Die Zeiten, in denen sich alle ein möglichst grünes Image verpassen wollten, sind vorbei. Dafür machen wir uns jetzt wenigstens nichts mehr vor, sagt Luisa Neubauer im Interview.
Neues BuchLuisa Neubauer über Rückschritte in der Klimadebatte: „Die Fronten sind jetzt klar“
Frau Neubauer, Ihr Buch beginnt mit dem gut bestückten Bücherregal Ihrer Großmutter. Und der ernüchternden Feststellung: Das Wissen um die Klimakrise liegt schon lange schwarz auf weiß vor. Doch diese Fakten haben offensichtlich nicht ausgereicht, um die Menschen zum Handeln zu motivieren. Trotzdem haben Sie sich wieder dafür entschieden, ein Buch zu veröffentlichen.
Für das, was ich machen wollte, war es genau die richtige Form. Ich bin auf so vielen Plattformen zu finden, habe einen eigenen Podcast, Social-Media-Accounts, ich spreche mit Zeitungen, im Fernsehen. Gleichzeitig denke ich, gerade jetzt in dieser Zeit hat es fast etwas Widerständiges zu sagen: Ich veröffentliche meine Gedanken in einem Buch, bei einem ganz stabilen deutschen Verlag, in einer Zeit, in der ganz viele Plattformen von Oligarchen und Rechtspopulisten beherrscht werden.
Sie schreiben: „Nie war die Menschheit fähiger, die Konsequenzen des eigenen Handelns einzuschätzen als heute und doch sägt sie am eigenen Ast.“
Ich würde nie dafür plädieren, sich von Fakten abzuwenden, aber es ist ein Trugschluss, sich allein auf die Macht der Fakten zu verlassen. Denn mit all den Studien und Büchern vor Augen fragt man sich natürlich: Warum war trotzdem nur so wenig Klimaschutz möglich? In meinem Buch wechsele ich die Perspektive und frage: Wie wurde denn überhaupt erst so viel Klimakrise möglich? Denn es ist ja nie demokratisch beschlossen worden: „Wir machen jetzt den Planeten kaputt“. Die dreckigsten Konzerne der Welt, die korruptesten Lobbyverbände, die fossilsten Politiker - die haben sich ja nie die Mühe gemacht, die Vor- und Nachteile ihrer Politik auf kleinen Flyern niederzuschreiben und zu verteilen. Die haben stattdessen mit Fantastilliarden an Werbegeldern Geschichten geschrieben, von einem guten, freien, fortschrittlichen Leben – das scheinbar unwiderruflich mit fossiler Energie verbunden ist.
Der Gegner ist mächtig...
Solange James Bond in einem Auto die Welt rettet und es undenkbar wäre, dass er das in der U-Bahn macht, ist doch völlig klar, dass wir immer weiter eine Geschichte erzählen von Heldentum, von Stärke, von Kraft - die unweigerlich gebunden ist an laute und dreckige Maschinen. Deswegen ist es zu kurz gedacht, sich nur mit einem besseren Marketing für Wärmepumpen zu beschäftigen. Das Ganze geht viel tiefer. Es geht um Gefühle wie Freiheit. Und faktisch erleben wir ja gerade, dass ein Energiesystem uns frei macht, das ohne Autokraten und fossile Oligarchen funktioniert. Aber dieses Wissen muss die alten Bilder ersetzen und im Unterbewusstsein ankommen. Es ist ja zum Glück kein Naturgesetz, dass wir nur mächtig, frei und glücklich sind, wenn wir möglichst viel Welt kaputt machen, sondern das ist die Konsequenz einer jahrzehntelangen Erzählung.
Was kann der Klimaschutz dagegen halten?
Wir müssen uns im Einsatz für einen echten und guten Klimaschutz auch auf Gegenmodelle eines guten Lebens besinnen - unabhängig davon, dass man die Klimakatastrophe blöd findet. Wie wird die ökologische Utopie zu einem Ort, an dem man sehr gerne ist? Wie schön wäre es zum Beispiel, wenn wir als Fahrradfahrer sicherer sind, wenn wir unseren Urlaub in einer halbwegs intakten Natur erleben können, wenn der Bus auch wirklich kommt. Und wir müssen bei aller Dramatik mehr Humor, Ironie, Kreativität und Leichtigkeit in den Klimadiskurs bringen.
So ein tiefgreifender Wandel in den Köpfen der Menschen – braucht der nicht mehr Zeit als wir haben?
Das gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass es in der Klimakrise offensichtlich Zeitdruck gibt. Und wir haben in den letzten sechs Jahren in Deutschland und in Europa mehr Klimaschutz als in den letzten 20 Jahren zusammen erlebt. Weil wir mit der Macht der Menschen so viel verändern können, wenn Druck auf der Straße ist, der Zeitgeist plötzlich auf unserer Seite steht. Und da konnten wir sehen: Wenn man sich zusammentut, kann man so etwas erreichen wie soziale Kipppunkte - also, dass unwahrscheinlicher Wandel relativ schnell möglich wird.
Und die schlechte Nachricht?
Die schlechte Nachricht ist: In der Klimakrise werden wir leider auch immer weiter mit der Kraft der Krisen arbeiten müssen. In der Geschichte der Menschheit gab es immer wieder sehr schnellen Wandel, wenn Not am Mann war. Ohne die russische Invasion der Ukraine würden wir es wahrscheinlich immer noch für eine gute Idee halten, von Putins Gas abhängig zu sein. Und das ist eben auch das Tragische an der Klimakatastrophe: Dass wir immer wieder darüber sprechen müssen, warum wir das alles machen. Es ist ja nicht so, als hätte ich keine anderen Hobbys als jeden Tag darüber zu sprechen. Aber es geht darum, was uns droht, wenn wir das nicht tun.
Der Zeitgeist war ohne Frage vor ein paar Jahren auf der Seite der Klimaschützer. Nun aber bewegt er sich in völlig anderen Sphären.
Das hat aber auch seine guten Seiten: Die Fronten sind jetzt klar und die Illusion ist zerstört, dass wir alle gemeinsam Hand in Hand für den Klimaschutz kämpfen und selbst Markus Söder Bäume umarmt. Ich war gerade beim Wirtschaftsforum in Davos – da haben vor fünf Jahren noch alle die großen, grünen Reden gehalten. Jetzt sah das ganz anders aus. Es gibt einfach einen fossilen Teil in der Politik und in der Wirtschaft, der gerade alles gibt, damit wir in den Klimavorhaben keinen Zentimeter vorankommen. Das kann man betrauern und in Selbstmitleid daneben stehen, aber ich habe in dem Augenblick auch gedacht: Endlich machen wir uns nichts mehr vor. Jetzt wissen wir, womit wir es zu tun haben.
Sie schreiben: „Man hat den großen Fehler gemacht, aus der wissenschaftlichen Natur des Problems zu schlussfolgern, dass es auch durch wissenschaftliche Überzeugung gelöst werden könnte.“ Bedroht die Glaubwürdigkeitskrise der Wissenschaft auch die Klimabewegung?
Fakten zu verdrehen ist ja keine neue Erfindung. Was wir jetzt erleben, ist, dass es mit Künstlicher Intelligenz und den sozialen Medien so viel leichter geworden ist, nicht nur einzelne Fakten zu leugnen, sondern ganze Wirklichkeiten. Umso wichtiger ist es, dass man dem reale Ereignisse entgegenstellt. Wir sind gerade wieder groß auf die Straßen gegangen - für die Demokratie und auch fürs Klima. Das war nicht nur wichtig, um ein Zeichen gegen die AfD zu setzen, sondern auch, damit die Menschen sehen: Wir sind viele. Auch wenn uns das Internet erzählen möchte, ich bin alleine mit meinen Sorgen. Das heißt, wir probieren durch unseren Aktivismus auch immer wieder zu manifestieren, was eigentlich Wirklichkeit ist - gerade wenn diese Wirklichkeit unter Beschuss steht.
Die politische und mediale Dynamik geht allerdings eher in Richtung Spaltung als in Richtung Gemeinschaftsgefühl.
Wir müssen uns gegen diese Idee wehren: Menschen sehnen sich nur nach dem Negativsten und dem Schlechtesten, die wütendste Emotion kommt am weitesten, und wer doller hassen kann, hat irgendwie gewonnen. Denn wir erleben eigentlich im Alltag jeden Tag genau das Gegenteil. Und wenn man dieses Lebensgefühl bestärken möchte, muss man gar nicht die großen Bilderbücher rausholen. Sondern einfach nur die einfachsten Dinge beweisen: Anstand und Respekt und Empathie. Im Umgang miteinander, in dem Sprechen übereinander. Das ist doch das, was wir unseren Kindern beibringen. Und warum sollte man das als Erwachsener eigentlich ablegen?
Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten. Der Rechtsruck in der Politik – viele fühlen sich überfordert in dieser krisengeplagten Zeit. Das geht auch auf Kosten der Aufmerksamkeit für die Klimakrise.
Ich bin auch überfordert - wer ist das nicht? Aber man muss unterscheiden zwischen „den Menschen“ und Politikern und Politikerinnen. Denn diese Vielfalt an Sorgen wird in der Politik gerne als Ausrede für alles Mögliche genutzt. Auch in diesem Wahlkampf. Da stehen erwachsene Männer auf den denkbar größten Bühnen und wollen mir erklären, sie seien überfordert damit, die banalste Wissenschaft über die Existenz unserer Lebensgrundlagen ernst zu nehmen. Also wer sich da hinstellt, und in aller Breitbeinigkeit behauptet, Verantwortung für Deutschland, für die größte Industrienation Europas übernehmen zu wollen, aber es dann als Zumutung empfindet, die Kindergartenmathematik der Klimakrise anzuerkennen und daraus sinnvolle Schlüsse zu ziehen, dem würde ich sagen: Überleg dir das doch noch zweimal mit deinem Amt, denn offenbar ist das zu viel Verantwortung auf deinen Schultern.
Machen Ihnen die kommenden Wahlen Angst?
Wenn ich mir anschaue, wo die CDU gerade hin rutscht und plötzlich entgegen aller Beteuerungen zusammen mit Faschisten Entscheidungen beschließt, frage ich mich: Wo sind wir da gelandet? Viele Leute, die gerade auf die Straße gehen, macht das sehr wütend. Wie kann es sein, dass die Zivilgesellschaft da so viel klarer ist als Politiker, die sich gerade um die Verantwortung für das gesamte Land bewerben? Ich sehe das so: Die Regierung ist das eine - und die Zivilgesellschaft ist das andere. Und wir wissen, wie wir uns gut organisieren. Immerhin - ich glaube, es wird viel mehr Spaß machen, gegen Friedrich Merz auf die Straße zu gehen als gegen Olaf Scholz.
Luisa Neubauer, geboren 1996 in Hamburg, ist Klimaaktivistin und Autorin. Seit 2020 hostet sie den Klimapodcast 1,5 Grad. Die Geografie-Studentin lebt in Göttingen und Berlin.
„Was wäre, wenn wir mutig sind?“ Rowohlt, 144 Seiten, 13 Euro. Luisa Neubauer stellt ihr Buch am 9. März im Kölner Gloria vor, die Veranstaltung ist bereits ausverkauft.