Köln – In den vergangenen Wochen war die Auslastung der Konzerte in der Philharmonie eher mau. Beim Klavierabend des chinesischen Starpianisten Lang Lang dagegen war das Haus fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Eine Trendumkehr? Eher hatte wohl die Aussicht auf ein Klassik-Event der Superlative auch jene Musikfreunde mobilisiert, die sonst gerade zaudern. So ganz wohl fühlte man sich denn auch nicht im großen Saal, der an diesem Abend einer Sardinenbüchse glich - und von den geforderten 1,5 Metern Sicherheitsabstand am Eingang und auf den Wegen im Haus konnte gleichfalls keine Rede sein.
Immerhin: Es gab keine Pause, was sich bei Bachs „Goldberg-Variationen“ natürlich auch verboten hätte. Lang Lang hat das epochale Werk im vergangenen Jahr auf CD eingespielt; eine Aufnahme, die seitens der Deutschen Grammophon von einem sorgfältig ausgearbeiteten Narrativ begleitet wurde. Danach nähert sich der Pianist schon seit 20 Jahren der „Aria mit 30 Veränderungen“. Bereits als 17-jähriger („nachts in einem leeren Theater“) bezauberte er damit den Kollegen Christoph Eschenbach.
Lang Lang in Köln: Nicht besonders barock
Später ließ sich Lang Lang von Nikolaus Harnoncourt in die Geheimnisse des Werkes einführen: „Du spielst sehr schön, aber es klingt nicht einsam genug.“ Weitere Einsichten vermittelte ihm die Begegnung mit der historischen Orgel der Arnstadter Kirche, wo der Meister anno 1703 seine erste Organistenstelle antrat. „Ich konnte“, so Lang Lang, „den Rhythmus und den Puls des barocken Spiels spüren.“
Besonders barock wollte Lang Langs Werksicht in der Philharmonie freilich nicht erscheinen; man darf wohl auch bezweifeln, dass der stilstrenge Nikolaus Harnoncourt mit dem Resultat seiner Einweisung sehr glücklich gewesen wäre. Was im Saal deutlicher hervortrat als auf der CD, war eine charakteristische Mischung aus Raffinesse und Naivität. Einerseits wirkte Lang Langs Interpretation in hohem Maße „erdacht“; da war kein Takt, von dem er nicht spezifisch etwas wollte, kein Detail, das seiner gestaltenden Aufmerksamkeit entging. Andererseits überließ er sich immer wieder genießerisch den Schönheiten der Musik, wie sie etwa im figurativen Blütenflor der 13. Variation so hinreißend hervortreten.
Die Adagio-Variation 25 dauerte zehn Minuten
Dabei verschmähte er auch nicht die Pedalwirkungen, die der moderne Flügel möglich macht, die dem Geist dieser Musik aber eher fremd sind. So brachte die leicht vernebelte Textur der 11. Variation zugleich auch die Metrik ins Schweben, so dass man beim Hören beständig zwischen Zwei- und Dreiteilung der Sechzehntelbewegung schwankte. Auffällig war auch die Neigung zu extremen Tempi - die raschen Variationen wurden zu virtuosen Kabinettstückchen, die langsamen vollzogen sich wie in Zeitlupe.
Die berühmte Adagio-Variation 25 dauerte auf diese Weise geschlagene zehn Minuten, die Lang Lang aber mühelos zu füllen wusste: Bis in die letzte Verästelung dieser unerhört kühnen und komplexen Musik war jede Note ausgefüllt und abgewogen.
Angesichts der sanften Verirrung und Entrückung, in die der Pianist sein Publikum da führte, erübrigten sich alle Stil- und Geschmacksfragen - aber das war nicht immer so. Viele Entscheidungen wirkten mutwillig; die Beleuchtungswechsel, die Lang Lang in den Wiederholungen unternahm, ergaben oft wenig Sinn. So richtete er auch da den Spot gerne auf die Basslinie, wo sie keine melodische, sondern eine harmonisch tragende Funktion hatte. Das wirkte demonstrativ, didaktisch, vorführend - schon in der Aria.
Warum Lang Lang Bachs Monumentalwerk noch Schumanns Arabeske op. 18 vorangehen ließ, erschloss sich nicht so recht, zumal man der zerdehnten, zergliederten Lesart des freundlich-schlichten Stückes nicht recht froh wurde. Im Publikum gab es an diesem langen Abend hinsichtlich Spannung und Aufmerksamkeit zuweilen unüberhörbare Löcher. Gleichwohl war am Ende der Jubel groß - und wurde noch größer, nachdem Beethovens „Für Elise“ wie eine melancholische Brise durch den Raum geweht war.