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lit.Cologne 2025Warum Chimamanda Ngozi Adichie keine toxischen Männer kennt

Lesezeit 4 Minuten
Chimamanda Ngozi Adichie spricht in der Stadthalle Mülheim in ein Mikrofon, sie hält die Augen gesenkt und trägt ein oranges Kleid.

Chimamanda Ngozi Adichie auf der lit.Cologne

Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie wird in der Stadthalle Mülheim als Überraschungsgast der lit.Cologne gefeiert.

Ach, das hätte sie nun wirklich nicht fragen müssen, weist Chimamanda Ngozi Adichie ihre Gesprächspartnerin zurück. In ihrer Stimme liegt ein Lächeln. Heimlich freut sie sich über Marie-Christine Knops Erkundigung, ob sie, dürfte es bis ans Ende des Lebens nur noch ein Genre sein, Belletristik oder Sachbuch wählen würde.

„Fiction or non-fiction?“, für die auf Englisch schreibende nigerianische Autorin ist das wie Sein oder Nichtsein: „Fiktion ist alles für mich. Das, was meinem Leben Sinn gibt. Meine Berufung, meine Freude. Das, was mir das Gefühl gibt, mein kreatives Selbst am besten zu erfüllen.“ Warum? Weil das Schreiben mithilfe der Vorstellungskraft die einzige Möglichkeit sei, über menschliche Beweggründe nachzudenken – „und ich habe das Gefühl, dass wir das mehr denn je brauchen“.

Das Publikum bricht immer wieder in Beifall und Gelächter aus

Spontanapplaus in der Köln-Mülheimer Stadthalle. Die war, kaum, dass die lit.Cologne Chimamanda Ngozi Adichie als Überraschungsgast nachgemeldet hatte, schon ausverkauft. Das Publikum bricht im Laufe des Abends immer und immer wieder in Beifall aus und auch in befreiendes Gelächter. Ob sie ein Lieblingswort oder eine Phrase habe, die sie gerne in ihre Bücher schmuggele? „Nein, und außerdem ist es ja mein Buch, da muss ich nichts reinschmuggeln, da schreibe ich, was ich will.“ Adichie hat ein Talent zur pointierten Aussage, zum warmherzigen Kompliment – für die so launige wie einfühlsame Moderatorin, für die Schauspielerin Anja Herden, die an diesem Abend nicht weniger einfühlsam die deutschen Textpassagen liest, „hätte sie noch ein wenig weitergelesen, wäre ich in Tränen ausgebrochen“.

Dabei scheut Adichie keine unbequemen Ansichten. Die trägt sie mit dem ihr eigenen Charme, aber auch mit großer Bestimmtheit vor. Fiktion verlange eben nach radikaler Offenheit, sagt Adichie. Weshalb sie, wenn sie über Frauen schreibe, nie deren Körper und Körperfunktionen vergesse: „Verlässt man sich allein auf Romane, möchte man nicht glauben, dass Frauen für gewöhnlich ihre Periode bekommen. Dabei ist das ein essenzieller Teil eines Frauenlebens. Und wenn man bedenkt, wie viel Arbeit Frauenkörper verrichten, um die Menschheit vor dem Aussterben zu bewahren, sollte man meinen, dass das ein viel häufigeres Thema in der Literatur ist. Aber das ist es nicht und wir sollten uns fragen: warum?“

Nach ihrem Bestseller-Roman „Americanah“, nach den viele Millionen mal angeklickten TED-Talks „Die Gefahr einer einzigen Geschichte“ und „Wir sollen alle Feministen sein“, deren Aussagen von Beyoncé gesampelt und auf Leinenhemden von Dior gedruckt wurden, war Adichie von der erfolgreichen Schriftstellerin zur globalen Feminismus-Ikone aufgestiegen. „Time Magazine“ nahm sie in seine Liste der Hundert einflussreichsten Persönlichkeiten auf, in Jugendbüchern mit Kurzbiografien außergewöhnlicher Frauen war ihr ein Stammplatz neben Marie Curie und Amelia Earhart sicher.

Die Autorin wurde unter all der Aufmerksamkeit beinahe begraben, zwölf Jahre vergingen, bis Anfang dieses Monats mit „Dream Count“ endlich ein neuer Roman erschien, übrigens weltweit am selben Tag, wie sich das für einen Literaturstar gehört. Was besser wird, wenn man sich so lange Zeit zum Schreiben lässt, will Moderatorin Knop wissen. „Vielleicht die Tiefe der Charaktere“, schlägt Adichie vor und korrigiert sich im nächsten Augenblick. „Das ist eine Lüge: Nichts wird besser. Ich hätte in den vergangenen zehn Jahren gerne drei Romane geschrieben, aber das ist alles, was ich vorweisen kann.“

Es ist nicht wenig: „Dream Count“ erzählt die Geschichten von vier Frauen, vier Lebensentwürfen, von Mutter-Tochter-Beziehungen, von Männern, verlockenden wie unzureichenden – und auch von der Unmöglichkeit, als vergewaltigte Frau Gerechtigkeit zu bekommen: „Vor Gericht glaubt man dir nicht, wenn du nicht perfekt bist. Aber natürlich ist das niemand. Ich kenne kein anderes Verbrechen, bei dem vom Opfer verlangt wird, perfekt zu sein.“

Doch als Knop von toxischen Männern spricht, verbessert sie Adichie. „Es sind einfach nur Männer. Ich liebe meine männlichen Romanfiguren, ich möchte sie verteidigen.“ „Toxisch“, das sei nur so ein Social-Media-Wort. „Wir sollten lieber von der Substanz der Dinge sprechen.“