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Martin Walsers TraumbuchJunge Frau im Bett, die Mama am Fußende

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Autor Martin Walser  

Überlingen – Adolf Hitler trägt dicke Wollstrumpfhosen. Er steht auf einer Art Fußballfeld und macht Fußballerbewegungen. Außerdem singt er. Das ist einerseits erstaunlich. Andererseits auch wieder nicht. Denn das findet sich in keinen Akten, sondern ist ein Traum. Martin Walser hat ihn einmal geträumt. Er veröffentlicht ihn nun neben weiteren Träumen in „Das Traumbuch – Postkarten aus dem Schlaf“. Der liebevoll gestaltete Band mit Malereien von Cornelia Schleime erscheint an diesem Dienstag, zwei Tage vor dem 95. Geburtstag des Autors am 24. März.

Martin Walser versichert in dem Buch, dass ihm „der von der Psychoanalyse empfohlene Umgang mit Träumen völlig fremd“ sei. Das Bedürfnis, Träume zu interpretieren, komme ihm absurd vor. „Meine Träume müssen nicht gedeutet oder gar nach den billigsten Schlüssen übersetzt werden, sie sind mir lieb und wert, so wie sie vorkommen.“

Man darf diese Traumerzählungen also als schiere Texte lesen. Mit Sigmund Freud sollen wir ihnen jedenfalls nicht auflauern. Ist klar. Keine Traumdeutung der alten Schule. Auch nicht, wenn der Träumende mit einer jungen Frau im Bett liegt und die Mama am Fußende unter einem dunklen Tuch sitzt: „Sie muss alles gehört haben. Ich streichle sie ganz heftig.“ Aber einen Satz aus der „Traumdeutung“ des Psychoanalytikers darf man getrost zitieren: „Aus der Vergangenheit stammt der Traum in jedem Sinn.“

Vergangenheit als Nährboden

Die Vergangenheit ist der Nährboden für die Fantasieblüten im Schlaf. Darum kommen in Martin Walsers Texten, für deren „Auswahl und Anordnung“ Alexander Fest gedankt wird, viele Personen vor, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben oder spielen. Neben den nächsten Verwandten sind das zumal prominente Personen.

Marcel Reich-Ranicki sucht den Autor selbst im Schlafe heim. Als sich der Kritiker einmal in Begleitung von Michel Friedman („der heftig mit einer Schönen scherzt“) nähert, springt das Ich im Traume auf: „Ich rufe, dass ich mich nicht von denen schlagen lasse.“ Bei Hans Magnus Enzensberger geht es um den „Selbstkostenpreis Gottes“. Thomas Mann erscheint mit offenem Hemdkragen. Joachim Kaiser trägt eine Baumwollturnhose und hat sexuelle Absichten. Mit Uwe Johnson ist der Träumer per Sie. Rudolf Augstein rast auf dem Motorrad am stürmischen Bodensee entlang. Arnold Stadler legt sich auf den Träumenden und sagt: „Du miesepetriges Weib!“

Ich bin durch und durch erledigt

Es stellt sich heraus, dass sich die Geschichten aus dem Bett nicht so sehr von den Geschichten am Schreibtisch unterscheiden. Da wie dort ist ein nicht ganz standfestes Individuum bemüht, den Stürmen des Alltags zu trotzen. Relativ zahlreich sind im „Traumbuch“ die Versagensängste: Mal fehlt ein Text, mal wird ein Stichwort verpasst, mal läuft die Zeit davon. Und der Satz „Ich bin durch und durch erledigt.“ könnte in vielen Walser-Werken zuhause sein.

Was aber ist es, das beim Erwachen vom Träumen übrig bleibt? Walser selbst schreibt, das Schweifen und Ziehen eines Traumes gehe in kein Nacheinander: „Er muss kaputtgehen, wenn man ihn fassen will, fassbar machen will.“ Das haben wir uns gedacht. Nur ein Hauch vom Traum ist es also, was die Erinnerung preisgibt und was in Worte zu fassen ist. Aber immerhin – es ist Literatur.

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In diesem Falle kommt noch bildende Kunst hinzu. Bei den anregend mysteriösen Illustrationen von Cornelia Schleime handelt es sich um Übermalungen historischer Bodensee-Postkarten, die Walsers Traumtexte locker aufgreifen. Keine Interpretationen sind das, sondern Korrespondenzen. Ausgehend vom jeweiligen Bildmotiv wird dieses neu inszeniert und zuweilen über den Kartenrand hinweg fortgemalt. Eine Ausweitung der Realität ins Fantastische. Nicht jeder Traum wird mit einer Illustration bedacht.

Manchen Traumbericht muss man auch nicht haben. Manchen Traumbericht muss man auch nicht haben. Wie es um die Zehennägel oder um das Geschlechtsteil bestellt ist – Gott ja, das ist nur allzu menschlich und doch von übersichtlicher Faszination. Andere hingegen sind amüsant. Und sehr viele – das liegt in der Natur der Sache – kommen äußerst bizarr daher. Der Traum vollführt die kühnsten Fantasievolten. Da kommt kein Autor ran.

Martin Walser: „Das Traumbuch – Postkarten aus dem Schlaf“, mit Illustrationen von Cornelia Schleime, Rowohlt, 142 Seiten, 24 Euro