Lüthy (Fritz) machen ihre Sache sängerisch und darstellerisch gut, wobei allemal Luft nach oben bleibt. Was Freiheit und Souveränität der Performance anbelangt, so mögen sie in den Folgeaufführungen noch zulegen. Das gilt auch für die konzentrative Kraft des stark geforderten Chores. So oder so macht der gesamten Produktion die unauratische Akustik im Saal 2 zu schaffen, die etliches an Klang und Esprit wegzunehmen scheint.

Darunter leidet auch das Gürzenich-Orchester unter François-Xavier Roth, der – man hört es genauso, wie man es sieht – das Ensemble zu so agilem wie punktgenauem Spiel, zu sorgfältiger Formung der Motive und Bühnenkontakt anhält. Um die Musik vollends Verve und Temperament entfalten zu lassen, müsste man sie jetzt noch aus der Corsage allzu großer Gewissenhaftigkeit entlassen. Indes sei – auch auf die Gefahr leidenschaftlichen Widerspruchs gerade im Kölner Offenbachjahr hin – ein Verdacht geäußert: dass die originäre musikalische Substanz dieses Bühnenwerks bei Licht besehen limitiert ist. Die schematischen Form- und Modulationsverläufe (zwischen Tonika, Tonikaparallele und Dominante), dazu die kaum je aufgebrochene Stereotypie der Vier- und Achttaktgruppen – all das ermüdet und fördert eine rezeptive Haltung der angenehmen Entsagung. Da wird dann eine Aufführung von knapp vier Stunden erst recht das, was sie von Haus aus ist: arg lang.

Stückbrief

Musikalische Leitung: François-Xavier Roth

Inszenierung: Renaud Doucet

Bühne und Kostüme: André Barbe

Darsteller: Jennifer Larmore, Emily Hindrichs, Dino Lüthy, Miljenko Turk, John Heuzenroeder, Vincent Le Texier, Nicolas Legoux und andere

Dauer: 3 Stunden 40 Minuten mit zwei Pausen zwischen den drei Akten

Weitere Aufführungen: 12., 20., 23., 26. Juni, 4., 7., 10., 12. Juli