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Lesung mit Aslı Erdoğan„Ich bin entschlossen zurückzukehren“

Lesezeit 4 Minuten
Aslı Erdoğan hat ihr Buch vor sich auf einem Tisch liegen liegen und spricht in ein Mikrofon. Sie hat rote Haare und trägt eine Mütze.

Aslı Erdoğan liest im Literaturhaus „Requiem für eine verlorene Stadt“. Das Buch der türkischen Autorin ist jetzt in der deutschen Übersetzung erschienen.

Die türkische Autorin Aslı Erdoğan lebt im Exil in Deutschland. Ihr Buch „Requiem für eine verlorene Stadt“ stellte sie im Literaturhaus Köln vor.

Aslı Erdoğan ist viel rumgekommen. Die türkische Autorin arbeitete als Physikerin beim CERN in der Schweiz, kam nach Brasilien und lebt seit fünfeinhalb Jahren in Berlin. Für sie eine große Irrfahrt, die sie schon „Exil“ nannte, bevor sie tatsächlich zur Exilantin wurde: Nach ihrer Rückkehr in die Türkei kam sie 2016 wegen ihrer Fürsprache für die kurdische Minderheit ins Gefängnis. Als sie entlassen wurde und wieder reisen durfte, suchte sie wegen der Befürchtung einer neuen Verhaftung Asyl in Deutschland.

Aslı Erdoğan stellte im Literaturhaus Köln ihr Buch vor

Im Literaturhaus Köln stellte sie ihr Buch „Requiem einer verlorenen Stadt“ vor, das von Gerhard Meier ins Deutsche übersetzt und dabei in eine neue Form gebracht wurde. Mit der Ergänzung um weitere Passagen, die im türkischen Original fehlen, wurde so aus der deutschen Fassung ein eigenes Werk. Für die Lesung trug Moderator und Lyriker Gerrit Wustmann den Text vor und kam dank der Dolmetscherin Ciler Firtina auch mit der Autorin ins Gespräch.

Die Texte aus ihrem Buch hat Aslı Erdoğan teilweise vor 20 oder 30 Jahren geschrieben, sie sprechen aber geradezu prophetisch in ihr neues Leben hinein. Ihre Haft sagte sie im Text „Lebenslauf einer Gefängnismauer“ voraus, in dem jeder Satz für einen weiteren Strich steht, den man mit jedem vergangenem Lebensjahr in die Gefängnismauer ritzt. Im Ursprungswerk hat sie so 37 Sätze verfasst. „Als ich im Alter von 49 ins Gefängnis kam, musste ich 12 weitere Sätze dazuschreiben. So habe ich meinen Lebenslauf weiter vervollständigt“, erzählt sie.

„Requiem für eine verlorene Stadt“ hat eine mythologische Tiefe

Ihre Texte haben dabei keinen horoskopischen Charakter, sprechen nicht in jede Lebenssituation, weil sie überabstrakt und vage sind. Für ihr Buch hat sie eine Stimme gefunden, die eine mythologische Tiefe hat, etwas die Menschheit umspannendes. Es ist daher nicht verwunderlich, dass neben Texten von Paul Celan und Jacques Lacan auch griechische und ägyptische Mythologie zu ihren vielen Inspirationsquellen zählen.

Sie löst Figurengrenzen auf, riskiert es den Leser mit einem „Du“ direkt anzusprechen, verwischt dann aber die Grenze zwischen „Ich“ und „Du“. Gepaart mit ihren mythologischen Kenntnissen entsteht ein dichtes, hochpoetisches und sensibles Werk, das Vertreibung als ein sich von der Antike bis in die Gegenwart erstreckendes Phänomen begreifbar macht; als Verlust, der eine ständige Suche nach Zugehörigkeit nach sich zieht. „Ich habe Istanbul verloren, als ich im Gefängnis war und meine Beziehung zu meiner türkischen Sprache verloren habe.“

Ein weiblicher Odysseus

In ihren Texten findet sich also eine besondere Stimme. Diese beschreibt sie als ein weiblicher Odysseus, „nur mit dem Unterschied, dass bei ihrer Rückkehr kein Ithaka vorhanden sein wird, wohin sie zurückkehren kann.“ Mit diesem Verlust drängt sie in einen Kernpunkt ihrer mythologischen Erzählweise, der sogar noch älter ist als die Odyssee. „Ins Exil zu gehen ist eines der ältesten Metaphern des menschlichen Daseins. Der Mensch wurde ja auch aus dem Paradies vertrieben, das ist sozusagen ein erstes Exil.“

Auch der britische Dichter Alfred Tennysson griff den Stoff um Odysseus in einem Gedicht auf. Dort will der griechische Sagenheld nach seiner Rückkehr noch einmal ausfahren, auch wenn sein Alter ihm zugesetzt hat. Er hat immer noch einen starken Willen und die tiefe Überzeugung, dass es noch nicht zu spät ist, um neue Länder zu entdecken.

Aslı Erdoğans ist eine gänzlich andere Sagengestalt. Auf die Nachfrage des Moderators, ob sie auf eine Rückkehr hofft oder sich mit ihrem Schicksal im Exil arrangiert hat, erzählt sie: „Es mag sich verrückt anhören, aber ich bin entschlossen zurückzukehren. Ich habe gesundheitliche Probleme und vielleicht werde ich deswegen emotional und will zurückkehren in mein eigenes Bett. Ich bin nicht mehr so abenteuerlich, bin nicht mehr so jung.“ Diesem weiblichen Odysseus steht noch eine Heimkehr bevor, und es bleibt zu hoffen, dass ihr Ithaka an diesem Tag ihre Heimatliebe erkennt und sie mit offenen Armen begrüßt.

Aslı Erdoğan: Requiem für eine verlorene Stadt. Aus dem Türkischen übersetzt von Gerhard Meier. Penguin Verlag, 128 Seiten, 22€.