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Iranisches Stück aktueller denn jeSchauspiel Köln startet mit unbekanntem Meisterwerk in die Spielzeit

Lesezeit 4 Minuten
Yazdgerds Tod
مرگ یزدگرد
von Bahram Beyzaie
Regie: Mina Salehpour
 
Regie: Mina Salehpour
Bühne: Afsoon Pajoufar
Kostüme: Maria Anderski
Musik & Komposition: Sandro Tajouri
Licht: Jan Steinfatt
Dramaturgie: Lea Goebel
 
Foto: Andreas Schlager

Elmira Bahrami in „Yazdgerds Tod“ am Schauspiel Köln

Die deutsch-iranische Regisseurin Mina Salehpour inszeniert im Köln-Mülheimer Depot 1 Bahram Beyzaies Stück „Yazdgerds Tod“.

Bahram Beyzaie konnte sein Stück „Yazdgerds Tod“ im Herbst 1979 im Stadttheater von Teheran uraufführen. Der Schah war bereits im Januar des Jahres mit den Worten „Ich bin müde und brauche eine Pause“ aus dem Land geflohen, keine zwei Wochen war Ajatollah Chomeini aus dem französischen Exil zurückgekehrt, um im Iran den Gottesstaat auszurufen. Doch noch griff nicht die strenge Zensur des Mullah-Regimes und „Yazdgerds Tod“ konnte 45 Mal in Teheran gespielt werden.

Im Stück erzählt Beyzaie vom letzten Großkönig des Sassanidenreiches, der vor der Verantwortung, seinen Untertanen und den ins Reich einbrechenden muslimischen Arabern in die Wüste flüchtet und bei einem armen Müller Unterschlupf findet und um seinen Tod bettelt.

Die Parallelen zur islamischen Revolution im Iran sind offensichtlich

Die Parallelen zur islamischen Revolution waren damals so offensichtlich, wie es heute die Parallelen zum Freiheitskampf der iranischen Frauen sind. Der hatte sich vor einem Jahr am Tod der Iranerin Jina Mahsa Amini entzündet, ermordet von der Sittenpolizei, weil ihr Kopftuch nicht korrekt saß. Auch bei Beyzaie sind es Frauen, die die Macht des Regimes am grundlegendsten herausfordern.

Die späte deutsche Erstaufführung von „Yazdgerds Tod“ am Samstag im Depot 1 kommt also just zur rechten Zeit und man möchte zuerst einmal dem Schauspiel Köln und der Regisseurin Mina Salehpour – in Teheran geboren, in Deutschland aufgewachsen — seinen Respekt dafür aussprechen, den unbekannte Text eines in Deutschland viel zu wenig bekannten Autors an den Anfang der neuen Spielzeit zu setzen. Nicht nur als politische Solidaritätsgeste, auch, weil es hier ein Meisterwerk zu entdecken gilt, spannend, spielerisch, erschütternd, ein Shakespeare'sches Königsdrama im Format eines Whodunits von Agatha Christie, mit Anklängen an Kurosawas „Rashomon“.

Wo es nichts mehr zu verlieren gibt, gewinnt die Redefreiheit

Wie im Film des Japaners erscheint auch in „Yazdgerds Tod“ die Wahrheit als Kippbild, das verschiedenen Betrachtern ganz unterschiedliche Dinge zeigt: Ein General (Andreas Götzinger), ein Priester (Kei Muramoto) und ein Henker (Daniel Nerlich) verhören den Müller (Stefko Hanushevsky), seine Frau (Elmira Bahrami) und die gemeinsame Tochter (Rebecca Lindauer), in deren Haus man die Leiche des Königs gefunden hat. Ihr Tod ist beschlossene Sache, der Henker errichtet schon den Galgen. Doch wo es nichts mehr zu verlieren gibt, gewinnt die Redefreiheit.

Die Familie erzählt ihren Richtern die unglaubliche Geschichte vom König, der als Bettler verkleidet vor der eigenen Armee flieht, der nicht mehr regieren, noch leben will. Das darf es nicht geben. Die Stützen der Gesellschaft sind entsetzt. Die Geschichte wird immer abstruser, Mann, Frau und Tochter spielen sie in immer neu verteilten Rollen nach, korrigieren und widersprechen sich, bis sogar der Tod des Königs keine Gewissheit mehr ist. Und in letzter Konsequenz das Königtum selbst delegitimiert erscheint.

Zum Höhepunkt des Prozesses spricht jeder der Beteiligten in seiner eigenen Zunge. Ob Farsi, Englisch, Schwedisch oder Japanisch, es gibt keine gemeinsame Basis mehr. Könnte da nicht ein armer Müller ebenso gut herrschen? Oder, viel besser: Seine klügere, willensstärkere Frau?

Wie schon in ihrem Abend nach Ágota Kristófs Kriegstrilogie in der vergangenen Spielzeit, setzt Mina Salehpour ganz auf das intensive Zusammenspiel ihrer Akteure — Beyzaies lakonisches Pathos blüht unter Druck erst richtig auf. Erneut dienen der Regisseurin Ziegelsteine als Multifunktions-Metapher, sie werden in Trauer auf den Boden gestampft, zum Nebel des nahenden Krieges zerrieben oder zur luftigen Mauer aufgeschichtet. Und sie werden wie Dominosteine zu Fall gebracht, das Modell jeder erfolgreichen Revolution.

Eine große weiße Sonne scheint durch die Mauer, wie die Morgenröte der iranischen Revolution. Draußen warten schon die neuen Herrscher, was auch immer drinnen an Recht gesprochen wird, es ist längst hinfällig: „Ja, nun kommen die wahren Richter heran“, höhnt die Frau des Müllers, „Ihr, mit dem weißen Banner, habt so gerichtet, wie werden dann die mit dem schwarzen Banner erst richten!“

Nächste Termine: 6., 8., 9., 21. September, 8., 14. Oktober, 80 Minuten, keine Pause, Depot 1