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Neuer Blick auf weibliches BegehrenLiteratur über Frauen jenseits der 40: Der Glamour der Wechseljahre

Lesezeit 6 Minuten
Jackie Thomae trägt eine rosafarbene Bluse und lächelt in die Kamera.

Jackie Thomae hat gerade ihren neuen Roman „Glück“ veröffentlicht

Lange Zeit galten Frauen, die älter werden, auch in der Literatur als Problemfälle. Doch jetzt zerstören selbstbewusste Autorinnen diese Denkmuster.

Als die 61-jährige Cher mit der damals 68 Jahre alten Tina Turner vor vielen Jahren bei Oprah Winfrey saß, hatte sie eine knappe Antwort auf die Frage, wie sich das Älterwerden anfühle: „Es nervt.“ Altwerden sei nichts für Feiglinge, heißt es. Und vielleicht liegt genau da schon das Problem. Denn Altern ist in unserer Gesellschaft negativ konnotiert. Es geht immer um Verlust - von Jugend, Schönheit, Beweglichkeit, Lebenszeit. In Filmen und Romanen sind es dann auch meist die Jungen, mit denen wir mitfiebern, gerade wenn es um die Liebe geht. Manche sind gar so jung, dass sie eigentlich noch Kinder sind, Shakespeaeres Julia zum Beispiel ist 13.

Das ist erstaunlich, denn schaut man auf ein ganzes Leben, ist die Phase, in der man sich jung nennen kann, relativ kurz. Aber während es ist für Literatur über das Erwachsenwerden ein eigenes Genre, Coming-of-Age, gibt, haben wir für spätere Abschnitte keine eigene Beschreibung.

Doch es kommt Bewegung in die Sache. Wer Buchhandlungen durchstreift, stellt fest, dass gerade in den vergangenen Monaten viele Bücher erschienen sind, die Frauen ab der Lebensmitte in den Mittelpunkt stellen. Stefanie de Velasco schreibt in ihrem so klugen wie unterhaltsamen Roman „Das Gras auf unserer Seite“ (Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten, 23 Euro) von drei Freundinnen Mitte 40, die alle keine Lust auf das Leben haben, das man als Frau in der Vorstellung vieler leben soll: Haus, Mann, Kind. Doch die 46-Jährige hatte überhaupt keine Lust, daraus eine große Problemanalyse zu machen, im Gegenteil. Sie schreibt über weibliches Begehren, über Frauen, die bewusst und glücklich ohne Kinder leben und für die ihre Freundschaften mindestens den gleichen Stellenwert haben wie familiäre Beziehungen.

Ein neuer Blick auf weibliches Begehren

Stefanie de Velasco ärgert es, dass die Wechseljahre gemeinhin als eine Phase gelten, die man stillschweigend und leidend erdulden muss. „Warum erfährt die Menopause eine solche Abwertung? Warum wird sie ausschließlich als biologischer Teiltod und soziales Ende von Frauen inszeniert und nicht als ein ähnlich glamouröses Event wie die Pubertät, als Abenteuer und Aufbruch?“, fragt sie in einem spannenden Artikel für das Dummy-Magazin. „In welcher Gesellschaft würden wir leben, wenn die Menopause nicht das Ende der Frau, sondern der Aufbruch in die vielleicht beste und produktivste Zeit ihres Lebens wäre?“ Daraus leitet sie auch gleich eine Forderung ab: „Wir brauchen eine Popkultur des Becoming-Age.“ Sie will Literatur, die den Glamour der Wechseljahre beschreibt.

Und fündig wird sie da ganz sicher bei Miranda July. Deren neuer Roman „Auf allen vieren“ (Kiepenheuer & Witsch, 416 Seiten, 25 Eurom 5) erzählt von einer Künstlerin, die sich selbst zum 45. Geburtstag einen Roadtrip ohne Mann und Kind durch die USA schenkt, sich aber schon bald an einer Tankstelle in einen jüngeren Mann verguckt. Zum Problem macht sie das nicht. Ihr Blick auf weibliches Begehren und weibliche Lust ist losgelöst von allen Erwartungen. Radikal und dennoch sehr empathisch fühlt sie sich in ihre Hauptfigur ein. Frauen in den Wechseljahren und darüber hinaus gelten ja gemeinhin als seltsam körperlose Wesen, Begehren wird ihnen nicht mehr zugestanden. Miranda July will davon nichts wissen. In ihrem Roman wird sehr viel masturbiert, die Sexszenen sind explizit und lang. Hier wird nichts verschämt angedeutet. Es ist Literatur wie diese, die uns zeigt, dass auch ein anderer Blick auf Frauen in diesem Alter möglich, ja nötig ist.

Auch Jackie Thomae, deren Roman „Brüder“ 2021 das „Buch für die Stadt“ war, blickt in ihrem neuesten Werk auf Frauen in dieser Lebensphase. Sie wirft in „Glück“ (Claassen, 432 Seiten, 24 Euro) die Fragen auf, die viele Frauen umtreiben: Bin ich nur vollständig, wenn ich ein Kind habe? Habe ich mein Leben vergeudet, wenn ich eines Tages erkennen muss, dass es nun zu spät dafür ist? Auch hier wird Thema von Literatur, was vielleicht früher nur mit der besten Freundin diskutiert wurde.

Auch in der Unterhaltungsliteratur ist das Thema präsent

Und auch hier gibt es viel zu erzählen, denn wenn ein Mann jenseits der 40 Vater wird, wird das nicht problematisiert, bei Frauen ist es immer noch ein Thema. Die Kölner Komikerin Carolin Kebekus, die in diesem Jahr mit 43 zum ersten Mal Mutter wurde, hat es in einem ihrer Programme einmal sehr schön auf den Punkt gebracht - Jungen Frauen wird eingetrichtert, bloß nicht zu früh schwanger zu werden. Und irgendwann heißt es dann plötzlich vorwurfsvoll: Wo sind deine Kinder?

Dass sich etwas verändert, beweist auch der Blick in die Unterhaltungsliteratur. Die Kölner Schriftstellerin Christine Drews hat unter dem Pseudonym Tine Dreyer einen sehr vergnüglichen Krimi geschrieben, der im Titel direkt klarmacht, worum es geht: „Morden in der Menopause“ (DuMont, 304 Seiten, 17 Euro). Ihre Hauptfigur Liv, Mutter dreier pubertierender Kinder, erschlägt darin im Hormonchaos den Dealer ihres Sohnes. Das alles ist natürlich mit einem Augenzwinkern gemeint und soll vor allem gut unterhalten, aber Drews ist es dennoch wichtig, das Thema Menopause aufs Tapet zu bringen: Jedem Kapitel hat sie hilfreiche medizinische Einordnungen zu den Veränderungen vorangestellt, weil sie in ihrem Freundeskreis feststellte, dass auch bei aufgeklärten Frauen noch große Wissenslücken bestehen.

Dass Älterwerden ein Thema ist, das die Menschen ungemein beschäftigt, hat Elke Heidenreich in den vergangenen Monaten erfahren. Ihr Essay „Altern“ (Hanser Berlin, 112 Seiten, 20 Euro) war, obwohl erst Mitte Mai erschienen, im ersten Halbjahr das meistverkaufte Buch in Deutschland. „Der Bedarf ist groß, endlich mal darüber zu reden. Ich bin offensichtlich eine der Ersten, die sagt: Ihr müsst vor dem Alter keine Angst haben. Das ist ein wunderbarer Teil des Lebens“, sagt die 81 Jahre alte Schriftstellerin und Kritikerin im Gespräch mit dieser Zeitung.

Ältere Frauen galten als unsichtbar. Dieses Klischee können wir hinter uns lassen. Eine Frau wird nicht unattraktiv, nur weil sie 60 ist
Elke Heidenreich

Gerade ältere Frauen habe man früher gar nicht wahrgenommen. „Sie galten als unsichtbar. Dieses Klischee können wir hinter uns lassen. Eine Frau wird nicht unattraktiv, nur weil sie 60 ist. Sie steht immer noch im Leben und weiß das auch.“ Das habe sich sehr verändert. „Unser Bild vom Alter hat sich sehr verändert. Unsere Eltern waren mit 50 alt, wir sind heute nicht mehr die grauen Mäuse, die Gesundheitsschuhe tragen und beigefarbene Hosen mit Gummizug.“

Auch der Vielleserin Heidenreich fällt auf, dass Autorinnen jenseits der 40 selbstbewusster werden und Geschichten erzählen, die man früher nicht las: „Die Frauen fangen gerade erst damit an. Das wird mehr. Männer haben das immer schon gemacht. John Updike, Richard Ford, Philip Roth haben über ihre Probleme mit dem Älterwerden, ihre eigenen Wechseljahre, wechselnde Partnerinnen, gescheiterte Ehen geschrieben. Und jetzt machen das endlich auch Frauen – und zwar sehr selbstbewusst.“ Und warum denn auch nicht? Auch jenseits der Jugend sei noch so viel möglich, betont Heidenreich: „Wir sind nicht unsichtbar. Wir warten nicht auf den Tod, sondern wir sind sehr lebendig.“