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Kommentar

Künstler will Picasso-Bild zerstören
Warum man Julian Assanges Leben nicht mit Kunst aufwiegen kann

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Lesezeit 3 Minuten
Ein offener Tresor mit denselben Maßen wie die Einzelzelle von Julian Assange.

Andrej Molodkins „Dead Man's Switch“ hält angeblich Millionenwerte

Ein russischer Künstler droht Gemälde im Wert von 40 Millionen Euro zu vernichten, falls Julian Assange in Haft stirbt.

Der russische Konzeptkünstler Andrej Molodkin hält im Pyrenäendorf Cauterets, in der Eingangshalle eines ehemaligen Sanatoriums, Kunstwerke im Wert vom mehr als 40 Millionen Euro in einem Schweizer Banksafe in Geiselhaft. Neben Arbeiten befreundeter Künstler sollen sich Bilder von Rembrandt, Picasso, Robert Rauschenberg und Andy Warhol in dem 29 Tonnen schweren Tresor befinden.

Der Russe droht, die insgesamt 16 Werke mittels einer per Zeitzünder ausgelösten chemischen Reaktion in Schutt und Asche zu verwandeln. Die gesamte Apparatur ist selbst ein Kunstwerk, „Dead Man's Switch“ hat Molodkin es getauft, der Hebel des toten Mannes. Am Freitag soll der Safe geschlossen werden, bevor in der kommenden Woche Julian Assange in Großbritannien vor Gericht steht, verhandelt wird seine Auslieferung an die USA.

Gibt es 24 Stunden kein Lebenszeichen von Julien Assange, müssen Rembrandt und Warhol dran glauben

Denn um die Sicherheit des Gründers der Enthüllungsplattform Wikileaks geht es Molodkin: Sollte es 24 Stunden lang kein Lebenszeichen vom inhaftierten Assange geben, erreicht der Countdown sein Ende, versengen Picasso und Co. Bleibt Assange in Haft, bleibt auch die Kunst weggesperrt, die Maße des Tresors sollen denen seiner Einzelzelle im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh entsprechen.

Es ist mehr als nur ein Publicity-Stunt. Molodkin hat seine Aktion monatelang intensiv vorbereitet, das Magazin „The New Yorker“ hat die Provenienz der einzelnen Werke überprüft: Die Kunst ist echt, der angegebene Betrag realistisch. Stella Assange, Frau und Anwältin des Inhaftierten, spricht von einem „Schutzschild aus Kunst“, Molodkin von dem skandalösen Umstand, „dass Kunst zu zerstören ein größeres Tabu ist, als das Leben eines Menschen zu zerstören“. Freiheit sei viel wichtiger als Kunst.

Stella Moris, heute Stella Assange, am Londoner High Court vor einem Plakat, das Wikileaks-Gründer Julian Assange zeigt.

Stella Assange am Londoner High Court vor einem Plakat, das Wikileaks-Gründer Julian Assange zeigt.

Das erinnert an die Argumente von Klima-Aktivisten, die bekannte Meisterwerke in Museen öffentlichkeitswirksam mit Suppe bewerfen oder Fotografien von Überschwemmungen bekleben. Oder an ähnliche Vergleiche, die immer dann gerne herangezogen werden, wenn öffentliche Gelder knapp sind und die Förderung der Künste gegen diejenige sozialer Belange ausgespielt wird.

Als würde die Kunst genau den Raum beanspruchen, der doch eigentlich armen Familien, der Rettung des Klimas oder eben Julien Assange zustünde. Als gäbe es einen solchen begrenzten Raum, in dem sich unverschämterweise die Kunst breit gemacht hat.

Dahinter steht zumeist nur der kleinbürgerliche Verdacht, dass Museen, Konzerte oder Opernaufführungen letztendlich unnötig sind, ein dekadenter Spaß, den sich die Eliten gönnen, während der Rest der Welt vor die Hunde geht. Das ist töricht. Es geht in letzter Konsequenz um das kulturelle Erbe der Menschheit. Das aber ist prinzipiell schützenswert und sollte nicht als Erpressungsmaterial wofür auch immer missbraucht werden.

Zur Lebensversicherung taugt Molodkins Tresor sowieso nicht, die beträchtlichen Risiken, denen das Leben von Julien Assange zweifellos ausgesetzt ist, werden durch den Verweis auf die Gefahr für ein nicht näher beschriebenes Rembrandt-Bild kaum gemindert werden. Unter einem Aspekt immerhin funktioniert der „Dead Man's Switch“, nämlich als Mahnmal für den australischen Enthüller: Werke, die zuvor ein Mauerblümchen-Dasein in Villen oder Zoll-Lagern fristeten, hat Andrej Molodkin durch ihre schlagzeilenträchtige Umbettung aktiviert.

Trotzdem: der Vergleich zwischen eingesperrten Menschen und eingesperrten Bildern hinkt. Man kann Assange und Picasso nicht auf zwei Waagschalen setzen und ein sinnvolles Ergebnis erwarten.