Die Kunsthalle Düsseldorf untersucht in ihrer aktuellen Schau das andauernde weibliche Engagement für mehr Gerechtigkeit und Selbstbestimmung.
Ausstellung über das WeiblicheSelbstbehauptung und Solidarität
Obschon Künstlerinnen in den 1920er und 30er Jahren ein wichtiger Teil der künstlerischen Avantgarde waren, wurden ihre ästhetischen Stilbrüche, ihre radikalen Selbstbetrachtungen und formalen Durchbrüche lange Zeit eher als Einzelphänomene wahrgenommen. So entstand das Konzept Ausnahmekünstlerin, letztendlich eine Bestätigung der Regel: Die großen Künstler sind männlich und bleiben unter sich. Sonia Delaunay, später eine äußerst erfolgreiche Geschäftsfrau in eigener Sache, war die handwerklich begabte Gattin des großen Koloristen Robert.
Die surrealistische Fotografin Dora Maar ist den meisten vor allem als Muse und Modell Picassos in Erinnerung. Sophie Taeuber (1889-1943) stickt, webt, knüpft und malt, sie tanzt, zeichnet und entwirft, choreographiert, näht, bildhauert, performt bei dadaistischen Soiréen; sie ist eine Multi-Media-Künstlerin der ersten Stunde und bleibt doch im Schatten ihres Mannes. Auch wenn sich inzwischen allerhand getan hat, nach wie vor kämpfen Künstlerinnen für Sichtbarkeit und Anerkennung, für Gerechtigkeit und Selbstbestimmung.
Kunsthalle Düsseldorf zeigt Ausstellung zu Weiblichkeit
Die Kunsthalle Düsseldorf zeigt mit der Ausstellung „Die unhintergehbare Verflechtung aller Leben“ sechs künstlerische Positionen, die alle „die Verflechtung von vermeintlich klassischen, als weiblich gelesenen Motiven (eint)“, die die Künstler*innen je unterschiedlich weiterentwickeln und in zeitgenössische Kontexte und Diskurse überführen. Es geht um Klischees und Zuschreibungen, um Körperlichkeit und Kollektivität.
In den 1960er Jahren gab es eine deutlich sichtbare Solidaritätsbewegung unter Künstlerinnen, die sich schwesterlich verbanden und mit ihrer Kunst gegen die nach wie vor bestehende männliche Dominanz in der Kunstwelt durchzusetzen versuchten.
Etwa 70 Werke der Kölner Künstlerin Ilse Henin
Ilse Henin (*1944) studierte damals in Karlsruhe; bis heute untersucht die seit langem schon in der Eifel lebende Kölnerin in ihren Bildern die Bedingungen und sozialen Beziehungen, in denen wir leben. Ihre wunderbaren, multiperspektivischen farbigen Zeichnungen, die sie im gesamten Seitenlichtsaal der Kunsthalle zeigt, verknüpfen in surrealen Bildwelten persönliche und gesellschaftliche Anliegen. Menschliche, tierische und andere Wesen bevölkern ihre Bilder, die sie mit Öl- und Pastellkreide, Buntstift, Bleistift oder Kugelschreiber auf Papier, auf Leinwand, auf dunkler Pappe oder in kleine Schächtelchen oder Eierkartons zeichnet und malt.
Die rund 70 Werke von Hernin sind ein famoser Einstieg in die Ausstellung, die mit fünf weiteren, jüngeren Positionen darlegt, dass und wie der Einsatz für Selbstbehauptung und Solidarität nach wie vor Künstler*innen umtreibt.
Soraya Sharghi zeigt Eva als Rebellin
Soraya Sharghi (*1988 im Iran) etwa positioniert ihre Eva als abenteuerlustige Rebellin, die Bilder quietschbunt und glühend, kleinteilig und übermäßig voll, zwischen Anime und persischen Miniaturen und sicher auch ein bisschen kitschig. Diese Eva kümmert das nicht, sie ist selber die Heldin, trägt ihre eigenen Waffen, braucht keine männlichen Retter. Und überhaupt, auf dem jüngsten Bild sind die iranische Rebellion und weibliche Solidarität in den sehr sichtbaren miteinander verflochtenen Zöpfen überaus präsent („Rising with the song of nymphs“, 2022).
An den gegenüberliegenden Wänden finden sich die ebenfalls superbunten objekthaften multimedialen Arbeiten von Gisela McDaniel (*1995, USA), die eine ähnliche Temperatur zu haben scheinen. Die mit Schmuck, Stoffen und anderen Objekten behängten Porträts folgen den ausführlichen Interviews, die die Künstlerin mit ihren Modellen geführt hat und beim Nähertreten hört man zum Beispiel von generationsübergreifenden Traumata als Frauen und nicht-binäre Personen. Die postkoloniale Geschichte und Ideologie ist andeutungsweise auch präsent in Anlehnung an Paul Gauguins idyllischen Südseephantasien. McDaniels Bilder erzählen ihre Geschichten selbst, das Offenlegen von Schmerz kann auch Heilung bewirken.
Kunst als Zeichen des Empowerment
In den 1920er und 30er Jahren hatte die Künstlerin Claude Cahun sich häufig maskiert, rasiert, verkleidet, hatte offen mit ihrer geschlechtlichen Identität gespielt und mit diesem selbstbewussten Statement die Kunstwelt irritiert.
Keltie Ferris (*1977, USA) hat seine Transition seit 2013 in der Serie „Body Prints“ dokumentiert, die den Weg vom weiblichen hin zum männlichen Körper begleitet und sichtbar werden lässt. Die Bilder erinnern ein wenig an Yves Kleins „Anthropomorphien“ aus den 60er Jahren, Abdrücke blaubemalter weiblicher Körper, die der Künstler über die Leinwand geschleift hat. Ferris indes benutzt Leinöl, Pigmente und den eigenen Körper, um etwas über sich selbst mitzuteilen.
Fast alle künstlerischen Positionen der Ausstellung kreisen in irgendeiner Weise um das Motiv des „Weiblichen“, um Selbstbestimmung und Empowerment - und setzen so ein Projekt fort, mit dem Künstlerinnen schon vor 100 Jahren begonnen haben. Abgeschlossen ist es noch nicht.
Zur Ausstellung
Die unhintergehbare Verflechtung aller Leben. Bis 17.09. 2023. Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4, 40213 Düsseldorf.
Beteiligte
Keltie Ferris (*1977 in Louisville/ USA, lebt und arbeitet in New York/ USA), Ilse Henin (*1944 in Köln, lebt und arbeitet in der Eifel), Hayv Kahraman (*1981 in Bagdad/ Irak, lebt und arbeitet in Los Angeles/ USA), Gisela McDaniel (*1995 in Nebraska/ USA, lebt und arbeitet in New York/ USA), Soraya Sharghi (* 1988 in Teheran/ Iran, lebt und arbeitet in New York/ USA), Emma Talbot (*1969 in London/UK, lebt und arbeitet in London/UK).