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Landesmedienanstalt lässt Hisbollah-Sender sperren„Eine veritable Gefahr“

Lesezeit 8 Minuten
Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW

Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW

Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, sagt, die Zeit für Fensterreden sei beim Thema Desinformation und Extremismus vorbei.

Herr Schmid, die Medienanstalten haben erwirkt, dass die Kommission für Kinder- und Jugendmedienschutz eine Verfügung gegen die Telekommunikationsunternehmen in Deutschland erlassen hat, Al-Manar TV zu verbieten. Was hat es mit diesem Sender auf sich?

Der Sender Al-Manar ist ein Streaming-Angebot der Hisbollah. Er unterliegt einem Tätigkeitsverbot des Bundesinnenministeriums und verbreitet unserer Einschätzung nach extremistisch-propagandistische Inhalte. Dabei verwendet er Zeichen von Al-Manar. Das ist verboten. Deswegen untersagen wir die Verbreitung in Deutschland.

Warum erst jetzt?

Die Frage ist berechtigt, das ist ein Problem. Aber bei Eingriffen in die Medienfreiheit sieht die Rechtsordnung vor, dass wir zunächst gegen den Verursacher selbst vorgehen sollen. Im vorliegenden Fall ist das eben die Hisbollah. Nun erweist sich, wenig überraschend, das Vorgehen gegen die Hisbollah im Wege eines Verwaltungsaktes als wenig erfolgreich. Aber erst, wenn das aussichtslos ist, kann man diesen Inhalt sperren lassen. Diesen Schritt gehen wir jetzt.

Zeigt der Vorgang nicht, dass die Verfahren zu langwierig sind?

Ja, das ist so, und ich glaube auch, dass nach den Wahlen in der Bundesrepublik, in Europa und den USA und auch dem Anschlag in Solingen jedem klar sein müsste, dass für den Umgang mit diesem toxischen Gemisch aus Desinformation und Extremismus die Zeit der Fensterreden vorbei ist. Wir müssen wesentlich schneller handeln. Für uns als Aufsichtsbehörden wäre es sehr hilfreich, wenn der Gesetzgeber an dieser Stelle nachschärfen würde.

Eine Frau verkauft im Libanon Flaggen der Terrororganisation Hisbollah und ihres mittlerweile getöteten Anführers Sayyed Hassan Nasrallah.

Eine Frau verkauft im Libanon Flaggen der Terrororganisation Hisbollah und ihres mittlerweile getöteten Anführers Sayyed Hassan Nasrallah.

Wie?

Das Einfachste wäre, wenn wir zum Beispiel Vereinsverbote des Bundesinnenministeriums unmittelbar im Bereich Medien vollziehen könnten. Al-Manar ist schon seit vielen Jahren verboten, wir haben aber aktuell keine Rechtsgrundlage, zu sagen: Es gibt ein Verbot, also untersagen wir auch das Medienangebot. Das muss geändert werden.

Wieso sind eigentlich Sie als Medienanstalt zuständig?

Das ist in so einem Fall eine berechtigte Frage. Es käme auch das Bundeskriminalamt wegen der terroristischen Inhalte infrage. Am Ende liegt es aber bei uns, der Medienaufsicht, weil nach dem deutschen Rechtssystem nur eine staatsferne Einrichtung entscheiden kann, ob ein Inhalt rechtswidrig ist oder nicht. Die Landesanstalt für Medien NRW wird in diesem Fall für die gesamte Bundesrepublik tätig.

Wir sprechen von einem Verbotsverfahren in Deutschland. Solche Gruppen sind aber weltweit tätig. Kann man lokale Lösungen für globale Probleme finden?

Ich glaube, man muss aufpassen, nicht in eine Komplexitätsfalle zu rennen. Lassen Sie uns realistisch sein. Wir werden das Problem nicht weltweit lösen. Wir werden mit Ländern wie China oder selbst der Türkei dabei nicht übereinkommen. Aber das brauchen wir vielleicht auch gar nicht. Es spricht nichts dagegen, in den Fällen, in denen die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland mit extremistischen, antisemitischen und propagandistischen Inhalten adressiert wird, für das Gebiet der Bundesrepublik tätig zu werden. Es gibt im Übrigen eine Menge Online-Anbieter, die sich in China an alle Gesetze dort halten können. Mir ist unklar, warum sie das hier nicht tun sollten. Wir sollten in dem Bereich, auf den wir Einfluss haben, Demokratie und freie Gesellschaft schützen.

Wenn wir eine Seite verbieten, können wir in Zukunft alle Seiten identischen Inhalts verbieten
Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW

Wie groß ist die Gefahr, dass die Inhalte, wenn die Seite nun abgeschaltet wird, kurze Zeit später anderswo im Netz ausgespielt werden?

Auf diese Frage habe ich drei Antworten. Erstens: Ich weiß nicht, ob die Hisbollah momentan den Nerv dafür hat, sich Spiegeldomains zur Umgehung auszudenken. Der zweite Punkt ist: Der Gesetzgeber schärft an dieser Stelle nach. Wenn wir eine Seite verbieten, können wir in Zukunft alle Seiten identischen Inhalts verbieten. Der dritte Punkt ist mir besonders wichtig: Die Industrie, also die Telekommunikationsunternehmen, könnten eine solche Sperrverfügung ja auch zum Anlass nehmen, aus sich heraus tätig zu werden. Ja, das ist ein zweischneidiges Schwert, Telekommunikationsunternehmen können Inhalte nicht einfach sperren. Im vorliegenden Fall reden wir aber über das Angebot einer offensichtlich terroristischen Organisation.

Kommen die Unternehmen also Ihrer Verantwortung nicht nach?

Das ist eine schwierige Frage. Die Rechtslage ist so, wie sie ist. Sie können nicht einfach Inhalte sperren. Das ist auch gut so. Hier haben wir aber eine besondere Situation, einen Cocktail aus desinformierenden und extremistischen Inhalten. Das Beispiel Solingen macht klar, dass das zu einer veritablen Gefahr führt. Ich glaube, wir werden unser Denken überprüfen müssen.

In welcher Hinsicht?

Wir müssen lernen, mit dem Thema Meinungsfreiheit selbstverständlicher umzugehen und demokratisch gelassen zu sein. Das ist der Ausgangspunkt. Im Grunde sind erstmal viele Inhalte zulässig, aber - und das machen diese Fälle deutlich - diese Meinungsfreiheit hat Grenzen. Diese Grenzen sichern absolute Schutzgüter, wie zum Beispiel die Menschenwürde. Wenn diese Schutzgüter verletzt werden, müssen wir entschlossen einschreiten. Denn nur, wenn wir unsere demokratischen Werte verteidigen, funktioniert die Freiheit in der Mitte. Die Inhalte, über die wir hier reden, haben ja nichts anderes zum Ziel, als genau diese Freiheit zu zerstören. Das ist das Infame. Sie missbrauchen das Gut der Meinungsfreiheit, um genau diese kaputt zu machen.

Das allein wird das Problem nicht lösen.

Wir müssen auch besser verstehen, warum solche Inhalte eigentlich entstehen. Was ist die Ursache? Dass sie hetzend oder desinformierend sind, sieht die Bevölkerung. Es ist ihr in Teilen vielleicht manchmal egal, aber das liegt vermutlich auch daran, dass man nicht sofort erkennt, welche Gefahr für die Gesellschaft in solchen Inhalten liegt. Wir müssen alle Verantwortung übernehmen. Natürlich muss die Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Landesbehörden funktionieren, aber es ist eben auch Sache der Industrie und der Gesellschaft, sich zu überlegen, was jeder tun kann, um dem Aufkleber „Nie mehr ist jetzt“ auch im täglichen Handeln Nachdruck zu verleihen. Das ist nicht einfach, aber würde man sich zusammensetzen, könnte man sehr viel schneller zu einem Ergebnis kommen, als wenn man sich hinter dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht verbarrikadiert.

Sie sagen, die meisten Menschen erkennen Desinformation. Sind Sie da nicht etwas zu optimistisch?

Natürlich gibt es Desinformation, die schwer zu erkennen ist. Das bekannteste Beispiel ist wahrscheinlich die über Wochen in allen Medien befindliche Geschichte zu den Bettwanzen in Paris. Im Nachhinein stellte es sich heraus, dass die Geschichte nicht nur nicht stimmte, sondern dass sie ganz bewusst lanciert worden war, um vor den Sport-Großereignissen in Paris Verunsicherung zu verbreiten. Da ist es schwer zu erkennen, dass das eigentliche Ziel ist, Vertrauen in staatliche Institutionen und das Miteinander zu untergraben.

Das Prinzip einer demokratischen Gesellschaft ist: Erstmal kann jeder sagen, was er oder sie will
Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW

Und es hilft, wenn man das den Menschen aufzeigt?

Ja, vielleicht hilft es, wenn man weiß, dass Staaten wie Russland tatsächlich Organisationen betreiben, deren Aufgabe es ist, solche Geschichten zu platzieren. Wem nutzt das? Cui bono? Ich glaube, wir müssen beides tun: Wir müssen erklären, wie man Desinformation erkennt, aber zur selben Zeit sollten wir den Hintergrund von Desinformationen ausleuchten und erklären, dass sie uns in unseren Grundfesten erschüttern und manipulieren soll. Sie soll unser Vertrauen untergraben und Misstrauen säen. Und das gelingt nicht so schlecht.

Aber müsste man nicht früher ansetzen und Desinformation bekämpfen, bevor sie sich verbreiten kann?

Wenn ich einen Inhalt vorab verbiete, betreibe ich Zensur. Das Prinzip einer demokratischen Gesellschaft ist: Erstmal kann jeder sagen, was er oder sie will. Nur wenn er dabei gegen Regeln verstößt, können wir im Nachhinein tätig werden, niemals im Vorhinein. Es ist sinnvoll, die Kompetenz der Bevölkerung in diesem Bereich zu verbessern, vorab zu erklären, was kommen wird und warum. Wenn die Ukraine von Russland überfallen wird, wissen wir, dass es einige Wochen später viele Geflüchtete gibt. Dann können wir herunterzählen, bis Geschichten auftauchen, in denen behauptet wird, dass sie Supermärkte überfallen oder Frauen vergewaltigen, weil dieser Mechanismus immer in Gang kommt, wenn die Angst der Bevölkerung benutzt werden soll. Das könnte man erklären. Es ist aber nicht einfach, weil man dafür die Breite der Bevölkerung erreichen muss.

Wie kann das gelingen? Die Bettwanzen-Geschichte geht viral, die Aufklärung über die Vorgänge sicher nicht.

Das stimmt, wir sind vielleicht die schönste Medienanstalt der Welt, aber da geht natürlich überhaupt nichts viral. Regulierung ist immer Mittelstrecke. Kurzfristig kann man auf die meisten Dinge kaum reagieren, weil Demokratie mit ihren berechtigten Sicherungsmechanismen eben kompliziert ist. Aber gerade in den Schulen können wir mit Angeboten wie den Medienscouts Schülerinnen und Schülern mit solchen Beispielen beibringen, wie Desinformation funktioniert. Und wenn die später wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger sind, haben sie es zumindest schon mal gehört und werden es vielleicht einordnen können.

Um darauf zu hoffen, braucht es aber viel Optimismus.

Ja, da braucht man ein bisschen Optimismus, aber für den Job, den ich mache, braucht man ohnehin Optimismus. Und aufgeben ist keine Option.

Sie betonen, wie sehr die Meinungsfreiheit bei uns geschützt wird. Aber das Narrativ ist bei vielen ein anderes: Man darf gar nichts mehr sagen. Frustriert Sie das?

Ja, das ist nervtötend, aber so ist es. Jeder darf meinen, was er will, selbst wenn er meint, dass er hier nichts meinen dürfe. In dem Moment, in dem er meint, dass er nichts mehr meinen dürfe, müsste ihm auffallen, dass das eine merkwürdige Aussage ist. Vor allen Dingen, wenn er sie dann noch auf ein Plakat schreibt. Dieser Widerspruch ist offensichtlich. Mehr Meinungsfreiheit als bei uns ist schwer vorstellbar. Wir müssen sie erhalten, deswegen stellen wir uns als Medienaufsicht auch gegen Zensur. Wir stehen dafür ein, dass die Verfahren unserer Rechtsordnung eingehalten werden. Dass man trotzdem die Effizienz erhöhen muss, steht aber außer Frage.