Jenny Michel lässt die Menschheit in Bergisch Gladbach untergehen. Aber die Ausstellung ist trotz sarkastischer Anflüge ein Vergnügen.
Kunstmuseum Villa ZandersWenn wir aussterben, bleibt von uns ein zartes Nichts auf Japanpapier
Es ist eine alte Frage: Was unterscheidet den Menschen von den anderen Bewohnern des Planeten Erde? Eine junge Antwort lautet: Die Vorstellung davon, dass wir als Spezies die Welt und damit unsere eigene Lebensgrundlage zerstören. Seit etwa zwei Jahrzehnten floriert daher die makabre Vorstellung, wie sich die Erde des Menschen entledigt, wenn dieser ihr diesen Gefallen nicht gleich selbst tut (etwa durch einen atomaren Weltkrieg).
Wie die Welt ohne uns aussehen würde, beschäftigt auch die Berliner Künstlerin Jenny Michel
Wie die Welt ohne uns aussehen würde, beschäftigt auch die Berliner Künstlerin Jenny Michel, die ihre Werke jetzt in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach zeigt. Sie entwirft Bilder, auf denen die Natur die Ruinen unserer Zivilisation erobert, was nichts Besonderes wäre, würde diese Rückeroberung nicht in Form wuchernder Papiercollagen geschehen. In einer Ecke des Museums hat Michel einen aus hauchfeinem Japanpapier, Draht und Leim bestehenden „Wandparasit“ drapiert, der die Zartheit eines Spinnennetzes besitzt und sich mit der Gefräßigkeit eines Schwamms ausbreitet. Dessen Grundnahrungsmittel ist auf Papier gespeichertes Wissen: Die dünnen Streifen sind mit Auszügen aus wissenschaftlichen Büchern, Plänen und Zeichnungen bedruckt.
Jenny Michel hat einen originellen Dreh für die aktuelle Lust am menschlichen Untergang gefunden. Sie zeigt keine Bilder einer entvölkerten Welt, sondern legt „lebende“ Papiergespinste über bis zur Unkenntlichkeit vergrößerte Kopien aus technischen Bauplänen, Lexika und Landkarten, also den Wissensspeichern, mit deren Hilfe wir unsere Zivilisation begründet haben. Auf einigen Druckgrafiken der Serie „Cracks in my Mind“ lassen sich die Schaltkreise unter den mit Pflanzenformen bedruckten Blättern noch erahnen. Aber meistens begräbt Michel unsere Welt in undurchdringlichen, nahezu abstrakten Überlagerungen.
Die Symbolik nutzlos gewordenen Wissens zieht sich durch die gesamte Ausstellung. Die „Paradise Vehicles“, zerklüftete Gebilde aus alten Obstkisten, Papier und Pappe, liegen gleich Schiffswracks auf dem Boden; ihre Außenwände sind mit Konstruktionsskizzen bedruckt. Für „Fallen Gardens“ löschte Michel ganze Bücher aus, indem sie die Schrift mit Klebstreifen von den Seiten löste. In Bergisch Gladbach fließen die meterlangen Tesafilme wie eine Traufe (oder die Äste einer Trauerweide) von der Decke auf den Boden, wo sie eine Buchstabenpfütze bilden.
Michel hat eine gelungene Mischung aus Wandbildern und filigranen Papierskulpturen nach Bergisch Gladbach gebracht; allein die Installationen des „Wandparasiten“, versichert Ina Dinter, Direktorin der Villa Zanders, dauerte einen ganzen Arbeitstag. Die „lebendige“ Schönheit der Arbeiten speist sich dabei keinesfalls allein aus den Formen der Natur. Auch technische Zeichnungen behalten bei Michel ihre ästhetischen Qualitäten, und selbst der banal gewordene Google-Earth-Blick bewahrt sich auf einem Großformat wie „Map Mutations - Kansas“ etwas Bezauberndes. Die ins Unendliche wuchernde Komposition aus unterschiedlich großen Kreisen (in verschiedenen Farben) geht auf die kreisrunde Bewässerung von Feldern in der US-Landwirtschaft zurück.
Gelegentlich hält Michel die Entzauberung der Welt an, indem sie uns auf die blinden Flecken der modernen Wissenschaften stößt. So bringt die Grafikserie „Drowning in Numbers“ die Drachen und Seeschlangen zurück, vor denen früher auf Weltkarten gewarnt wurde, wenn sich die bekannte Welt in unerforschte Meeresgegenden ergoss. In der Moderne wurden diese Ungeheuer als kindlicher Aberglaube aus den Ozeanen gefischt, aktuelle Seekarten bestehen aus einem Netz aus Zahlen und Linien, die reinste Abstraktion, ohne jedes Abenteuer. Dabei wissen wir immer noch nicht, was sich in der Tiefsee alles verbirgt; das Weltall ist angeblich deutlich besser erforscht.
Beim Thema der Ausstellung bleibt einem ein leichter Hang zum Sarkasmus nicht erspart. Wenn Jenny Michel Satzfetzen aus utopischen Weltentwürfen über Notfall- und Rettungswegpläne legt und beides im gestalterischen Chaos versinken lässt, ist das schon etwas gemein. Aber es stimmt ja: An eine bessere Zukunft glaubt derzeit niemand mehr, und die Fluchtwege scheinen allesamt verstellt.
„Jenny Michel: Soft Ruins“, Kunstmuseum Villa Zanders, Konrad-Adenauer-Platz 8, Bergisch Gladbach, Mi., Sa. 10-18 Uhr, Di. 14-18 Uhr, Do. 14-20 Uhr, So. 11-18 Uhr, bis 10. November 2024.