Mit Mark Waschke, Lavinia Wilson und Knut Elstermann wagt die lit.Cologne einen Ritt durch die Literaturgeschichte des Zeitreisens.
lit.Cologne über ZeitreisenWieso man die Finger von Baby-Hitler lassen sollte
„Wir raten dringend davon ab, Baby-Hitler umzubringen“, heißt es in einem Handbuch für Zeitreisende. Neben moralischen sprächen auch pragmatische Erwägungen dagegen, da man nie wissen könne, ob man damit nicht eine noch schlimmere Gewaltspirale auslöst. Der Rat stattdessen: Ein paar Jahre später ansetzen und dem Maler Hitler ein paar Bilder abkaufen. Das sei keine Garantie für eine Verbesserung der Welt, aber so würde immerhin kein Schaden entstehen. „Außer vielleicht in der Kunstgeschichte.“
Einen tiefen Einblick in die Literaturgeschichte des Zeitreisens bietet die lit.cologne mit einem passenden Themenabend im E-Werk. Mit dabei sind Lavinia Wilson, Knut Elstermann und Mark Waschke, der nicht nur wegen der Serie „Dark“ eine Top-Besetzung dafür ist. Auch eine Bühnenadaption von H.G. Wells' Roman „Die Zeitmaschine“ hat er in petto, mit Erscheinungsjahr 1895 eines der frühesten Beispiele für das Genre und damit (in Auszügen) zurecht Teil des Abendprogramms.
Literarische Zeitreise in der lit.Cologne
Zeitreisende wie in H.G. Wells Geschichte begegnen dabei oft den besonders seltsamen Seiten des Lebens. Als fish out of water muss man seine Schritte vorsichtig wählen, um die Zukunft nicht zu ruinieren. Oder man ist von vorneherein seinem Schicksal ergeben und reproduziert genau die Nöte, die einen erst zum Aufbruch bewegt haben. Zeitreisende sind mit Paradoxien konfrontiert, treffen sich selbst, werden ihre eigenen Großeltern.
Diesem inzestuösen Schicksal muss Marty McFly in „Zurück in die Zukunft“ entgehen, als er versehentlich seinem Vater die Show stiehlt und von seiner eigenen Mutter angebaggert wird. Die Komik dieser Begegnung erweckt Lavinia Wilson beim Vorlesen neu zum Leben und beschert dabei dem Publikum einige Lacher. Und Mark Waschke schöpft aus dem Vollen seiner Kunst, um den Protagonisten in Mark Twains „Ein Yankee am Hofe des König Artus“ zu spielen. Der findet sich nach einem Schlag auf den Kopf in Camelot wieder und denkt zunächst, er sei in einer Irrenanstalt.
Wohin Mark Waschke, Lavinia Wilson und Knut Elstermann reisen würden
Doch wohin mit der Zeitmaschine reisen? Vielleicht zu den Dinos oder während der Saturnalien über das Forum Romanum schlendern? Mark Waschke würde gerne zurück zum Übergang vom nomadischen Leben in die Sesshaftigkeit. „Da fing das ganze Elend eigentlich an“, meint er und folgt dabei Yuval Noah Harari („Eine kurze Geschichte der Menschheit“) in der Annahme, dass Menschen mit der Landwirtschaft viel Glück aufgaben. „Was Langweiligeres kann ich mir überhaupt nicht vorstellen“ meint Knut Elstermann und kann Waschke überzeugen, mit ihm Bach zu besuchen, um diesen an der Orgel zu erleben. Lavinia Wilson dagegen würde in die Zukunft reisen. „Ich würde gerne wissen, ob wir das hinkriegen als Menschen oder eher nicht.“
Das clever kuratierte Programm zeigt aber nicht nur das Philosophische und Befremdliche. In der Zeit zu reisen ist eine grundmenschliche Alltagserfahrung, die schon H.G. Wells in „Die Zeitmaschine“ beschreibt: „Wenn ich mich zum Beispiel lebhaft an ein Vorkommnis erinnere, dann kehre ich doch zurück zum Zeitpunkt des Geschehens. Ich bin geistesabwesend, wie man so sagt. Für einen Augenblick befinde ich mich dort.“ Und auch das Träumen, das Hoffen und das unaufhaltsame Fortschreiten der Gegenwart machen deutlich, dass sich durch die Zeit zu bewegen etwas Natürliches ist.
Science Fiction ist eben nie nur eine Konfrontation mit dem Fremden, sondern auch ein Nachdenken über das Menschsein. Und deshalb gehört auch Michael Endes „Momo“ zum Programm des Abends. Dort wollen die grauen Herren der Zeitsparkasse die Menschen um ihre Zeit bringen, indem sie ihnen vorgaukeln, sie ihnen verzinst zurückzuzahlen, wenn sie sie sparen. Und die Drohung ist wirksam: Sie rechnen die Lebenszeit ihrer Kunden bis auf die Sekunden herunter, schreiben die Zahl auf einen Spiegel und erklären: „Das ist das Vermögen, das Ihnen zur Verfügung steht.“ Doch was man nicht festhalten kann, das lässt sich wohl am besten nutzen, indem man es verschenkt.