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Krieg und FotografieWarum wir selbst unwirklich scheinenden Bildern vertrauen

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Ein Mann schießt ein Selfie vor zerstörtem Panzer

Köln – Ein Mann steht nahe Kiew vor einem zerstörten russischen Panzer und schießt ein Erinnerungsfoto mit seinem Telefon. Was er bei diesem Selbstporträt mit Todesmaschine festhält, weiß der Unbekannte ganz allein. Vielleicht eine kämpferische Kriegstrophäe, vielleicht ein Souvenir des Überlebens, vielleicht einen rasch versendeten Beweis dafür, dass er noch existiert.

Während der Krieg in der Ukraine in einigen Landesteilen mit unverminderter Wucht tobt, ist er rund um die Hauptstadt Kiew beinahe schon wieder Erinnerung – aus den Ruinen und Wracks sind schaurige Sehenswürdigkeiten geworden. Es braucht den Frieden, so kurz er auch sein mag, um das Werk des Krieges zu betrachten und zu resümieren.

Es braucht den Frieden, um das Werk des Krieges zu erkennen

Wie jeder moderne Krieg bringt auch der russische Überfall auf die Ukraine verschiedene Sorten Bilder hervor und jede hat ihre Zeit. Am Anfang standen die Aufnahmen vom Feldherrenhügel, Putins langer Tisch in Moskau und Wolodymyr Selenskyj, der zunächst Botschaften aus dem Bunker und dann Lebenszeichen aus den Straßen schickte. Es folgten die Fernsehbilder geflüchteter Menschen, die Abschiede am Bahnhof und am Grenzzaun, die zerrissenen Familien. Dann legte sich der Nebel über den Krieg, das Sterben begann damit, dass es hinter Satellitenbildern zerstörter Straßenzüge und Aufnahmen nächtlicher Explosionen verschwand.

Mit dem Rückzug der russischen Truppen aus den Kiewer Vororten schlug die Stunde der Augenzeugenschaft. Aus Butscha gingen Fotografien getöteter Zivilisten um die Welt, von Menschen, die ihre Einkäufe mit dem Fahrrad nach Hause fahren wollten, die geglaubt hatten, der Krieg habe vor ihrer Haustür eine Verschnaufpause eingelegt – und von ihren Mördern eines Schlechteren belehrt wurden. All diese Aufnahmen stammen von Pressefotografen, die im Gefolge ukrainischer Soldaten kamen und von deren Regierung gerufen wurden, um als Zeugen der Anklage aufzutreten; dieselben Aufnahmen von Soldaten-Smartphones hätten nicht dieselbe Wirkung entfalten können.

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Mit diesen Aufnahmen hat sich unser Bild des Kriegs in der Ukraine gewandelt und im Grunde erst geformt. Nicht, weil sie mutmaßliche Kriegsverbrechen dokumentieren (als könnte es einen Krieg ohne Verbrechen geben), sondern weil sie die Grenze zwischen Krieg und Frieden einebneten. Während Bilder vom Schlachtfeld stets aus einer anderen Welt zu stammen scheinen (gerade das macht einen Teil ihres schrecklichen Reizes aus), sind die toten Radfahrer Teil unserer Welt. Auf den Aufnahmen aus Butscha treffen Frieden und Krieg aufeinander – ihre Botschaft lautet, dass beides nicht gemeinsam existieren kann.

In moralischer Hinsicht ziehen uns diese Aufnahmen auch dann in den Krieg hinein, wenn wir dies gar nicht wollen. Auf perverse Weise kann man vor toten Zivilisten nicht die Augen verschließen, sterbende Soldaten erfüllen hingegen gewissermaßen ihren Zweck.

Ein gutes Kriegsfoto, was soll das eigentlich sein?

Selbst die besten Kriegsfotografien (was immer das heißen mag) vom Schlachtfeld haben etwas Verlogenes, weil sie den zivilen Menschen im Soldaten verschwinden lassen. Nach Robert Capas berühmter Losung muss man für ein gutes Kriegsfoto nah genug dran gewesen sein. Aber die Nähe des Fotografen zum kämpfenden oder sterbenden Soldaten hebt die Distanz des zivilen Betrachters zu letzterem nicht auf. Man kann den Krieg nicht aus dem Frieden heraus verstehen – und umgekehrt.

Selbstredend sind die Bilder aus dem Krieg in der Ukraine immer auch Mittel der Propaganda und der Gegenpropaganda; im digitalen Zeitalter ist der Zweifel an der Unbestechlichkeit ihrer Daten ohnehin der stete Begleiter der Fotografie. Allerdings zeigen die Aufnahmen aus Butscha und anderen Orten, dass wir weiterhin gewillt sind, Kriegsbildern zu vertrauen, sofern sie der Logik oder auch nur unseren Erwartungen nicht offensichtlich spotten.

Auch wir müssen uns offenbar über etwas vergewissern, was uns unwirklich erscheint – und ähneln darin vielleicht dem Mann, der ein Selfie mit zerstörtem Panzer schießt und sich dabei fotografieren lässt.