Regisseurin Marie Bues gilt als Spezialistin für Uraufführungen. In Köln bringt sie in Thomas Köcks „Eigentum“ das Ende der Menschheit auf die Bühne. Mit Leichtigkeit.
Marie Bues am Schauspiel Köln„Ich inszeniere Texte, die andere unspielbar finden“
Marie Bues, Sie bringen am Schauspiel Köln das neue Stück von Thomas Köck, „Eigentum“, zur Uraufführung. Worum geht es?
Marie Bues: Es geht, wie der Titel schon sagt, um den Begriff des Eigentums, um eine Art von Besitzdenken, auch im Sinne kultureller Aneignung, das Thomas Köck in allen Variationen durchdekliniert. Er fragt: Was macht dieses Denken, woher kommt es, wann fing das an, dass sich das in allen globalen Systemen manifestiert hat? Dabei geht es auch um Ressourcen, um Rohstoffe, die man der Erde entnimmt. Das ist auch ein ganz großes Thema in dem Stück: Was macht die Menschheit mit der Erde?
Das Theater hat nicht diesen Realismus-Anspruch wie der Film, deshalb können hier „Alien“-Anklänge problemlos in eine Hausbesichtigungs-Satire kippen ...
Genau, und das ist ja auch ganz schön, dass der Text so einen großen Bogen spannt, von der Kolonialzeit, wo der Entdeckergeist tatsächlich ein ganz anderer, noch nicht negativ besetzter war, bis zur Gegenwart, wo diese Hausbesichtigung angesiedelt ist, in der sich der Begriff des Eigentums zu etwas total Groteskem entwickelt. Was in der Horrorvision der Zukunft dann ins totale Elend führt. Da werden viele disparate Elemente zusammengeführt.
Das kann man abstrakt inszenieren oder mit sehr konkreten Bildern. War Ihnen sofort klar, wie Sie das am besten umsetzen?
Nein, wir mussten lange reden und überlegen, weil ja auch so viele Genres berührt werden. Das Stück ist als Komödie untertitelt, aber es ist auch grotesk, poetisch und Science-Fiction. Es macht Spaß, mit so vielen unterschiedlichen Ebenen und Mitteln zu spielen. Das bedeutet aber auch, dass man relativ oft switchen und das Publikum dabei mitnehmen muss. Ich habe ja schon oft Stücke von Thomas Köck inszeniert, deswegen weiß ich, dass man bei ihm nicht zu viel bebildern oder ausformulieren darf, weil er schon eine wahnsinnig bildreiche Sprache hat. Reiner Realismus würde da ins Nichts führen. Es muss ein bisschen abstrakter sein, die Figuren entstehen, ein wenig wie bei Elfriede Jelinek, über die Sprache.
Im Gegensatz zu Jelinek inszeniert Thomas Köck seine Texte zum Teil selber. Macht das Ihre Arbeit schwieriger?
Ach kaum. Ich freue mich, dass er das macht und dass er so sehr am Theaterprozess interessiert ist. Wir arbeiten jetzt schon seit sieben Jahren zusammen, haben auch bereits eine Stückentwicklung zusammen gemacht, da gibt es ein Grundvertrauen.
„Eigentum“ ist eine Auftragsarbeit für das Schauspiel Köln, wie sehr waren Sie da an der Stückentwicklung beteiligt?
Wir haben uns früh mit Chefdramaturg Thomas Jonigk zusammengesetzt und Thomas Köcks erste Idee besprochen, haben uns Links geschickt und Querverweise und Filme. Das war total schön, dass man so früh inhaltlich sprechen konnte, aber dann hat Thomas Köck natürlich viel alleine weiterentwickelt. Es gab immer mal Zwischenstände, die wir gelesen haben. Redebedarf hatte ich zum Beispiel bei seinem Bild der Cyborgs, künstliche Intelligenzen, die nicht an die menschlichen Lebensbedingungen gebunden sind. Da habe ich ihn gefragt, ob das für ihn positiv oder negativ belegt ist.
Da denkt man natürlich zuerst an James Camerons „Terminator“ und die aktuellen Ängste vor der Künstlichen Intelligenz …
Aber Thomas Köck sieht es eigentlich positiv. Jedenfalls erzählt er diese Apokalypse mit einer gewissen Leichtigkeit. Die Maschinen sind nicht per se böse, sondern etwas Neues, etwas Anderes. Das finde ich interessant und neu, dass er in diesem Abschiedsgedanken der Menschheit eine fast humorvolle Fantasie entwickelt.
In Hollywood streiken derzeit immer noch die Schauspieler, auch da geht es unter anderem um die Angst, von der KI abgelöst zu werden. Am Ende bleibt fast nur das Theater als Kunst, die nicht maschinell zu ersetzen ist.
Ja, und es gibt auch eine Theaterebene im Stück: Die Menschheit, die sich Geschichten erzählt, die vielleicht erst durch die Produktion von Geschichten überhaupt erst das Menschliche entwickelt, das fand ich eine tolle zweite, poetische Ebene in dem Stück. Deshalb habe ich das ein bisschen ausgebaut, daraus drei Erzählerfiguren gemacht. Und diese ErzählerInnen werden dann zu den alten Menschen, die von den Maschinen irgendwann abgestellt werden.
Sie haben als Regisseurin Ihren Schwerpunkt auf neue Dramatik gesetzt. Nun nimmt sich die Regie bei einer Uraufführung in der Regel sehr viel weniger Freiheiten gegenüber dem Text heraus. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?
Ich will mich nicht über Texte hinwegsetzen, ich will sie zu ihrer je eigenen Qualität bringen. Es gibt ein paar Autoren und Autorinnen, mit denen ich öfters zusammenarbeite – neben Thomas Köck etwa noch mit Sivan Ben Yishai und Magdalena Schrefel. Gerade in so einer nachhaltigeren Zusammenarbeit kommt man schneller voran. Ich suche vor allem Autoren, die einen politischen Anspruch haben und Lust auf experimentellere Formen. Die sogenannten Well-Made-Plays liegen mir eher nicht.
Und die Klassiker?
Habe ich auch schon ein paar Mal inszeniert, „Emilia Galotti“ zum Beispiel. Da habe ich auch Spaß dran. Aber dann muss ich eine konkrete Idee haben, warum ich gerade dieses Stück heute mache. Mein Talent liegt eher darin, Texte auf die Bühne zu bringen, die ich toll finde, andere Regisseure oder Regisseurinnen aber unspielbar finden. Mir gibt gerade das eine Freiheit, so können andere Bilder und Szenerien entstehen. Das hat auch viel mit den jeweiligen Ensembles zu tun. Ich arbeite gerne im Kollektiv. Viele Ideen kommen von den Spielerinnen und ihrer eigenen Rollenperspektive. Das ist oft sehr bereichernd.
Jetzt inszenieren Sie zum ersten Mal in Köln. Da treffen einige ihrer bewährten Mitstreiter auf das hiesige Ensemble. Wie ist das bis jetzt gelaufen?
Ich finde, es sind sehr eigene Spielerinnen und besondere Menschen dabei. Manche sehr komödiantisch, manche eher in einer epischen Texttradition. Die musste ich nun erstmal kennen und einschätzen lernen. Und die schenken sich nichts, aber zusammen auf der Bühne sind sie sehr stark, werden jetzt immer mehr zum Ensemble. Das ist auch ein tolles Theater hier in Köln, so eine große Offenheit, so viel Vorschussvertrauen, das findet man nicht überall.
Neue Theater-Texte haben es oft schwer, über die Uraufführung hinaus gespielt zu werden, geschweige denn, in den Kanon aufgenommen zu werden …
Stimmt. Für die Schreibenden ist das oft hart, die müssen sich von Auftragswerk zu Auftragswerk hangeln. Thomas Köck schafft das. Seine Klimatrilogie habe ich zum Beispiel zweimal inszeniert. Und allein „paradies fluten“ ist sieben, achtmal an anderen Häusern nachgespielt worden. Ich glaube, ein neues Stück kann es vor allem über seine Themen schaffen, häufiger gespielt zu werden. Wenn das gut geschrieben und griffig ist, wenn seine Themen, wie zum Beispiel der Klimawandel in „Eigentum“, jetzt gerade relevant sind oder noch länger brennen, dann nehmen das Theater auch gerne an.
Sie haben ursprünglich als Schauspielerin angefangen, sattelten dann aber relativ schnell auf die Regie um. Warum?
Ich habe schon während der Schauspielschule gemerkt, dass es da noch ein anderes Interesse gibt. Und auch gleich Regieassistenzen übernommen. Nach meinen ersten Engagements als Schauspielerin wechselte ich dann als Regieassistentin nach Basel. Das hat mir total gefallen, da habe ich noch mal ganz andere Arten von Theater kennengelernt. Und der Intendant dort hat gesagt, lass doch das Spielen und konzentriere dich auf die Regie. Trotzdem hat mir die Schauspielausbildung sehr gutgetan: Ich gehe als Regisseurin von den Schauspielerinnen und Schauspielern und ihren Körpern auf der Bühne aus. Ich bin sehr nah dran.
Die Regisseurin Marie Bues (*1980) gilt als Spezialistin für neue Texte. Mit dem österreichischen Dramatiker Thomas Köck verbindet sie eine enge Arbeitsbeziehung. Sein neues Stück „Eigentum“ wird am 29. September im Depot 1 des Schauspiels Köln uraufgeführt. Weitere Termine: 1., 15., 17. Oktober, 28., 9., 10., 14. November