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Katja Riemann und Harald Welzer bei der lit.CologneSo viel Empathie steckt letztlich in uns

Lesezeit 3 Minuten
Katja Riemann trägt ein schwarzes Hemd und lächelt. Sie hat eine Schiene am linken Arm. Im Hintergrund ein blaues Banner der lit.Cologne und violette Beleuchtung.

Katja Riemann bei der lit.Cologne 2024

Katja Riemann besuchte für ein Buch Orte der Flucht. Ihre Erfahrungen teilt sie mit Harald Welzer bei der lit.Cologne.

„Die Zeit bleibt nicht stehen, auch hinter Zäunen nicht, auch in Zeiten der Flucht nicht.“ Mit diesen Worten beschreibt Katja Riemann in „Zeit der Zäune“ das Leben im Interim. Für ihr Buch ist sie zum griechischen Flüchtlingslager Moria gereist, war in Bosnien und lernte Exil-Tibeter in Nordindien kennen. Dabei bezeugte sie immer wieder den Gestaltungswillen von Menschen in Not.

Katja Riemann und Harald Welzer sprechen bei der lit.Cologne über Flucht

Ihre Erfahrungen schilderte die Schauspielerin auch bei der lit.Cologne und trat dafür mit Harald Welzer in der Volksbühne am Rudolfsplatz auf. Dabei trug sie wegen eines gebrochenen Armes eine Schiene. Trotzdem stand sie auf, um aus „Zeit der Zäune“ vorzutragen und hielt die Textauszüge in einer Mappe mit einer Hand vor sich, als würde sie eine Partitur lesen. Als daraufhin der Saal abgedunkelt wurde, sagte sie: „Ich brauche ein kleines bisschen mehr Licht auf meinem Buch“.

Und ein bisschen Licht spendete sie auch mit ihrer Lesung, denn ihr Buch steckt voller Humor, und sie weiß ihn auch rüberzubringen. Ihre Schlagfertigkeit bewies sie dabei nicht nur bei der Beobachtung der EU-Grenzpolitik. Auf das wiederholte Klingeln einiger Handys im Publikum antwortete sie trocken mit „Schönen Gruß!“.

Harald Welzer kritisiert die EU für ihre Grenzpolitik

Harald Welzer ist ein Fan des Buchs. „Zeit der Zäune“ habe ihn unheimlich berührt, zumal man darin nie von Menschen lese, deren einzige Eigenschaft es ist, ein Flüchtling zu sein. „Dieses Buch ist deswegen so beeindruckend, weil es ohne jede Form von Pathos, von Moralkitsch, von Erwartbarem bei diesem Thema arbeitet“.

Auf der anderen Seite habe das Buch Welzer aber auch wütend gemacht. Grundsätzlich schimmerten bei ihm immer wieder Anzeichen von Altersfuror hervor („Da wir in relativ humorfreien Zeiten leben und man total vorsichtig sein muss…“). Verständlich ist aber sein Leseeindruck allemal, und er leitete Welzer zu deutlicher Kritik an der EU, die mit zwölf Meter hohen Zäunen und Nato-Draht eine Festung baue, obwohl sie sich vor dem Hintergrund des Holocaust zu klaren Werten verpflichtet hatte. „Man wird Menschen niemals daran hindern, woanders hinzugehen, wenn sie dort, wo sie herkommen, nicht weiterleben können. Da kann man auch 100 Meter hohe Zäune bauen.“

Katja Riemann zeigt die empathische Seite der Menschheit

Dass die Menschheit zu mehr Mitgefühl fähig ist, bewies Katja Riemann, als sie vom Good-Chance-Theater erzählte. Dieses wollte sehen, wie die Welt ein geflüchtetes Mädchen aus Syrien empfangen würde und schickte dafür Amal auf die Reise, eine drei Meter hohe Puppe, geführt von drei Schauspielern. In Kollaboration mit einer Vielzahl von Künstlerinnen und Künstlern reiste Amal so von der Türkei bis nach Manchester, wo sie ihre Mutter finden wollte.

Katja Riemann war anwesend, als sie aus der Türkei auf die Insel Chios kam. Sie schreibt in „Zeit der Zäune“: „Sie war in Griechenland angekommen, und irgendwie fühlten wir uns alle für sie verantwortlich“. Hunderte von Menschen empfingen sie, als sie von ihrem Boot aus den Steg betrat wie eine Bühne. Die erste Schüchternheit wurde mit Musik überwunden, dann ging es in einem Zug weiter. Auf einem Balkon waren Luftballons und Transparente angebracht, auf denen „Welcome Amal“ stand. Kinder riefen ihr „Amal, I love you!“ zu.

Es ist eine Begegnung, die Hoffnung macht. Und deshalb steht der Textauszug, der diese Begegnung beschreibt, am Ende von Riemanns Auftritts: „So viel Zuneigung, Interesse, Neugier und Aufmerksamkeit wird diesem geflüchteten Mädchen entgegengebracht, das eine Puppe ist und den Menschen allein durch ihre Anwesenheit zeigte, wie viel Empathie doch letztlich in ihnen steckt. In uns allen, wenn wir sie denn hinauslassen.“