Marlene Dietrich war als US-Truppenbetreuerin nahe an der Weltkriegsfront. Ein Bildband nähert sich diesem Kapitel ihres Lebens.
„Marlene Dietrich an der Front“Von der Traumfabrik zur Todesfabrik

Marlene Dietrich (links) und Rita Hayworth servieren Mahlzeiten für Soldaten in der Hollywood Canteen
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Eine Todesfabrik nannten die US-Soldaten den Hürtgenwald bei Stolberg, Schauplatz einer der längsten und blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Für die US-Armee waren die im Herbst 1944 begonnenen Kämpfe ein Desaster, in den Augen einiger Historiker sogar ein „erstes Vietnam“. Ernest Hemingway, als Kriegsreporter vor Ort, berichtete in seinem letzten Roman über die Gräuel und brüstete sich privat mit angeblichen Großtaten an der Front.
Diese Geschichte zwischen Helden- und Maulheldentum wollte Reiner Burger, Korrespondent der „FAZ“, eigentlich erzählen, die Geschichte des alltäglichen Kriegs aus regionaler und zugleich literarisch überhöhter Sicht. Doch dann, sagt Burger, sei Marlene Dietrich „ins Bild gelaufen“. Als Mitglied der US-Truppenbetreuung war die Schauspielerin zeitweise hinter der Frontlinie der Hürtgenwald-Schlacht stationiert und feierte dort mit Hemingway ein unerwartetes Wiedersehen. Man kann die Episode in Dietrichs Memoiren nachlesen. Aber auserzählt, erkannte Burger, ist sie damit noch lange nicht.
Marlene Dietrich war einer von vielen Stars, die auf Kriegstour gingen
Aus der Bildstörung ist jetzt ein Buch geworden, „Marlene Dietrich an der Front“, erschienen im Kölner Greven-Verlag. Burger erzählt darin die Geschichte der berühmten Truppenbetreuerin mithilfe von 124 Fotografien, die größtenteils in Dietrichs Nachlass der Entdeckung harrten. Zwar ist ihr Einsatz für die US-Militärmoral in Wort und Bild bestens dokumentiert. Allerdings kennt man die uniformierte Dietrich vor allem von Aufnahmen, die im Dienst der Kriegspropaganda veröffentlicht wurden. Der Greven-Band lebt hingegen gerade von der Schnappschuss-Qualität vieler Fotografien. Im besten Fall erlauben sie einen Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik innerhalb der Todesfabrik.
Marlene Dietrich war einer von vielen Hollywood-Stars, die auf Kriegstour gingen, um die US-Soldaten auf andere Gedanken zu bringen. Für die Heimatfront waren Bilder bestimmt, die lachende GIs und nahbare Leinwandstars zeigen, gemeinsam vereint im Kampf gegen Hitler-Deutschland. Für Dietrich, die überzeugte Antifaschistin, war es mehr als eine Pflichtübung. Goebbels Werben um ihre Rückkehr hatte sie brüsk abgelehnt und 1939 die deutsche Staatsbürgerschaft gegen die amerikanische getauscht. Später sagte sie, die Truppenbetreuung sei „das einzige Wichtige, das ich je getan habe“.
Die Kriegsfotografien aus Dietrichs Nachlass ergeben im Greven-Band ein sprechendes Sammelsurium. Man findet dort mutmaßlich für Propagandazwecke inszenierte Bilder (Dietrich am Krankenbett eines Soldaten oder beim fröhlichen Ausheben eines Schützenlochs) neben verwackelten Schnappschüssen und Erinnerungsfotos in der Trümmerlandschaft des zerstörten Stolberg. Von wem oder aus welchen Quellen die einzelnen Aufnahmen stammen, ließ sich offenbar nicht mehr ermitteln. Burger nimmt aber an, dass viele der privaten Bilder von Lin Mayberry gemacht wurden, einer heute vergessenen Komikerin, die zur Unterhaltungstruppe um Dietrich gehörte. Während einer Zigarettenpause sieht man die beiden in Uniform zusammenstehen; Mayberry hält eine Kamera in der Hand.

Das Cover von „Marlene Dietrich an der Front“
Copyright: Greven Verlag
Aber auch mit Herkunftsangaben ließe sich oftmals wohl schwer entscheiden, wo die Grenze zwischen Inszenierung und unverstellter Wirklichkeit verläuft. Wir sehen Dietrich mit singender Geige auf der Bühne, vor ihrem Zelt, stehend im Jeep, selten in weiblicher Uniform. Die Hosen, die ihr Joseph von Sternberg in Hollywood anpasste, trug sie im Krieg auf – mitunter in Kombination mit Bomberjacke, dem offiziellen Eisenhower-Look. Auch hinter der Front blieb Dietrich eine Modeikone. Aber jetzt mit verdreckten Stiefeln zum schmutzigen Krieg.
„Ich wurde zu Tode fotografiert“, klagte Dietrich nach ihrem Karriereende. Mit leichten Abstrichen gilt dies auch für die Kriegszeit, bei der Truppenbetreuung lebte sie ebenfalls ein öffentliches Leben. Am wohlsten scheint sie sich auf einer beinahe klassischen Glamouraufnahme zu fühlen, im Paillettenkleid, umringt von weiß gekleideten Matrosen. Die wahre Dietrich wird man auch an der Kriegsfront nicht entdecken.
Mitunter dringt die Wirklichkeit jedoch unversehens in die Inszenierung ein, wie auf einer Fotoserie, für die Dietrich während eines Luftlandemanövers posierte. Am Himmel schweben hunderte GIs an Fallschirmen herab, und man könnte meinen, dieser ungemein fotogene Hintergrund sei eigens für sie arrangiert. Dann stürzt ein Flugzeug ab und reißt mehrere Fallschirmjäger mit. Ein totgeglaubter Soldat umarmt Dietrich, als sie ihn als Helferin erreicht.
Reiner Burger erzählt nah an den Bildern und anekdotenreich
Reiner Burger erzählt die Geschichte der Truppenbetreuerin Dietrich nah an den Bildern und anekdotenreich. Die Kriegsjahre beginnen im Buch mit ihrem Liebesverhältnis zum aus Frankreich emigrierten Schauspieler Jean Gabin, den das FBI für einen möglichen Spion der Gegenseite hält. Die Vermutung, Gabins Sprachübungen seien ein Code, lassen die Agenten allerdings bald wieder fallen. An FBI-Chef J. Edgar Hoover berichten sie, Dietrich sei zwar bisexuell und promiskuitiv, aber bereit, alles für die US-Kriegsanstrengungen zu tun.
Beides ergänzte sich hinter der Front offenbar glänzend, jedenfalls werden Dietrich etliche Affären mit hohen Militärs nachgesagt. Als sie General Patton von ihrer Furcht berichtet, in deutsche Gefangenschaft zu geraten, soll ihr dieser eine Pistole gegeben haben, um sich, sollte es so weit kommen, selbst töten zu können. Allerdings schwebte Dietrich wohl niemals ernsthaft in der Gefahr, in Feindeshand zu fallen.
Anders als Hemingway prahlte Dietrich niemals mit ihren Kriegserlebnissen, weshalb Burger ihre Selbstaussagen ohne größere Bedenken übernimmt. Und er zitiert zustimmend aus Presseberichten, nach denen Dietrich „jede Art von feindlichem Feuer gehört“ habe. Sie selbst wunderte sich, dass sie im eroberten Stolberg von den Einheimischen weiterhin wie ein Star bestaunt wurde, obwohl sie für diese doch eine Verräterin sei. In seinen Recherchen zu dieser schwierigen „Heimkehr“ löst Burger am ehesten den Anspruch ein, den der Greven-Verlag mit dem Buch verbindet: Auch ein Weltkrieg ist regional und wird an konkreten Orten erlitten und erlebt.
Ansonsten bleibt das Buch meist in der Etappe, und für ein lebendiges Dietrich-Porträt ist es schon wieder zu anekdotisch – viele Begebenheiten ergeben addiert nicht zwangsläufig ein schlüssiges Charakterbild. Aber dafür gibt es andere Bücher. Dieses hier zeigt eindrucksvoll, wie Marlene Dietrich, die Truppenbetreuerin, in das Bild läuft, das wir von ihr haben.
Reiner Burger: „Marlene Dietrich an der Front“, Greven Verlag, 160 Seiten, 124 Abbildungen, 38 Euro.