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Kölner Literaturfestival PoeticaLesungen mit Patti Smith, Kim de l'Horizon und vielen mehr

Lesezeit 5 Minuten
Die Sängerin hält ein Mikrofon nah an ihrem Mund. Sie trägt schwarze Kleidung und hat lange graue Haare.

Die us-amerikanische Sängerin Patti Smith wird für die Poetica nach Köln kommen

Vom 17.04. bis zum 22.04. findet zum achten Mal das Kölner Literaturfestival Poetica statt. Neben bekannten Dichterinnen wie Patti Smith taucht auch der Name einer chinesischen Wanderarbeiterin auf.

Eine chinesische Wanderarbeiterin ist nicht das, was die meisten sich unter einer Dichterin vorstellen. Vielmehr denkt man besonders in Deutschland an die Goethes und Heines, also vornehmlich an alte weiße Männer aus gebildeten Kreisen. Und es sind eben diese akademischen Kreise, die normalerweise Gedicht lesen und schreiben, so zumindest die Wahrnehmung.

Entsprechend hat Lyrik also einen schweren Stand in Deutschland. Sie gilt als unzugänglich oder weckt zweifelhafte Erinnerungen an den Deutschunterricht. Dass Lyrik auch aus dem Leben gegriffen ist, beweist das diesjährige Programm der Poetica.

Lyrik einer ehemaligen Fabrikarbeiterin

Das Kölner Literaturfestival empfängt ab dem 17.04. Autorinnen und Autoren aus aller Welt. Zu diesen gehören bekannten Namen wie die „Godmother of Punk“ Patti Smith und Kim de l’Horizon. Aber auch Namen, von denen viele in Deutschland noch nie etwas gehört haben dürften - etwa die chinesische Schriftstellerin Zheng Xiaoqiong, die mitunter über ihr Leben als Fabrikarbeiterin schreibt.

Der diesjährige Kurator des Festivals, Christian Filips, hat sich deshalb die Offenheit der Poetica auf die Fahne geschrieben. „Lyriklesungen beschränken sich oft nur auf einen kleinen Kreis. Der erste Impuls war: Wie gelingt eine Öffnung in die Stadt hinein? Welches Medium könnte dabei helfen, dass sich auch ein Publikum willkommen fühlt, das sonst vielleicht nicht in die Uni geht? Dabei schien mir das Einbeziehen von Kölner Chören ein wichtiger Impuls.“

Die Poetica findet unter dem Motto: „Das chorische Ich - Writing in the name of“ statt

Die Chöre werden zur ersten und letzten Veranstaltung auftreten. Der Gedanke ist, mit Musik eine sehr zugängliche Art der Lyrik einzubinden. Der Chor steckt auch im Motto des Festivals: „Das chorische Ich – Writing in the name of.“ Es geht im Festival einerseits um eine Reflexion über Identitäten, aber auch um Fürsprache, etwa für marginalisierte Gruppen. „Wir alle haben ja ein ‚Wir‘ in uns, das aus Vergangenheit und Zukunft mitspricht, ein ‚chorisches Ich‘ aus Verwandten, Ahnen, Geistern, Herkünften, Identitäten. Ich glaube, dass die Poesie diesen Stimmen in uns Raum geben kann“, so Filips.

Es könne eine große Befreiung sein, sich in poetischen Rollenspielen zu verstecken, um nicht als ein „Ich“ auftreten zu müssen, das sich unentwegt darzustellen, zu optimieren oder gut zu verkaufen hat. „Gleichzeitig gibt es aber auch den umgekehrten Moment: Dass ich als eine bestimmte Identität angegriffen werde. Dann muss ich mich, wie Hannah Arendt einmal sagte, als die verteidigen, als die ich angegriffen werde. Auch für diese Selbstverteidigung kann Poesie als Werkzeug dienen.“

Zu dem Literaturfestival kommen Autorinnen und Autoren, die sonst in Deutschland nicht zu hören sind

Bei der Auswahl der Dichterinnen und Dichter bemühte sich Christian Filips darum, bisher wenig gelesenen Werken eine Bühne zu geben. „Zu erwarten sind tolle Lesungen von wunderbaren Dichter*innen aus der ganzen Welt, die in Europa sonst nicht zu hören sind. Wie Sukirtharani, die im Namen der Dalits schreibt, die Kaste der sogenannten „Unberührbaren“. Oder Lionel Fogarty, politischer Aktivist für die Rechte der Aboriginal und einer der größten Dichter Australiens, der bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Oder Zheng Xiaoqiong, eine Dichterin, deren Werk im Namen chinesischer Wanderarbeiterinnen spricht und die Widersprüche des globalen Marktes aufzeigt.“

Lionel Fogarty trägt ein T-Shirt mit gelben, orangen und schwarzen Mustern. Hinter ihm hängt die Fahne der Murri-Community: schwarz-rot mit einem gelben Kreis in der Mitte.

Lionel Fogarty kommt für die Poetica nach Köln. Hinter ihm hängt die Flagge der Murri-Community.

Auch Patti Smith werde eher als Rockstar denn als Dichterin rezipiert. Filips erzählt, dass ihr bislang nicht übersetzter Gedichtband „Auguries of Innocence“ (2005) den Untertitel „Poems by Patti Smith“ tragen sollte, dass der Verleger diesen aber streichen wollte, um bessere Verkaufszahlen zu erzielen.

Lyrik der Kunstschaffenden behandelt Themen von Kolonialismus bis LGBTQ+-Rechte

Die in der Poetica angesprochenen Perspektiven und Themen sind vielfältig und umfassen Kolonialismus, Naturschutz und LGBTQ+-Rechte. Zu einer Veranstaltung über Working Class Poetry kommen eine haitianische, eine chinesische und eine australische Stimme zu Wort. So unterschiedlich die Lebensrealitäten im konkreten sind, treffen sich die Kunstschaffenden in dem Gedanken an eine poetische Solidarität. „Wenn sich die Identitäten vereinzeln und im Kampf um Aufmerksamkeit nur noch gegeneinander antreten, sind sie alle verloren. Aber vielleicht hilft uns ja die Idee eines ‚chorischen Ichs‘ weiter? Ich glaube, wir sollten an der Idee festhalten, dass es bereits eine Sprache gibt, die wir alle gemeinsam sprechen, aber ständig überhören. Vielleicht ist es die stille, aber im Untergrund wirkmächtige Sprache der Poesie.“

Ein Beispiel für eine solche poetische Solidarität zeigt sich in Lionel Fogartys Werk. Fogarty behandelt mit seinen Gedichten koloniale Strukturen in Australien, spricht für die Murri Community und setzt sich für den Erhalt indigener Sprachen ein. Er solidarisiert sich aber auch mit den Bewegungen anderer Länder. „Er hat in seinem letzten Gedichtband „Harvest Lingo“ einen ganzen Zyklus über die Dalits in Indien geschrieben“, erzählt Filips. „Er verbindet darin den Kampf der Aboriginal mit dem der Dalits. So weist er in seinen Gedichten immer wieder auch die eigene Community darauf hin, sich nicht abzuschotten oder in Reservate sperren zu lassen, sondern die eigenen Sprachräume zu öffnen.“

Eine Auswahl von Veranstaltungen

„Das chorische Ich / The choral I“. Auftaktveranstaltung mit den Autor:innen der Poetica. Montag, 17.4.2023, 19.00 Uhr, Universität zu Köln, Aula I + II

„I contain multitudes“. Lesung und Gespräch mit Patti Smith. Dienstag, 18.4.2023, 19.00 Uhr, Universität zu Köln, Aula I + II

»Wie wehrt mensch sich gegen all diese Namen«* Lesungen und Gespräche mit Logan February, Christian Filips und Kim de l’Horizon. Mittwoch, 19.4.2023, 19.00 Uhr, FORUM Volkshochschule im Museum am Neumarkt

„Working Class Poetry“ Lesungen und Gespräche mit Lionel Fogarty, James Noël, Sukirtharani und Zheng Xiaoqiong (letztere wird digital zugeschaltet). Donnerstag, 20.4.2023, 19.00 Uhr, Zentralbibliothek der Stadtbibliothek Köln

Das volle Programm finden Sie hier.