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Kulturhauptstadt ChemnitzEin Skulpturenpfad als Prinzip Hoffnung

Lesezeit 5 Minuten
Die Arbeit "Zwei in ein ander Gewobene" des Konzeptkünstlers Olaf Holzapfel steht auf einer Höhe in Amtsberg. Die Arbeit ist Teil des Purple Path. Das Leuchtturmprojekt der Kulturhauptstadt Europas 2025 verbindet Chemnitz mit 38 weiteren Gemeinden im Umland.

Die Arbeit „Zwei in ein ander Gewobene“ des Konzeptkünstlers Olaf Holzapfel steht auf dem Purple Path der Kulturhauptstadt Chemnitz. 

Mit dem Skulpturenweg „Purple Path“ ist eines der Hauptprojekte der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 eröffnet worden.

In der christlichen Tradition steht die liturgische Farbe Violett für die Empathie in der Passionszeit und für die Hoffnung der Adventszeit. „Purple Path“ nennt die europäische Kulturhauptstadt Chemnitz eines ihrer Hauptprojekte und will damit auf das Prinzip Hoffnung des christlich geprägten Bergbaus anspielen, dem diese Symbolik „eingeschrieben“ sei, wie es in einer der Publikationen der Kulturhauptstadt heißt. Der Purpur-Pfad sei mit seinen frei zugänglichen zeitgenössischen Kunstwerken ein „künstlerisches Angebot“, die Region mit neuen Augen zu sehen und Möglichkeiten der „Heilung alter Wunden“ zu finden, heißt es weiter. Das künstlerische Narrativ des Pfads ist komprimiert auf die Formel: „Alles kommt vom Berg her“.

Wie es Brauch ist bei Kulturprojekten des 21. Jahrhunderts, muss aber der Leitspruch der Kulturhauptstadt auf Englisch daherkommen: „C the Unseen“ lautet das in ein umständlich zu lesendes Logo gepresste Motto, das auch einen Imagewandel bewirken will. Wir erinnern uns: Chemnitz erhielt ziemlich überraschend 2020 den Zuschlag für die Kulturhauptstadt 2025 und schlug damit unter anderem das touristisch so begehrte Dresden und Nürnberg aus. Für Chemnitz sprach nach Auffassung der Kommission überzeugend der Plan, dem Image der Stadt als überalterte Plattenbauwüste und Hochburg des Rechtsextremismus vitale Impulse entgegenzusetzen. In Chemnitz fand seinerzeit das NSU-Trio Unterschlupf, und im Sommer 2018 marschierten dort Neonazis neben AfD und Pegida und „Menschen aus der Mitte“.

Werke von mehr als 60 Künstlern sind bereits im Erzgebirge zu sehen

Stefan Schmidtke ist Geschäftsführer der Kulturhauptstadt und beantwortet im Besuchs- und Informationszentrum Hartmannfabrik fast alle Fragen der eigens zur Begehung des „Purple Path“ angereisten Presse. Die Zahlen hat er parat: Jeweils 25 Millionen Euro steuern Bund, Land und Stadt bei, mit zusätzlichen Mitteln beträgt das Gesamtbudget etwa 110 Millionen Euro, von denen ein großer Teil in Infrastrukturmaßnahmen fließt. 50 Millionen aber sind gebunden an das Kunst- und Kulturprogramm, das vor allem durch den „Purple Path“ bewusst dezentral angelegt ist und die am Projekt beteiligten Kommunen einbindet.

Nicht entlocken lässt Schmidtke sich die detaillierten Kosten einzelner großer Kunstobjekte, die womöglich unliebsame Diskussionen aufkommen lassen würden. Sicher fließt ein satter Teil des Budgets in die noch nicht eröffnete Kunsthalle auf dem Areal des früheren Steinkohlebergwerks in Oelsnitz, in der eine Lichtinstallation des US-amerikanischen Land-Art-Stars James Turrell gezeigt werden soll.

Werke von mehr als 60 Künstlerinnen und Künstlern sind seit der Eröffnung nun schon im Erzgebirge zu sehen. Man braucht viel Zeit und eine gute Logistik, um die Kunst zu entdecken, viele Werke sind fast unauffällig, ja beiläufig positioniert, andere weithin sichtbar oder schon deshalb nicht zu übersehen, weil sie alltägliche Wege kreuzen und neu definieren.

Ein runder Spiegel steht über einem Fluss.

Michael Sailstorfers „Fließgleichgewicht“ vor dem Motorradmuseum Schloß Wildeck

Wie etwa der Bahnhof in Flöha, dessen 100 Meter langer Fußgängertunnel die Arbeit „Glance“ (flüchtiger Blick) der Künstlerin Tanja Rochelmeyer zu einer begehbaren Installation macht: 171 rechteckige Tafeln zeigen Elemente wie Rahmen, stilisiertes Mauerwerk, Rechtecke und Buchstaben, die den Stadtnamen Flöha ergeben. Die heiter stimmende Arbeit auf abwischbaren Aluminiumplatten will an die Arbeiterinnen und Arbeiter der nahen Baumwollspinnerei erinnern.

Imposant reckt sich Olaf Holzapfels 14 Meter hohe Holzskulptur „Zwei in ein ander Gewobene“ in den kühlen Vorfrühlings-Himmel auf der Dittersdorfer Höhe bei Amtsberg. Die Skulptur des in Dresden geborenen Künstlers erinnert an die Türme, die in Sachsen über vermarkten Festpunkten errichtet wurden und als Vermessungsstationen zur Kartierung des Königreichs dienten.

Beinahe zu übersehen ist Michael Sailstorfers „Fließgleichgewicht“ am Ufer des Flusses Zschopau

Beinahe zu übersehen dagegen ist Michael Sailstorfers „Fließgleichgewicht“ am Ufer des Flusses Zschopau, eine Konstruktion aus Stahlrohr mit einem Spiegel über dem Fluss, in dessen konvexen Oberflächen die Umgebung und das fließende Wasser reflektiert werden. Der Spiegel verweist auf Seitenspiegel von Motorrädern und damit auf die ehemalige Motorradstadt, die bis 2009 die legendären MZ-Motorräder produzierte. Noch unauffälliger in das Umfeld integriert sind die sanft schaukelnden Laternen von Nevin Aladağ über dem Teich im Austelpark in Zwönitz. Die Künstlerin hat für „Color Floating“ Designlampen der 1960er Jahre mit farbigen und unterschiedlich gemusterten Strumpfhosen überzogen – eine Reminiszenz an die örtliche Strumpffabrik, die das Material für die Arbeit lieferte.

Partizipation ist das Schlüsselwort für das Konzept des „Purple Path“, keines der Kunstwerke wurde einfach platziert, sondern Auswahl und Standorte wurden in der jahrelangen Vorbereitung in regelmäßigen Treffen mit den jeweiligen Bürgermeistern diskutiert, die wiederum in ihren Gemeinden das Für und Wider der Investitionen abstimmen mussten. Über die Resonanz weiß Kurator Alexander Ochs zu berichten: „Unterschiedlich, aber in der Regel sehr gut. Viele Werke gab es ja schon vorher, wir haben sie angekauft und mit den Künstlerinnen und Künstlern die Kontexte besprochen. Andere Arbeiten wurden modifiziert, dritte neu entwickelt und in der Regel auch in Werkstätten und Betrieben der Region produziert.“ Man habe nicht wie die Besatzung von Ufos auftreten wollen, „die einfliegen, ihr Ding machen, um dann zum nächsten Projekt durchzustarten“ erklärt Ochs das Bemühen, größtmögliche Akzeptanz in der Bevölkerung herzustellen.

Eine große Schar von ehrenamtlichen Helfern unterstreicht die Begeisterung für die Projekte, wie etwa bei Rebecca Horns faszinierender Groß-Installation „The Universe in a Pearl“, die in der Hospitalkirche in Lößnitz so magisch wirkt, als sei sie für diese Kirche gemacht. Hier hüten Freiwillige das fragile Kunstwerk und sprechen mit Feuereifer über die Wirkung vor Ort.

Kritiker bemängeln, dass sich im Programm der Kulturhauptstadt kaum eine Auseinandersetzung mit den Ausschreitungen von 2018 findet, es ist sogar von „Artwashing“ die Rede. Geschäftsführer Stefan Schmidtke setzt auf die nachhaltigen Wirkungen der Kunst-Impulse: „Es geht um einen emotionalen Umschwung, ich denke, wir haben die schlechte Laune reduziert.“