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Mein Kulturmonat mit Meryem Erkus„Der Stadt fehlt leider manchmal die Experimentierfreude“

Lesezeit 5 Minuten
Meryem Erkus steht vor der Galerie „GOLD+BETON". Sie trägt ein weißes Hemd. Hinter ihr bewirbt auf einer Scheibe ein Plakat die Veranstaltung „Brückenmusik“.

Meryem Erkus (Kuratorin) im Projektraum „Gold + Beton“.

Die Kuratorin Meryem Erkus betreibt am Ebertplatz den Kunstraum „Gold + Beton“. Für unser Format „Mein Kulturmonat“ erzählt sie, was sie am Ebertplatz schätzt und wo es in Köln Luft nach oben gibt.

Es ist bemerkenswert, wie viele freie Kunsträume es in Köln gibt. Mit AIC, den „Art Initiatives Cologne“, haben wir eine tolle Initiative, die mehr als 40 Projekte der freien Kunstszene miteinander verbindet. Es gibt alle zwei bis drei Jahre eine neue Karte, in der alle Räume abgebildet sind. Ich finde es erstaunlich, dass es trotz der Enge möglich ist, in Köln so viele Kunsträume zu haben, die mit minimalen Ressourcen und so viel Kreativität aktiv sind.

Vor allem, da die Kunstszene ja nicht immer niedrigschwellig ist. Es gibt ein Meme mit der Überschrift: „Jede Galerie, immer:“ und dazu ein Foto eines Zettels, der an einer Tür hängt, auf dem steht: "Die Tür ist nicht geschlossen, sie ist nur sehr, sehr schwer". So kam mir das auch vor, als ich damals versucht habe, mich in der Kölner Kunstszene zurechtzufinden, ohne jemanden zu kennen.

„Kunst + Beton“: Kuratorin lobt Temporary Gallery und Alte Tankstelle Deutz

Die Temporary Gallery ist da vorbildlich. Aneta Rostkowska, die Direktorin, hat es geschafft, den Raum so zu öffnen, dass er nicht mehr so elitär wirkt und sich viele Leute willkommen fühlen. Gastfreundschaft ist dort selbstverständlich. Der Raum ist zum Beispiel gerade kein White Cube, sondern eine bunte Torte. Die Wände sind rosa und gelb und der Boden ist schwarz-weißer Tortenfondant. Ein weiterer toller Raum ist die Alte Tankstelle Deutz. Das war früher ein Partyraum, den man privat mieten konnte, eine Tankstelle am östlichen Zubringer. Heute ist da ein Kunstraum.

Es sind mittlerweile auch viele junge queere Personen in Köln aktiv. Vor einigen Jahren habe ich noch gesagt: Köln ist schwul, aber nicht queer. Wenn man schwul ist, geht man in die Schaafenstraße oder in das Bermuda-Dreieck, aber für queere, oder non-binary people, oder Transpersonen gab es hier immer wenig öffentlichen Raum, kaum safer spaces, die auch heute noch nicht wirklich da sind. Aber es gibt jetzt viel Schwung, viele neue Projekte wie die intersektionalen Jugendlabore „iJuLa“, in dem künstlerische Projekte mit jungen Menschen stattfinden oder das Musikfestival „Kölnchella“ und viele andere.

Meryem Erkus: Kölner Verwaltung fehlt Experimentierfreude

Der Stadt fehlt aber leider manchmal die Experimentierfreude. Zum Beispiel beim Kronleuchtersaal. Das ist ein alter Saal, in den man zur Eröffnung für Kaiser Wilhelm II. zwei Kronleuchter eingebaut hat. Eine Weile spielten da Orchester, aber die Stadt hat das irgendwann verboten. Ein weiteres Beispiel: Wir versuchen seit sechs Jahren das Hallen-Kalk-Gelände für die Öffentlichkeit zu öffnen und bekommen immer noch die Ansage, dass da nichts stattfinden kann, obwohl Filmteams dort regelmäßig mit 50 Leuten unterwegs sind. Der Colonius, die Bastei. Beide sind nicht betretbar, das geht nicht in meinen Kopf. Es gibt zu viele kategorische Neins und zu viel Angst.

Ein Glück haben wir wenigtens ein engagiertes Kulturamt, das respektvoll und auf Augenhöhe mit uns redet, vor allem die Referentinnen. Es gibt das Kulturraum-Management, das genau solche Probleme, die Frage nach Kultur- und Freiräumen angeht, aber die kommen an ihre Grenzen, sobald sie mit dem Bauaufsichtsrat reden, dem Liegenschaftsamt, dem Vergabeamt. Da fehlt an vielen Stellen die Bereitschaft.

Meryem Erkus: Vorliebe für Brutalismus und Beton

Was mich persönlich in Köln ästhetisch anspricht? Ich stehe auf Beton und Brutalismus, da gibt es einige tolle Sachen. Zum Beispiel das Gebäude von der TH in Deutz, die Kirche Heiliger Johannes XXIII. an der Berrenrather Straße. Mir gefällt Markantes.

Es wird leider nicht wertgeschätzt, dass auch der Ebertplatz eine Skulptur ist, über die sich jemand wirklich Gedanken gemacht hat. Hier unten ist jede Säule genau 6,66 Meter voneinander entfernt. Wenn man hier von oben hinguckt, sind hier 29 verschiedene Baumarten, Baumarten, nicht Bäume. Es gibt hier 300 Quadratmeter Kulturfläche, über 60 Veranstaltungen pro Jahr. Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass das hier so gehasst wird. Für uns ist das ein safe space. Wo sonst kann man mitten in der Innenstadt laute Noise-Konzerte um 23 Uhr machen, ohne jemanden zu stören? Wir sitzen hier ja unter vier Metern Beton.

Ebertplatz Köln: Gruppen kommen, die woanders verdrängt werden

Neuerdings ist es natürlich etwas übler geworden, das liegt aber an der fehlenden Sozialarbeit und der neuen Aufmerksamkeit auf den Neumarkt. Oft kommen hier andere Gruppen hin, die woanders verdrängt werden. Ich sehe hier aber nicht mehr oder weniger Gefahr als an den Ringen, am Neumarkt oder an jedem anderen großstädtischen Platz. Wenn hier kontinuierliche Arbeit passieren würde, würde sich hier einiges ändern.

Wir Kunsträume arbeiten auch stetig daran, momentan zum Beispiel gemeinsam mit der TH Köln. Ende Juli werden wir temporäre Interventionen hier aufbauen: Eine Freitreppe, mehr Sitzgelegenheiten. Ich bin der Meinung, wenn man hier einmal richtig renoviert, unsere Fassaden erneuert, Lampen vereinheitlicht, bei denen nicht überall Kabel rausgucken, dass das hier auch für die Zukunft toll werden kann. Die Entwicklung wird jedenfalls ein interessanter Prozess.

Meryem Erkus: Drei Tipps für den August

1. Brückenmusik

Die Brückenmusik geht vom 28. Juli bis zum 06. August, es gibt stündlich Führungen ab 16 Uhr. Dann darf man durch die Deutzer Brücke spazieren. Hohler Beton, ein Echo von 12 Sekunden, das ist ein reiner Klangraum – unter einem das Wasser, oben die Straßenbahn. Dieses Jahr macht das Künstler*innenkollektiv „Black Quantum Futurism“ dort eine Ausstellung zum Thema Zeitreise und alternative Geschichtsschreibung.

Deutzer Brücke, Köln. Markmannsgasse. Toreinfahrt gegenüber vom Drumcenter Markmannsgasse 9-11. Eintritt 6 €, 4 € ermäßigt.

2. Kalkfest 2023

Das Kalkfest am 19.08. findet an mehr als 50 Orten im ganz Kalk statt. Dann gibt es ein dezentrales Programm in Nachbarschaftsräumen, Hinterhöfen und öffentliche Räumen. Es gibt Kunst, Musik, Essen. Das Motto lautet: Zeig mir deine Welt.

3. Guterstoff Festival

Am 25. und 26. August findet im „Gold + Beton“ und in der Gemeinde Köln das „guterstoff-Festival“ statt. Das gibt es schon seit ein paar Jahren in Köln. Es kommen einige Künstler*innen, die kollaborativ arbeiten und audiovisuelle Experimente machen. Sie bieten alles zwischen Musik und Kunst dar.

Zur Person

Meryem Erkus (Jahrgang 1984) ist gebürtige Kölnerin und freie Kuratorin. Sie ist kulturpolitisch in Köln aktiv und leitet u.a. den Kunstraum „Gold + Beton“ am Ebertplatz. Dort finden in erster Linie Ausstellungen statt, aber auch Konzerte und Lesungen. Als Kunstlabor gibt die Galerie auch jungen Kunstabsolventinnen und -absolventen die Chance, sich abseits des Hochschulbetriebs auszuprobieren.


Aufgezeichnet von Rafael Greboggy