Für den Ex-Außenminister gibt es in Europa nur einen Weg, um in der „Weltunordnung“ von heute zu überleben: Zurück an die Waffen.
„Zeiten haben sich dramatisch geändert“Joschka Fischer plädiert in Köln für massive Aufrüstung
Was sagt es über den Weltzustand aus, wenn ein Ex-68er, der auch mal zum Pflasterstein griff, sich heute für eine Remilitarisierung Europas einsetzt? Gar nichts, weil da nur jemand spricht, der seinen politischen Kompass verloren hat? Oder reagiert da jemand nur auf die Realität der Gegenwart, der schon immer gerne einen Pragmatismus an den Tag legte?
Joschka Fischer in Köln: Geopolitisches Wunschdenken über die Vergangenheit
„Europa muss abschreckungsfähig werden“, sagte Ex-Außenminister Joschka Fischer am Donnerstag im Rahmen der lit.Cologne mit Blick auf den russischen Angriffskrieg und das zerrüttete Verhältnis zwischen Europa und den USA. Schnell fügte er hinzu: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich, Joschka Fischer, eines Tages solche Sätze öffentlich sagen werde.“
Im WDR-Funkhaus stellte er die Frage „Wer schützt uns?“. Schließlich könnte es Europa im November zum zweiten Mal mit einem Trump zu tun haben, der die Nato erneut in eine Existenzkrise stürzen würde. Der ewige Realo Fischer stellte fest: „Die Zeiten haben sich dramatisch geändert.“
Das Gespräch mit Politikwissenschaftler Herfried Münkler und Moderator Michael Hirz wirkte oft wie ein geopolitisches Wunschdenken über die Vergangenheit: Hätten wir uns nach der Wiedervereinigung nicht vom Traum eines Kantischen ewigen Friedens einlullen lassen und die Gefahrenherde Trump, Xi und Putin mal früher ernst genommen, dann stünden wir jetzt nicht so hilflos da.
Joschka Fischer: AfD und Sahra Wagenknecht wollen Zeit vor Konrad Adenauer zurück
Immerhin kamen konkrete Vorschläge zustande. Der schnellste Weg, um eine europäische Abschreckung sicherzustellen, sei eine Ausweitung des atomaren Arsenals von Frankreich und Großbritannien auf Europa. Münkler hegte wohl zu Recht Zweifel, etwa über die finanzielle Machbarkeit. Fischer erinnerte die Ampel-Regierung, dass die aktuelle öffentliche Debatte über die Taurus-Lieferung an die Ukraine niemanden abschrecke: „Man muss es machen oder nicht, aber nicht lange diskutieren.“
Fischer ärgerte sich über Kräfte wie die AfD und Sahra Wagenknecht, die in eine Zeit vor Konrad Adenauer zurückwolle, in der Deutschland nicht an den Westen gebunden war. Im Gespräch über die „Weltunordnung“ des 21. Jahrhunderts, wie Fischer es nannte, kam das Thema China leider zu kurz. Schließlich stellte Münkler selbst fest, dass Moskau geopolitisch wie wirtschaftlich von Peking abhängig ist.