Nach hitzigem StreitSo liest sich die deutsche Übersetzung von Amanda Gorman
Köln – „Das berühmteste Gedicht der Welt“, so bewirbt der Hoffmann und Campe Verlag den schmalen Band mit dem amerikanischen Originaltext und der deutschen Übersetzung von Amanda Gormans Gedicht „The Hill We Climb“.
Das hatte die junge Poetin, sie ist vor wenigen Tagen 23 Jahre alt geworden, am 20. Januar vor einem Millionenpublikum zur Amtseinführung von Joe Biden auf dem Kapitolshügel mit feingliedrigen Gesten vorgetragen – und wurde damit zum Star der Inauguration, ihr Auftritt später millionenfach auf Youtube angeklickt.
Von daher scheint der steile Claim vom „berühmtesten Gedicht der Welt“ gerechtfertigt. Wie oft geschieht es, dass Lyrik zum Medienereignis wird?
Amanda Gorman: Streit in Europa – wer darf wen übersetzen?
Doch Gormans flammender Appell, die aufgerissenen Gräben zu schließen, hat – zumindest in Europa – auch Anstoß zu einer hitzig geführten Debatte gegeben. Wo die Dichterin einen neuen Verbund beschworen hatte, gruben sich die Gegner im großen Identitätskrieg noch tiefer in ihren Stellungen ein.
Wie das kam? Der Verlag Meulenhoff hatte die Rechte für die niederländische Ausgabe von „The Hill We Climb“ erworben und Marieke Lucas Rijneveld mit der Übersetzung beauftragt. Rijneveld ist nur sieben Jahre älter als Gorman und hat vergangenes Jahr als bislang jüngste Person den renommierten Booker-Preis gewonnen.
Was oberflächlich als Win-Win-Situation erschien, erregten den Widerspruch der schwarzen Journalistin Janice Deul: Rijneveld, schrieb sie in der Zeitung „De Volkskrant“, „ist weiß, nicht-binär, ohne Erfahrung in diesem Feld.“ Weshalb sie als Übersetzende des Gorman-Gedichts ungeeignet sei. Rijneveld wurde daraufhin im Netz massiv angefeindet und zog sich erschreckt zurück.
Prompt folgten rechte und altlinke Klagen über identitätspolitische Exzesse und „Cancel Culture“. Dürften Weiße nicht länger Schwarze übersetzen, wo ziehe man dann die Grenze? In wie vielen Punkten sollte der Übersetzende deckungsgleich mit dem Schreibenden sein? Das waren grobe Vereinfachungen, die außer Acht ließen, dass es Deul im Kern um die fehlende Teilhabe von People of Color im Literaturgeschäft ging.
Übersetzen bedeutet, für jemand anderen zu sprechen
Gleichwohl war der Aufruhr nicht unberechtigt. Übersetzen bedeutet, für jemand anderen zu sprechen. Für eine Person, mit der man eben nicht-identisch ist, deren Erfahrungsschatz man nicht teilt. Überhaupt: Sollte man nicht über die literarischen Qualitäten des Textes diskutieren, statt über die Hautfarbe der Dichterin und ihrer Übersetzer?
Nicht wenige Kritiker verwiesen abschätzig auf die – vor der Debatte getroffene – Entscheidung von Hoffmann und Campe, Amanda Gormans deutschem Verlag, mit der Übersetzung des nur gut 700 Wörter umfassenden Textes ein Team aus drei Frauen zu beauftragen.
Zum Buch
Amanda Gorman: „The Hill We Climb – Den Hügel hinauf“
Hoffmann und Campe Verlag, 64 Seiten, 10 Euro, E-Book: 8 Euro
Zu dem nur eine professionelle Übersetzerin gehört, dafür aber noch „eine schwarze Journalistin“ und „eine kopftuchtragende Muslimin und Feministin“. So formulierte es der „Spiegel“, als hätte der Verlag mit dieser Entscheidung den Absurditätsgipfel politischer Korrektheit erklommen.
Jetzt liegt „Den Hügel hinauf“ endlich vor. Das emphatische „Wir“ des Originals muss man aus dem übersetzten Titel mit der Frage „Wer?“ herauslocken. Auf dem Cover prangt eine mit kantigen Schatten abstrahiert gezeichnete Gorman, in ihrem kanariengelben Prada-Mantel und mit rotem Haarreif blickt sie vor violettem Grund der Zukunft entgegen, wie eine feministische Popikone aus einem „Rebel Girls“-Buch.
„The Hill We Climb“: Das Übersetzerinnen-Team zahlt sich aus
„Den Hügel hinauf“ geht mit der stolzen Startauflage von 50.000 Exemplaren in den Handel, die Nachfrage soll noch erheblich größer sein. Freilich, es ist auch ein wichtiges Zeitdokument und die Umsicht, mit welcher der Verlag das Übersetzerinnen-Team ausgewählt hat, sie hat sich ausgezahlt. Letztlich geht es weniger um Identität als um Kompetenz. Uda Strätling ist eine erfahrene Übersetzerin englischsprachiger Literatur. Der biografische Abriss am Ende des Buches erwähnt speziell die afroamerikanischen Autoren, die sie ins Deutsche übertragen hat: Teju Cole, John Edgar Wiseman und Claudia Rankine (man hätte noch Walter Mosley hinzufügen können).
Die Politikwissenschaftlerin Hadija Haruna-Oelker publizierte unter anderem über die Schwarze Diaspora in Deutschland und die Sprache von Geflüchteten. Und Kübra Gümüşay hat mit „Sprache und Sein“ ein Buch über die Macht und prinzipielle Unübersetzbarkeit von Sprache verfasst, das bedenkenswertere Argumente enthält, als jene, die im Streit über Gorman ausgetauscht wurden.
Amanda Gorman: So ist die deutsche Übersetzung geworden
Das Schlechteste, was dem kundigen Team passieren könnte, wäre, den Schwung des Originals zu verlieren, zugunsten allzu großer Genauigkeit. Aber zum Glück haben die Übersetzerinnen im Zweifel dem Rhythmus den Vorzug vor der Buchstabentreue gegeben – das Gedicht ist, seinem Anlass angemessen, der Spoken-Word-Poetry näher als der klassische Lyrik.
Das von Gorman formulierte höhere Ziel – „To compose a country committed/ To all cultures, colors, characters,/ And conditions of man“ – beschwört hier „ein Land für Menschen aller Art,/ jeder Kultur und Lage, jeden Schlags“. Der unreine Reim ersetzt die Alliterationen. Laut ausgesprochen klingt die Übersetzung lockerer als das Original, das ohne den Zeilensprung auch als Zitat aus einer Obama-Rede durchgehen könnte.
Das gelingt nicht immer so glatt. Wo sich Gorman als „skinny Black girl,/ Descended from slaves and raised by a single mother“ beschreibt, verstolpert sich die Übersetzung: „Nachfahrin von Sklavinnen, Kind einer alleinerziehenden Mutter“. Man versteht, dass die Übersetzerinnen das generische Maskulinum vermeiden wollten, aber ist Gorman nicht auch Nachfahrin von männlichen Sklaven?
Die Ausgabe von „The Hill We Climb“ gehört auf jeden Lehrplan
Wer die „Kadenzen einer Klugheit, die im Takt unserer Herzen schlagen“ erleben will, von denen Oprah Winfrey im Vorwort schreibt, schaut sich am besten die Aufzeichnung von Gormans Performance an. Das ist das wahre Werk. Die gedruckte Fassung dient auch im Original vor allem der Vertiefung.
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Hier helfen die Anmerkungen der Übersetzerinnen, die Gormans Zitate und Anspielungen – aus der Bibel, der amerikanischen Verfassung, dem Musical „Hamilton“ oder früheren Inaugurations-Gedichten von Maya Angelou und Richard Blanco – dokumentieren und einordnen. Sie sprechen auch Problemfälle der Übersetzung an, die in diesem Fall zugleich Probleme von Sprache und Macht sind.
Etwa, warum sie im oben bereits zitierten Abschnitt „all cultures, colors, characters“ nicht einfach „color“ mit „farbig“ übersetzt haben. Allein die Erklärung, dass es im Deutschen problematisch ist, Menschen als „farbig“ zu bezeichnen – weil es insinuiert, dass leicht eingefärbt zu sein besser sei, als völlig schwarz; weil Schwarz, im Gegensatz zu farbig eine Selbstbezeichnung ist – zeigt, dass sich der vom Verlag betriebene Aufwand gelohnt hat: Diese Ausgabe von „The Hill We Climb“ gehört auf jeden Lehrplan.