Magazin-CoverWie die „Vogue“ Greta Thunberg zur Heiligen verklärt
Stockholm – Eine junge Frau, ein Pferd, eine Naturlandschaft aus bemoosten Eichen. Das Bildmotiv bewegt sich gefährlich nah an der Kitschromantik eines Mädchenzimmerpostern aus der „Wendy“. Hielte sich die junge Frau nicht gar so gerade und müsste sie ihren linken Arm nicht ganz so weit ausstrecken, um den gesenkten Kopf des Pferdes zu streicheln. So sieht es sogar ein wenig aus, als hielte sie das liebkoste Tier zugleich auf Abstand. Oder als lege sie ihm ihre heilende Hand auf.
Wir betrachten das Cover der ersten skandinavischen Ausgabe der internationalen Modezeitschrift „Vogue“. Ihr Titelstar ist die derzeit wohl weltweit berühmteste Skandinavierin, Greta Thunberg, mit uncharakteristisch gelöstem Haar. Auch wenn die 18-jährige Klimaaktivistin zu den Menschen gehört, die man nicht unbedingt auf dem Titelbild eines Modemagazins erwartet hätte.
Thunberg selbst hat das von Iris Alexandrov und Mattias Klum fotografierte Titelbild auf Twitter mit einer Warnung vor der „Fast Fashion“ geteilt. Die Modeindustrie leiste einen gewaltigen Beitrag zur Notlage des Klimas und der Umwelt. Und die „Fantasiebeträge“, die die Branche ausgibt, um sich als „nachhaltig“ oder „grün“ darzustellen, seien fast immer bloßes „Greenwashing“: Zur Schau gestellte Umweltfreundlichkeit als Verkaufsargument.
Seit drei Jahren nichts gekauft
Im Gespräch mit der „Vogue“ erzählt Thunberg unter anderem, dass sie sich zuletzt vor drei Jahren neue Kleidung gekauft habe – im Second-Hand-Shop. Ansonsten borge sie sich Klamotten von Bekannten.
Während des Fotoshootings in verschiedenen Wäldern in der Nähe von Stockholm, berichtet „Vogue“-Autor Tom Pattinson, habe sie sich zurückhaltend verhalten, ihre Zeit lieber allein verbracht oder im Zwiegespräch mit der skandinavischen Landschaft und dem isländischen Cover-Pferd Strengur. „Strengur“, behauptet Google Translate, bedeutet „Zeichenfolge“, der Langenscheidt übersetzt „Saite“ oder „Kabel“, und beides erscheint als Pferdename doch etwas wahrscheinlicher.
Weg vom Posterkitsch
Von klassischer Strenge ist jedenfalls die Bildkomposition, die den Blick links oben vom schiefen Baumstamm zur sitzenden Frauenfigur im Profil lenkt, und an deren ausgestrecktem Arm entlang am Hals des Tieres nach rechts oben, während das Blätterwerk der mittigen Eiche einen beruhigend flirrenden Hintergrund für die weißen Lettern des Zeitschriftentitels bildet. Das ist ein Grund dafür, dass die Fotografie am Posterkitsch vorbeikommt.
Ein anderer liegt in der ungewöhnlichen Bekleidung des Coverstars, denn selbstredend ist den Redakteuren der „Vogue“ und Greta Thunberg sowieso bewusst, dass die Gegner der Klimakämpferin nur auf eine Gelegenheit warten, ihr Heuchelei vorzuwerfen. Weshalb es sich bei den Stücken, die Thunberg auf dem Titel und im Innenteil des Magazins vorführt, um sogenanntes „deadstock clothing“ handelt: Kleidung aus dem Stoff-Überschuss anderer Modehäuser.
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So wurde der übergroße Trenchcoat, den Thunberg hier trägt, aus abgelegten Jacken zusammengenäht. Für ihr Foto haben Iris Alexandrov und Mattias Klum den in Staubrosa glänzenden Trench mit eleganten Faltenwürfen wie die Gewandung auf Marienbildern drapiert. Würde sie sich erheben, könnte man unter diesem Mantel glatt Zuflucht vor den Zumutungen des Klimawandels finden – die sogenannte Schutzmantelmadonna war im späten Mittelalter eine beliebte Mariendarstellung. „The Wonders of Greta Thunberg“ verkündet die Unterzeile des Covers in geschnörkelter Schrift.
Diese Waldnymphe ist also eigentlich eine Heilige und in deren Gloriolenschein sonnt sich auch die „Vogue Scandinavia“, die ihre Leser gleich in der Erstnummer darüber informiert, dass sie CO2-neutral hergestellt und ohne schützende Schrumpffolie verkauft wird. Dass die Modezeitschrift in ihren kommenden Ausgaben wohl kaum ausschließlich „deadstock clothing“ und Second-Hand-Ware anpreisen wird, bleibt unerwähnt.
Greta Thunberg hat das Fashion-Experiment indes nicht geschadet: Sie konnte die Plattform der „Vogue“ nutzen, um auf die Klimasünden der Modeindustrie aufmerksam zu machen – und wenn sie dabei etwas Persönliches preisgegeben hat, dann war das nur für die Ohren von Strengur bestimmt.