Madhusree Dutta erhält Kölner Kulturpreis„Wir leben in einer Krise des Lokalen“
- Seit 2018 leitet die indische Filmemacherin die Kölner Akademie der Künste der Welt.
- Seitdem ist die umstrittene Akademie wieder auf Kurs.
- Sie sagt: "Es hilft, dass ich eine Fremde bin."
Köln – Frau Dutta, Sie sind erst relativ kurze Zeit in der Stadt und erhalten bereits den wichtigsten Kölner Kulturpreis. Hat Sie das verblüfft?
Madhusree Dutta: Ich war sehr erstaunt, was für eine Frage. Der Preis geht wohl eher an die Akademie der Künste der Welt als an mich, denn ich bin nur ihr aktuelles Gesicht. Vielleicht war es hilfreich, dass ich eine Fremde bin, die Menschen mein Englisch nicht immer richtig verstehen und sich deswegen mehr Mühe beim Zuhören geben. Alle sind neugierig, was ich zu sagen habe, das bringt das Fremdsein mit sich.
Hatte die Stadt zuvor nicht verstanden, was die Akademie sein soll?
Die Akademie ist eine sehr besondere Sache. Man kann eher sagen, was sie nicht ist: Sie ist kein Theater, kein Museum, kein Ort der freien Szene, überhaupt keine klassische Institution. Sondern etwas irgendwo dazwischen, eine neue Idee. Wir können nicht einfach kopieren, was die anderen tun, wir müssen etwas anderes erfinden. Das erklärt vielleicht auch die bewegte Geschichte der Akademie. Wir haben in der Stadt entweder strikte Ablehnung oder totale Hingabe erlebt, und es ist schwierig zu definieren, wie erfolgreich wir waren. Woran soll man das messen: an Ticketverkäufen, an der Zahl prominenter Gäste? Ich sehe meine Aufgabe darin, lokale Talente und Ressourcen zu fördern und gleichzeitig international zu agieren. Dieses Vorhaben ist manchmal gescheitert, und manchmal ist der Spagat gelungen.
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Im vergangenen Dezember sagten Sie, ihr Start sei sehr gut gewesen. Wo stehen Sie heute?
Am Anfang gab es eine heftige Diskussion darüber, wie lokal verankert eine international ausgerichtete Institution wie unsere sein soll. Wir leben in einer Krise des Lokalen. Vor Ort fühlen sich alle bedrängt: von der Gentrifizierung, der Migration, den ökonomischen Umwälzungen. Meist kommen diese Einflüsse von außen, weshalb es eine starke Neigung gibt, die eigene Kultur zu schützen und sich abzuschotten. Das ist die große Herausforderung für die Akademie.
Wie zeigt sich das im Akademieprogramm?
Unser aktuelles Projekt „Memory Stations“ ist an vielen Orten in Köln und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen verankert. Hier versuchen wir, das Internationale im Lokalen zu finden, indem wir jede und jeden ermuntern, sich als Historiker des alltäglichen Lebens zu betätigen und die eigenen Erinnerungen festzuhalten. Wir kooperieren dafür mit verschiedenen lokalen Künstlern und Initiativen. Dabei geht es auch darum, die vielen Stimmen der Nachbarn zu akzeptieren, die Erinnerungen von Menschen zu hören, die aus allen möglichen Ländern dieser Erde nach NRW gekommen sind.
Wir ermuntern jeden und jede, zum Historiker zu werden
Wie ist die Resonanz auf die „Memory Stations“?
Das Projekt wird von den lokalen Gemeinschaften gut angenommen. Im Moment sammeln wir die Erinnerungen noch überwiegend offline, aber erste Ergebnisse sind bereits auf der „Memory Stations“-Webseite zu sehen. Die „Memory Stations“ widmen sich jeweils ihren eigenen lokalen Thematiken. Der Emanzenexpress in Bochum beschäftigt sich mit Beispielen des feministischen Widerstands der 1980er und 90er Jahre und in Kalk gab es eine Veranstaltung mit dem Titel „Sizilienexpress“. Ausgangspunkt war ein LKW, der für den Austausch zwischen Kalk und Sizilien sorgt, und somit einen fahrenden Dialog zwischen der sizilianischen Diaspora und der Heimat ermöglicht.
Das klingt nach sehr unterschiedlichen Welten.
Wir sind selbst gespannt, wie die vielen disparaten Erinnerungen miteinander sprechen, wenn sie im digitalen Archiv zusammengekommen. Das ist die Idee der „Memory Stations“.