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„Mütter, Väter und Täter“ von Siri HustvedtPackende Essays über Mutterrolle, Identität und Donald Trump

Lesezeit 3 Minuten
Die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt.

Die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt.

Siri Hustvedt schreibt sehr persönlich über Familie, Kunst und Philosophie. In ihrem Essayband „Mütter, Väter und Täter“ verfolgt die Schriftstellerin die Chronik ihrer weiblichen Familienlinie.

Nicht nur für Kinder hat das Verborgene, das noch Unentdeckte einen ganz besonderen Reiz. Auch für Wissenschaft und Literatur ist die im Menschen angelegte Neugier einer der wichtigsten Antriebe.

Wo immer sich eine Lücke auftut, wollen wir sie mit Wissen füllen. Das gilt in besonderem Maß für unsere eigene Biografie: Wer sind wir und warum sind wir so geworden?

Doch Familiengeschichten zeichnen sich dadurch aus, dass Nicht-Passendes ausgelassen wird – zu banal, vielleicht zu peinlich. Auch Siri Hustvedt ist bei der Beschäftigung mit ihrer Familie auf blinde Flecken gestoßen.

Ihr Vater, Literatur-Professor in den USA mit norwegischen Wurzeln, hinterließ eine von ihm verfasste Familiengeschichte. Aber es war ausschließlich eine Chronik der männlichen Linie.

Hustvedt setzt ihrer Großmutter ein Denkmal

Die Hustvedt-Frauen, seine Mutter eingeschlossen, blieben ausgespart. Warum nur? Denn wem, fragt sich Siri Hustvedt, war ihr Vater näher als der Frau, die ihn ausgetragen, gestillt und aufgezogen hatte? Warum also wird sie verschwiegen und die Geschichte ihrer Familie eine Geschichte ihrer männlichen Linie?

In ihrem gerade erschienenen Essayband „Mütter, Väter und Täter“ ist Siri Hustvedt dieser Frage nachgegangen und gleichzeitig hat sie ihrer Großmutter ein Denkmal gesetzt.

Überhaupt kreisen die zwischen 2011 und 2020 entstandenen Essays der amerikanischen Bestseller-Autorin um sehr persönliche Themen, um Erinnerung und Familie, um Kunst, Literatur und Philosophie.

In einem faszinierenden Parforceritt nimmt sie ihre Leserinnen und Leser mit auf eine Reise, lässt sie teilhaben an ihren Gedanken zu den Ursachen von Frauenfeindlichkeit, aber auch zu ihrer Vorliebe für Emily Bronte oder Louise Bourgeois.

Packende Essays über Mutterrolle, Identität und Donald Trump

Immer sind die Essays verknüpft mit Hustvedts eigener Geschichte, ihren Erlebnissen und Erfahrungen. Das macht die Lektüre packender als bei Essays oft üblich. Es sind kurze Momente in ihrem Leben, die sie grundsätzlich über Dinge nachdenken lassen – über ihre eigene Mutterrolle etwa, über Identität, die bedeutet, ab- und auszugrenzen, über den Rassismus von Donald Trump oder über Psychoanalyse.

Erschütternd ist ihr Beitrag zu einem grausamen Kriminalfall, der sich in den Sechziger Jahren in den USA zugetragen hat. Eine kinderreiche Familie der unteren Mittelschicht, weiß und bibeltreu, nimmt zwei Mädchen auf, von denen das eine zunehmend in eine Opferrolle gerät: Es wird mit Brutalität von der Mutter und ihren Kindern geschlagen, gedemütigt, gequält und am Ende getötet.

Eine plausible Erklärung gibt es bis heute nicht. Außer einer Gruppendynamik, die jedes Unrechtsbewusstsein im Keim erstickt. Im Gegenteil, das Quälen bereitet Freude, fördert gar den Zusammenhalt zwischen den Tätern.

Hustvedt erinnert das an ein Freud-Zitat, wonach es immer möglich sei, viele Menschen in Liebe aneinander zu binden, wenn nur andere übrig bleiben, die man mit Aggression überziehen könne.

Der Verweis auf die Judenverfolgung in der NS-Zeit muss da gar nicht mehr folgen. Weder chronologisch noch thematisch sind die Texte geordnet. Das gibt ihnen etwas gelegentlich Unsortiertes. Auch bewegen sie sich inhaltlich mal hierhin, mal dorthin. Der Vorteil dabei ist, dass man der Entwicklung der durchweg klugen, reflektierten Gedanken folgt wie einem fesselnden, geistreichen Gespräch.

Hustvedt will erkennbar nicht durch Abgehobenheit beeindrucken, sie macht ihrem Publikum vielmehr ein Angebot, sie bei der Auseinandersetzung mit ihr wichtigen Fragen zu begleiten. Ein Angebot, dass man nicht ausschlagen sollte.

Tipp: lit.Cologne-Lesung mit Siri Hustvedt (zugeschaltet), Milena Karas, Sarah King und Gert Scobel am 7. März, 21 Uhr, Flora