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„Caféterrasse am Abend“Vincent van Goghs letztes Abendmahl in Coronazeiten

Lesezeit 4 Minuten

Vincent van Goghs „Caféterrasse am Abend“ (1888)

  1. Vincent van Goghs „Caféterrasse am Abend“ gehört zu den beliebtesten Bildern des Malers.
  2. Aber steckt in der Komposition etwa eine geheime Botschaft? Eine Bildbetrachtung.

Köln – Es ist später Abend, und über den Gästen eines kleinen Cafés stehen die Sterne in leuchtendem Blau. Vincent van Gogh hat lauter kleine Sonnen an den Nachthimmel getupft, doch die spenden nur einen schwachen Abglanz der Laterne, die unter dem Vordach der Caféterrasse hängt. Mit ihr taucht der Maler die unscheinbare Szene in strahlendes Gold, sattes Orange und mildes Grün – eine Mischung, die sich auch über das violette Straßenpflaster verteilt und auf dessen Wellen zu tanzen scheint.

Vincent van Gogh selbst schrieb mit einiger Begeisterung über sein 1888 in Arles entstandenes Gemälde. „Es ist ein Nachtbild ohne das Schwarz der Nacht“, heißt es in einem Brief an seine Schwester, in dem auch steht, wie sehr er es genießt, bei Nacht zu malen, statt nächtliche Skizzen bei Tageslicht auszuführen. Die Farben verändern sich dadurch, so van Gogh, aber gerade das sei der einzige Weg, der Mondblässe zu entkommen.

Vincent van Goghs „Caféterrasse am Abend“ (1888)

Die „Caféterrasse am Abend“ ist ein schönes Beispiel dafür, wie van Gogh die Wirklichkeit durch die Gefühlswelt der Farben verwandelte – eine Welt, die für ihn auf der Leinwand nicht weniger wirklich war als diejenige, die er vor sich sah. Das Gemälde gehört zu jenen van Goghs, die besonders gerne auf Postkarten gedruckt werden – weshalb die Fachwelt erstaunt aufhorchte, als der Kunsthistoriker Jared Baxter vor einigen Jahren eine gänzlich neue und überraschende Deutung des Motivs anbot. Das Straßencafé, so Baxter, sei van Goghs Version des letzten Abendmahls, mit dem Kellner als Jesus und den zwölf Gästen als dessen Jüngern.

Diese Interpretation ist gleich aus zwei Gründen ungewöhnlich: Van Gogh stammte zwar aus einem Pfarrershaushalt, aber im klassischen Sinne religiös war seine Malerei gerade nicht. Außerdem wäre sein Straßencafé eine der wenigen Darstellungen des Abendmahls unter freiem Himmel – und das vermutlich einzige in der Außengastronomie. Gerade letzteres lässt Baxters Deutung in Coronazeiten freilich besonders verlockend erscheinen. Solange die Restaurants geschlossen sind, ist die Tischgesellschaft (scheinbar) zufälliger Gäste mehr denn je ein Hoffnungs- und Sehnsuchtsbild.

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Aber was genau spricht für Baxters Sicht auf das Gemälde? Zunächst einige Indizien: In seinen Briefen liebäugelte van Gogh gelegentlich mit der Idee eines „heiligen Realismus“, und er träumte davon, eine Gemeinschaft der zwölf „Malerapostel“ zu begründen. Auf dem Gemälde selbst passt schon mal die Tageszeit und die Zahl der an den Cafétischen sitzenden Figuren. Die zwölf schattenhaften Gäste fassen die stehende und mit weißer Farbe zusätzlich hervorgehobene Gestalt in ihrer Mitte ein – die Kellnerschürze wird zum Priestergewand. Durch die Fernsicht auf das Geschehen rücken die Cafébesucher scheinbar zusammen, mit etwas gutem Willen lässt sich sagen, dass sie um eine horizontale Linie herum angeordnet sind. Versteckt liegt das Fenster, das in Form eines Kruzifixes in der Gasse leuchtet (am hinteren Ende der Markise), dafür ist der über dem Kopf Jesu aufgehängte Heiligenschein der Laterne nicht zu übersehen.

Selbstredend ist das alles spekulativ. Es gibt keinerlei konkrete Belege dafür, dass van Gogh tatsächlich im Sinn hatte, mit der „Caféterrasse am Abend“ seine Fassung von Leonardos Abendmahl zu schaffen. Andererseits wäre er auch nicht der erste Maler, der etwas im Bild „versteckt“, um diesem eine höhere Bedeutung zu verleihen.

Judas fehlt auf dem Bild und auch jede Psychologie

Was bei van Gogh fehlt, ist die Judas-Gestalt und der Aufruhr, den die Ankündigung des nahen Verrats unter den Jüngern erzeugt; für psychologische Feinheiten sind seine Strichfiguren nicht zu haben. Dafür rückt die zweite Bedeutung der biblischen Abendmahl-Szene in den Blick: Durch das symbolische Brotbrechen und Weintrinken begründet Jesus die christliche Gemeinschaft, ein Stiftungsakt, den die Kirche bis heute mit dem verlässlich wiederholten Wunder der Eucharistie beschwört.

In Arles scheint die Tafel hingegen leer zu sein, allenfalls Gläser sind zu erahnen. Möglicherweise will van Goghs Heiland die Tische abräumen und endlich nach Hause gehen.