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„Wir hätten uns alles gesagt“Judith Hermann über das Schreiben und Verschweigen

Lesezeit 3 Minuten
Die deutsche Schriftstellerin Judith Hermann.

Die deutsche Schriftstellerin Judith Hermann.

Vom Schreiben und Verschweigen: Die deutsche Schriftstellerin Judith Hermann erzählt, warum ihre Texte so offen sind. Die gebürtige Berlinerin kommt am 11. März zur lit.Cologne nach Köln.

Wie schreiben, warum schreiben, was schreiben – seit 1959 gibt es die Frankfurter Poetik-Vorlesungen, ein offenes Labor der deutschen Gegenwartsliteratur.

„Wir hätten uns alles gesagt“ war der Titel von Judith Hermanns Vorlesung im Semester 2021/22 – der Untertitel „Vom Schweigen und Verschweigen im Schreiben“ fehlt in der Buchausgabe.

Flüchtig, sehnsüchtig, lakonisch, magisch – es gibt diesen besonderen Judith Hermann-Ton. Seit Ihrem Aufsehen erregenden Debüt Ende der 90er, „Sommerhaus, später“ bezaubert sie damit die einen und nervt die anderen.

Ein Essay, der als Roman gelesen werden kann

Wer nun eine Schritt-für-Schritt-Gebrauchsanweisung für diese stets verrätselten Texte erwartet, wird nachher genauso im Nebel stehen wie vorher. Die Autorin umkreist den Prozess Ihres Schreibens, wie sie auch den Kern Ihrer Geschichten umkreist. Das Geheimnis bleibt gewahrt, wird eben nicht ausbuchstabiert.

Sie verschweige das Eigentliche, schreibt sie, „weil ich das, was ich eigentlich zu erzählen habe, nicht erzählen kann.“ Aber auch nicht erzählen will: „Im Grunde weiß ich alles: Geburt, Herkunft, Kindheit, Jugend, Alter und Geheimnis, aber es ist in keiner Weise notwendig, das zu konkretisieren, im Gegenteil. Es stört. Es verhindert den Blick aufs Wesentliche, die Konzentration auf den Augenblick.“

Obwohl auf diesem Buch nicht „Roman“ steht, kann man es auch einfach als solchen lesen. Denn Judith Hermann tut das, was sie am besten kann: Sie erzählt.

Von ihrer Kindheit in der gruseligen, vollgestopften Berliner Altbauwohnung mit dem depressiven Vater und der russischen Oma. Die schöne Mutter, eine Floristin, fast immer abwesend. Sie erzählt von ihrem Puppenhaus, das der Vater gebaut und mit Falltüren und versteckten Kammern ausgestattet hatte.

Sie erzählt von ihrer Freundschaft mit Ada als junge Erwachsene. Von den vielen gemeinsamen Sommern mit den Berliner Freunden und später auch den Kindern in dem Haus ihrer Familie am Meer. Von ihrem Leben allein – auch in einem Haus am Meer und von den Begegnungen mit Jon, der in der dortigen Provinzstadt lebt.

Wer so etwas liebt, kann sich daraus Versatzstücke aus dem Judith-Hermann-Universum zusammen setzten – entdeckt alte Bekannte aus ihren früheren Büchern oder glaubt es zumindest. Wer so etwas liebt, kann sich auch sein Bild von der Autorin selbst schaffen.

Glücklich, endlich mal einen Zipfel ihrer Realität zu fassen zu bekommen. Nur um dann wieder durch eine dieser literarischen Falltüren zu plumpsen – die Poetologie des Puppenhauses: „Entweder habe ich das geträumt, oder ich habe mir das ausgedacht, so wie alles andere auch“, schreibt sie über ihre vermeintlich autobiografischen Bekenntnisse im Buch.

Gespräche mit dem Psychoanalytiker

Wirklich erlebt oder bloß eine Kopfgeburt? Da geht es den Lesern nicht anders als ihrem Psychoanalytiker, den wir im Buch kennen lernen: „Letztlich habe ich ihm Geschichten erzählt“. Aber wen kümmert’s, wenn diese Geschichten so gut sind?

Es gibt bei ihr immer verschiedene Fassungen eines Texts, schreibt Judith Hermann. Aus denen streiche sie dann und setze anderes wieder ein. „Das was in der letzten Fassung unwiederbringlich verloren ist, ist das, wofür ich die Geschichten geschrieben habe. Impuls und Motiv. Es spielt keine Rolle, dass es verloren ist – es ist ja da gewesen, und dieses Dagewesensein impliziert ein Nachleuchten, eine metaphysische Verdichtung.“

Wirkung durch Flüchtigkeit: Man mag von Homöopathie in der Medizin halten, was man will. Aber in Judith Hermanns Schreiben funktioniert das Prinzip tatsächlich.

Tipp: lit.Cologne-Lesung mit Judith Hermann und Knut Elstermann am 11. März, 18 Uhr, Kulturkirche Köln