In „Exil. Eine europäische Erzählung“ erzählt Nuran David Calis im Schauspiel Köln von den Schicksalen Geflüchteter.
Premiere im Schauspiel KölnMan verlässt „Exil“ mit Wut im Bauch
Wer glaubt noch an den Traum von Europa? Die Europäer? Wohl kaum. Doch wie stark, fragt Nuran David Calis in seiner neuen Stückentwicklung für das Schauspiel Köln, muss dieser Traum in den Herzen derjenigen glühen, die alles opfern, um verzweifelt gegen die streng bewachten Grenzen des Kontinents anzurennen? Die von den Grenzschützern ihres Hoffnungsortes zurück ins Meer getrieben, den Elementen und oft genug dem Tod überlassen werden?
Der Regisseur ist selbst Kind Geflüchteter. In „Exil. Eine europäische Erzählung“ bringt er nun nicht nur verschiedene Fluchtbewegungen zusammen, die hierzulande auf ganz unterschiedliche Reaktionen stießen – aus der Ukraine, aus Afghanistan und Syrien, vom afrikanischen Kontinent. Er fragt zudem, was es für die Geflüchteten bedeutet, in der Fremde zu leben.
Zunächst dominiert der russische Angriffskrieg auf die Ukraine den Abend: Das Ensemble sitzt in einem großen Glaskasten (Bühne: Anne Ehrlich), der dem Warte- und Ausnahmezustand des Exils eine äußere Form gibt: „Nur das „Weh“, es blieb/ Das „Heim“ ist fort“, heißt es in einem im Programmheft abgedruckten Gedicht der vor den Nazis geflohenen Dichterin Mascha Kaléko.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dominiert den Abend
An eine der Scheiben des Kastens drückt sich der ukrainische Schauspieler Oleksii Dorychevskyi. Er erzählt, nein beklagt, die Geschichte seiner Flucht aus Kiew, mit Frau und anderthalbjährigem Sohn, die Stefko Hanushevksy simultan dolmetscht.
Hätte er seine Familie allein lassen sollen?, fragt sich Dorychevskyi. Er wurde als wehruntauglich eingestuft, dennoch plagt ihn das schlechte Gewissen. Er liebt sein Land, was hat er bloß in Deutschland verloren?
Unter der Glasglocke scheint die Zeit angehalten. Hinter dem hölzernen Esstisch, an dem sich die Schauspieler versammeln, um noch einmal deutsche Esstischdebatten durchzuexerzieren – etwa von den „Mentalitätsunterschieden“ schwafeln, die angeblich ukrainische Flüchtlinge von solchen aus Afrika oder Asien unterscheiden – stürzt gerade ein Küchenregal ein. Tassen und Gläser verharren auf der schiefen Ebene, ohne herunterzufallen.
Eine Spielplatzschaukel mit eingefrorenem Kind
Im Mittelpunkt der Bühne steht eine Spielplatzschaukel mit einem Kind, das mitten im Flug eingefroren ist. Hinten rechts befindet sich noch eine vernebelte Kammer, in der sich die Protagonisten in ihrem jeweiligen Exil-Weh vereinzeln können. Der Raum funktioniert nur bedingt, die Live-Bilder von den LED-Schirmen können nicht die direkte Konfrontation ersetzen und die Worte und Sprüche („Exil ist erzwungene Hoffnung“), die die Darsteller mit weißem Stift auf die Glasscheiben schreiben, wirken eher wie Beschäftigungstherapie.
Auch die assoziativen Gedankenspiele, wie sie etwa Kristen Steffen in einem furios gespielten Solo über die Grenzen der Sprache anstellt, stehen ein wenig unvermittelt neben den konkreten Geschichten, mit denen Nuran David Calis sein Publikum konfrontieren will. Direkt Betroffene (abgesehen von Dorychevskyi, aber der ist ja professioneller Schauspieler) kommen diesmal nur über Videoausschnitte nur allzu kurz zu Wort.
Im Gegensatz zu vielen anderen Abenden, die Calis in Köln in den vergangenen Jahren inszeniert hat: Man erinnere sich nur an seine erschütternde Produktion vom 30. Jahrestag des rassistischen Mordanschlags von Mölln im vergangenen April, bei der zwei Überlebende mutig die Bühne betraten, und man eigentlich zum ersten Mal die Geschichte aus der einzig gültigen Perspektive, nämlich derjenigen der Opfer, zu hören bekam.
Unzumutbare Zustände in griechischen Flüchtlingscamps
Erst am Ende des Abends verlassen die Schauspieler endlich den Glaskasten. Ein Pult mit Laptop wird herangerollt, zwei Skype-Anrufe gehen nach Lesbos und Samos. Von der ersten Insel meldet sich die Mitarbeiterin einer NGO, berichtet von den unzumutbaren Zuständen, unter denen Geflüchtete dort in einem Camp leben müssen.
Auf Samos wendet sich ein Mensch im Exil direkt an uns: Hassan musste als schwuler Mann aus Uganda flüchten. Seine Geschichte ist ein einziges Martyrium aus falschen Versprechungen, Gefängnis, Pushbacks, Internierungen. Die schwache Wlan-Verbindung liefert den eindrücklichsten Moment des arg mäandernden Abends. Man verlässt das Depot 2 mit Wut im Bauch und schamrotem Kopf.
Nächste Termine: 27., 29. Januar, 10., 14. Februar, Schauspiel Köln, Depot 2, 105 Minuten, keine Pause