Ballettchef Marco Goecke, der eine Rezensentin mit Hundekot beschmierte, ist nicht der einzige Künstler, der Kritiker hasst. Über ein gestörtes Verhältnis.
Marco Goeckes Hundekot-EklatEine kurze Geschichte vom Kampf Künstler gegen Kritiker
„Das gestörte Verhältnis eines Kunstschaffenden zur Kritik“, so trocken analysierte die „FAZ“ den Theater-Eklat, über den seit Montag nicht nur ganz Deutschland spricht – auch zahlreiche internationale Zeitungen berichteten vom Vorfall an der Hannoveraner Staatsoper. Deren Ballettdirektor Marco Goecke hatte der „FAZ“-Tanzkritikerin Wiebke Hüster auf einer Premiere Hundekot ins Gesicht geschmiert. Als Reaktion auf Verrisse, die Hüster über seine Produktionen verfasst hatte.
Ein 50-jähriger Star-Choreograf, der die Ausscheidungen seines Dackels in einer Tasche durchs Opernfoyer trägt, der sich noch Tage später damit rechtfertigt, dass die Kritiken seines Opfers selbst das „Niveau eines Scheißhaufens“ hätten – da erscheint „gestört“ schon als die korrekte Wortwahl. Wirft aber gleichzeitig die Frage auf, ob es denn ein ungestörtes Verhältnis von Kunstschaffenden zur Kritik gibt, oder auch nur geben kann?
Die Antwort lautet wohl eher nein. Womit keinem Kunstschaffenden eine grundsätzliche Störung angedichtet werden soll. Es liegt in der Natur der Sache, im Missverhältnis zwischen Kunstproduktion und ihrer anschließenden Bewertung. Ob eine Choreografin, ein Regisseur oder eine Schauspielerin nun bei jeder Arbeit ihr oder sein Innerstes nach außen stülpt, sei dahingestellt, persönlich ist es allemal, schutzlos stellt man sich der Öffentlichkeit aus.
In größter Gemütsruhe schreibt der Kritiker einen saftigen Verriss
Und dann schneit da also so ein Kritikmensch kurz zur Premiere herein, fragt bei der Pressefrau leicht genervt, wie lange es denn diesmal dauere, macht es sich auf seinem Freikartenplatz bequem, nervt seine Sitznachbarn mit seinem in der Spitze beleuchteten Kugelschreiber, eilt noch während des Schlussapplauses aus dem Saal, und schreibt dann in größter Gemütsruhe einen saftigen Verriss des Abends, froh, dass er sich auf diesen Mist nicht noch eigens vorbereitet hat.
So kommt es – zugespitzt – beim Kunstschaffenden an, der in einer negativen Kritik seiner Arbeit oft eine Negierung seines innersten Wesens lesen wird. Selbstverständlich ist das Verhältnis zwischen Kunstschaffenden und Kunstkritisierenden gestört. Der Goeckesche Ausraster ist dafür nur das jüngste und selbstredend auch ein besonders krasses Beispiel.
- Burgschauspielerin Käthe Dorsch verpasste Kritikern, von denen sie sich ungerecht behandelt fühlte, häufiger eine Watschen. Berühmt wurde die Ohrfeige, die sich der Kritiker Hans Weigel 1956 von ihr im Wiener Café Raimund einfing, weil er gewagt hatte, ihr Spiel mit dem auf einer „Verständigungsprobe“ zu vergleichen. So wie jetzt Wiebke Hüster in Hannover erstattete auch Weigel Anzeige. Im anschließenden Prozess forderte ein Kollege der Dorsch die Todesstrafe für den Kritiker.
- Im Jahr 1973 rächte sich die Schauspielerin Sylvia Miles an dem notorisch frauenfeindlichen Kritiker John Simon, der sie in einer Theaterrezension ein notorisches Party-Girl und ungebetenen Gast genannt hatte, indem sie ihm einen Teller mit Steak-Tartar und Kartoffelsalat über den Kopf schüttete.
- Während der Premiere von Eugène Ionesco „Das große Massakerspiel oder Triumph des Todes“ im Februar 2006 am Schauspiel Frankfurt entriss der Schauspieler Thomas Lawinky dem „FAZ“-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier mit den Worten „Mal sehen, was der Kerl da schreibt!“ seinen Spiralblock und rief ihm, als Stadelmaier die Vorstellung konsterniert verließ, hinterher: „Hau ab, du Arsch! Verpiss dich!“ Der berichtete darauf in seiner Zeitung unter der Überschrift „Ein Angriff“ von der „Attacke auf mich“ und löste eine bundesweite Diskussion aus. Lawinky kündigte, bevor er entlassen werden konnte.
Von unangenehmen Zusammentreffen oder gezischelten Beleidigungen können fast alle Menschen berichten, die beruflich Theaterkritiken schreiben. Eine Tracht Prügel wurde mir auch schon angedroht, das ist freilich lange her und was ich damals geschrieben hatte, war nun wirklich nicht sehr nett gewesen. Überhaupt hat man als Kritiker Kritik und auch manch harsche – aber bitte kotfreie! – Reaktion auszuhalten. Allein in dieser Woche bin ich bereits als „Faschist“ und als „Krähe“ beschimpft worden. Von Lesern, nicht von Theaterleuten.
Dort ist das Verhältnis zumeist von freundlicher Nervosität geprägt. Der Kunstschaffende will ja auch gelobt werden. Allerdings nicht von jemanden, der grundsätzlich nur Lob verteilt. Erst der Verriss schafft das richtige Standing. Solange er einen denn nicht selbst erwischt.
Eine Kritik, die nicht gelegentlich weh tut, ist also nicht viel wert. Die Frage lautet derzeit freilich eher: Was ist Kritik überhaupt noch wert? Aus der unleugbaren Marginalisierung der Theaterkritik in den Medien schließen manche Bühnenkünstler, sie könnten sich direkt mit dem Publikum kurzschließen.
Kritik? Scheiß der Hund drauf! „Your time is over, darling“, beschied jüngst der Schauspieler Benny Claessens abschätzig einer allzu kritischen Rezensentin. Dabei hängt die Krise der Kritik mit dem Bedeutungsverlust der Theater im öffentlichen Diskurs zusammen. Man kann nicht mit – aber erst recht nicht ohne einander.