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Living Colour in KölnWarum spielt diese Band nicht in Stadien?

Lesezeit 3 Minuten
13.12.2023, Köln: Konzert von Living Colour in der Kantine: Sänger Corey Glover trägt einen Mantel mit Motiven von Jean-Michel Basquiat über einem gelben T-Shirt. Bassist Douglas Wimbish ist ganz in schwarz mit Hut.

Sänger Corey Glover und Bassist Douglas Wimbish von Living Colour in der Kantine.

Auch Hardrock ist schwarze Musik: Die New Yorker Band Living Colour spielt in der Kölner Kantine ihr umstrittenstes Album.

Als die schwarze Rockband Living Colour im Jahr 1993 ihr drittes Album, „Stain“ herausbrachte, markierte das ihr vorläufiges Ende. Der Chart-Erfolg der beiden Vorgängeralben blieb aus, die Kritiken fielen verhalten aus, das Quartett zerstritt sich über die weitere musikalische Ausrichtung. Am Ende verschwand „Stain“ auch noch aus den Läden, ein anderer Musiker hatte die Plattenfirma erfolgreich wegen einer Namensähnlichkeit verklagt.

Ein Unglücksalbum? Gitarrist Vernon Reid hält es weiterhin für das beste der Band. Weshalb Living Colour es jetzt, 30 Jahre später, in voller Länge in ihre Setlist aufgenommen haben. Am Mittwochabend spielten die New Yorker Veteranen in der Kölner Kantine, es war ihr einziges Deutschland-Konzert.

Living Colour lässt die Wut über den Rodney-King-Prozess noch einmal aufleben

Die stilistischen Volten und den muskulösen Funk-Sound, für die man die Band damals liebte, werden auf „Stain“ von einem schwergängigen, aggressiven Quasi-Metal verdrängt. Das waren damals die Zeichen der Zeit: 1992 hatte Los Angeles nach den Freisprüchen für prügelnde Beamte der LAPD im Rodney-King-Prozess schwerste Unruhen erlebt, am Ende waren 63 Menschen tot. Das Polizeiopfer King hatte 56 Schläge in 81 Sekunden über sich ergehen lassen müssen, zählt ein Nachrichtenschnipsel am Anfang von „This Little Pig“ auf, dann schreit Reeds Gitarre wie unter Folter auf, und Schlagzeuger Will Calhoun drückt das Bassdrum-Pedal im Thrash-Metal-Tempo durch.

Die Wut hat sich drei Jahrzehnte später in Stolz verwandelt, Living Colour treten in der Originalbesetzung von damals auf, Sänger Corey Glover (im Jean-Michel-Basquiat-Mantel) ist noch ebenso gospelig-gewaltig bei Stimme wie einst und auch die anderen drei haben nichts von ihrer virtuosen Rasanz verloren. Als vertontes „Fuck you“ könnte „Stain“ fast auf einer Stufe mit Nirvanas „In Utero“ stehen.

13.12.2023, Köln: Konzert von Living Colour in der Kantine.Foto:Dirk Borm

Living Colour in der Kantine, vorne Gitarrist Vernon Reid.

Trotzdem ist man spätestens nach Douglas Wimbishs Schlagbohrer-Bassschlägen auf „Auslander“ froh, als Vernon Reid eine kurze Erholungspause ankündigt, wenn auch aus traurigem Anlass. Der Schauspieler André Braugher ist überraschend gestorben, er verkörperte in David Simons Serie „Homicide“ und noch berühmter in der Sitcom „Brooklyn Nine-Nine“ das Ideal- vielleicht auch nur Fantasiebild eines fairen, engagierten Cops. Die Band widmet „Captain Holt“ eine Coverversion von „Nothing Compares 2 You“, die zugleich die im Juli verstorbene Sinéad O'Connor ehrt. Gefolgt vom elegischen Klagelied „Nothingness“, dem zärtlichsten Moment auf „Stain“.

Auf das schwierige Album folgt ein Medley aus fröhlichen Hip-Hop-Singles der späten 70er. Warum? Weil Bassist Wimbish auf vielen Aufnahmen der Sugarhill Gang und von Grandmaster Flash and the Furious Five zu hören ist. Dann kommen die versöhnlichen Hits. „Love Rears It's Ugly Head“, „Glamour Boys“ und „Cult of Personality“: die kann man alle noch mitsingen, Corey Glover fordert das Publikum auch immer wieder dazu auf.

Und mittendrin der programmatische Song „Elvis Is Dead“. „Ein schwarzer Mann brachte ihm das Singen bei/ Und dann wurde er zum König gekrönt“, singt Glover, auf dem Originaltrack sangen unter anderem Little Richard und Mick Jagger mit. Als Living Colour Mitte der 1980er erst mithilfe des Rolling-Stones-Frontmanns einen Plattenvertrag bekamen, rekurrierten diese Anfangsschwierigkeiten aus der Tatsache, dass im Musikgeschäft damals noch eine Art Apartheid herrschte: Rock war weiß, und MTV weigerte sich, Videos von afroamerikanischen Künstlern zu spielen, bis David Bowie den Sender 1983 im Zuge eines Interviews deswegen an den Pranger stellte.

Dabei stand nie infrage, dass die Wurzeln des Rocks schwarz waren – selbst für die härtere Gangart von Living Colour gab es genügend schwarze Vorbilder, etwa die Hardcore-Band Bad Brains aus Washington, D.C. oder die Detroiter Proto-Punker von Death. Das Living-Colour-Konzert in der Kantine war längst nicht ausverkauft, dabei sollte diese Band in Stadien spielen. Es ist höchste Zeit, die Geschichte zu korrigieren.