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lit.Cologne 2025Herbert Grönemeyer spricht über seine prägenden Kölner Jahre

Lesezeit 5 Minuten
Michael Lentz und Herbert Grönemeyer sitzen sich auf der Bühne der Philharmonie gegenüber.

Herbert Grönemeyer (r.) wird in der Kölner Philharmonie von Michael Lentz befragt.

Herbert Grönemeyer gibt in der Philharmonie erstaunliche Einblicke in seinen kreativen Prozess und erzählt Anekdoten aus seiner Kölner Zeit.

Endlich, es geht schon auf elf Uhr zu, kommt die erlösende Frage aus dem Publikum: „Hätten Sie Lust, uns noch ein Lied vorzuspielen?“ Nein. Herbert Grönemeyer schüttelt den Kopf: Nein, nein, nein. Erhebt sich aber noch im selben Augenblick von seinem Stuhl, setzt sich an den bereitstehenden Flügel – und stimmt erst einmal, wir sind schließlich in seiner alten Wahlheimat Köln, den bekannten Klüngelköpp'schen Karnevalsschlager an: „Wenn am Himmel die Stääne danze/Und der Dom sing Jlocke spillt.“ Die Menschen in der ausverkauften Philharmonie stimmen fröhlich mit ein. Leben sie doch, wie Grönemeyer am Anfang des Abends bemerkt hatte, in der einzigen Stadt in Deutschland, in der man auf die Frage „Wie geht es dir?“ antwortet: „Ja, super!“

Jetzt passt kein Blatt Papier mehr zwischen ihnen und ihrem Herbert. Der nutzt den einträchtigen Moment und wechselt ins Balladeske: „Manchmal legt der Tau sich auf mich/Und dann werd’ ich leise traurig.“ Eine Druckwelle der Melancholie pflanzt sich von der Bühne über die ansteigenden Sitzreihen fort. Umwerfend. Der Applaus will nicht enden, vielleicht auch als Ausdruck der Erleichterung. Zuvor hatte man lange den Ausführungen von Michael Lentz gelauscht, Herbert Grönemeyers Gesprächspartner an diesem lit.Cologne-Abend. Erst mit Interesse, dann mit wachsender Ermüdung.

Warum Herbert Grönemeyer am liebsten ohne Sinn singt

Der Autor und Literaturprofessor verhandelt gleich mehrere Themenkomplexe im Werk seines Freundes und Forschungsgegenstands, ohne diesen dabei weiter zu Wort kommen zu lassen. Lentz, stolzer Autor einer 380 Seiten umfassenden Monografie namens „Grönemeyer“, doziert über „diatonische Akkorderweiterungen“ in dessen Liedern und über den subtilen Übergang von f- zu as-Moll. Erklärt en passant das Ende der Sowjetunion mit der Unterzeichnung der Belowescher Vereinbarungen. Oder vermeint Spuren von Martin Heidegger in jenem pseudo-englischen Kauderwelsch zu entdecken, mit dem Grönemeyer seine Songs intoniert, bevor er sich an die ungeliebte Arbeit der Textdichtung setzt, oft erst in letzter Minute.

Der Sänger selbst nennt diese Lautmalereien „Bananentexte“: „Da kann ich singen, wie ich will.“ Spricht's und setzt sich ans Klavier und klimpert unsinnig singend drauflos. Es klingt sofort nach ihm, es klingt, als könnte just in diesem Moment der nächste Grönemeyer-Klassiker entstehen. Ein wenig so, wie bei Paul McCartney, wenn der in der gleichnamigen Peter-Jackson-Dokumentation aus dem Stand heraus „Get Back“ komponiert.

„Wir Westfalen legen vorher genau fest, wann wir sterben. Der Kölner erfreut sich an der eigenen Unzuverlässigkeit.“
Herbert Grönemeyer

Keine von Michael Lentz' Einsichten und Analysen ist uninteressant oder gar töricht, selbst wenn es vielen Zuhörern so gehen mag, wie dem Gemeinten: „Ich höre Dir gerne zu, wenn Du redest, aber ich verstehe nur die Hälfte.“ Im Gegenteil, Lentz' macht sich wenigstens die Mühe, die Ursachen der erstaunlichen Wirkung freizulegen, die Grönemeyers Schaffen auf so viele Menschen in diesem Land hat. Anstatt immer nur den Fakt zu wiederholen, dass er den Deutschen aus der Seele singt.

Man wünschte nur, er hätte dazu auch ein paar Fragen an den Künstler selbst. Wo der nun schon mal da ist. Stattdessen stellt Lentz nach einer ausführlichen Exegese über „Tonbeugungen“ in dessen Liedern gegenüber seinem Gesprächspartner fest: „Das hat Dich nicht weiter zu beschäftigen.“ Woraufhin der flachst: „Tut es auch nicht.“   Viel lieber möchte Grönemeyer an diesem Abend nämlich Dönekes erzählen. Von seinem Vater, dem Bergbauingenieur, der in Stalingrad einen Arm verloren hatte, aber nicht seine Lebenslust. Von seiner melancholisch-musischen Mutter aus Tallinn. Von den vielen Tanten, die ihm und seinen Brüdern mehrstimmig russische Schlaflieder am Bett vortrugen (er singt sogar eines).

Grönemeyers Albumtitel „4630 Bochum“ bereitete seinem Label Kopfzerbrechen

Vor allem aber aus seinen Kölner Jahren. Von der zehnköpfigen Jazzcombo, in der er unter anderem mit Markus Stockhausen gespielt hatte, von leutseligen Klempnern, von den Buhstürmen bei einem Auftritt in der von Lotti Krekel moderierten Talentprobe. Und von jener Frau Schmitz aus der Künstlerkantine der EMI, die keinen anderen an den Teller Frikadellen gelassen hat: „Die sind alle für den Grönemeyer.“ Zwischen 1979 und '93 hatte er in der Stadt gelebt, die weiter weg von Bochum sei, als jede andere Metropole: „Wir Westfalen legen vorher genau fest, wann wir sterben. Der Kölner erfreut sich an der eigenen Unzuverlässigkeit.“

Noch als Gymnasiast hatte Grönemeyer als Pianist am Bochumer Schauspielhaus angefangen, mit 19 Jahren war er bereits dessen musikalischer Leiter. Niemand, erzählt er in der Philharmonie, habe jemals so an ihm geglaubt wie Bochums berühmter Intendant Peter Zadek: „Der hat irgendwas in mir gesehen. Vielleicht, weil ich auch so chaotisch arbeite wie er.“ Zadeks Radikalität habe ihn bis heute geprägt.

Nach Köln hatte es ihn jedoch als Teil des Schauspiel-Ensembles von Jürgen Flimm verschlagen. Auf der Bühne und im Film feierte er damals erste Erfolge, den Sänger wollte lange niemand hören. Erst „4630 Bochum“, sein erstes Album für die EMI, machte ihn zum Superstar, obwohl das Label Bedenken wegen des Titels hatte: „Bochum? Das kauft doch schon in Bottrop keiner mehr.“

Tatsächlich, sagt Grönemeyer, seien damals 15 bis 20.000 Exemplare des Albums täglich über die Ladentheke gegangen. Die vier Langspielplatten davor waren fürchterlich gefloppt und zumindest die ersten beiden seien auch furchtbar schlecht gewesen, schätzt er. „Aber ‚Bochum‘, ‚Sprünge‘ und ‚Ö‘, das sind alles Kölner Platten. Da wollte ich der Kölner Musikszene auch zeigen, was ich kann.“

Zum Ende hin wird es kurz staatstragend, Michael Lentz zitiert Grönemeyers „Amerika“-Lied und stellt dem Sänger endlich doch noch eine Frage, die nach der Politik. „Für mich war Rockmusik immer politisch“, antwortet der, „und ich finde politische Lieder heute wichtiger denn je.“ Die deutsche Gesellschaft sei wesentlich reifer als man glaube. Spricht's und bittet das Publikum um Fragen, wohl wissend, dass man ihn um ein Lied bitten wird.