„The Masked Singer“-Finale„Beim deutschen Publikum ist das Leistungsprinzip wichtig“
- Fabian Tobias (42) ist seit Juli 2020 Geschäftsführer der Produktionsfirma Endemol Shine Germany. Die Kölner Firma produziert unter anderem „The Masked Singer“.
- Im Interview spricht er darüber, wie die Produktion während der Corona-Pandemie funktioniert, was für das deutsche Publikum besonders wichtig ist und warum für ihn Unterhaltung nur mit Haltung gut werden kann.
Herr Tobias, am Dienstag läuft das Finale von „The Masked Singer“. Seit ungefähr einem Jahr können sie solche Shows nicht mehr vor Publikum produzieren. Wie geht man das an – eine Live-Show ohne Publikum?
Fabian Tobias: Das ist eine Frage, die wir uns seit Corona bei jeder unserer Shows aufs neue stellen. Denn das ist bei jedem Format anders und es gibt hier kein Patentrezept, das wir über alles stülpen können. Am Anfang haben wir gedacht, es geht einfach nicht vor leeren Rängen. Vor allem für die Darsteller vor der Kamera ist das eine große Herausforderung, denn sie leben ja vom Feedback und davon zu merken, ob eine Gag gut ankommt. Da war ein großes Fragezeichen.
Aber es musste einen Weg geben.
Ich will Fernsehen nicht überhöhen. Es gibt Berufe, die in einer Pandemie deutlich wichtiger sind, aber wir haben schon die Haltung eingenommen, dass es wichtig ist, das Publikum gerade jetzt bestmöglich zu unterhalten. Warum? Weil es das gerade jetzt braucht. Ein Stück weit ist das auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zuträglich. Und da greifen wir als Fernsehmacher natürlich in die komplette Palette der Trickkiste, können also Audio-Effekte und Zuspieler nutzen, um ein echtes Publikumsfeeling zu erzeugen. Und das tun wir. Für den Zuschauer ist es ein authentisches Erlebnis, auch wenn man den Unterschied ohne Studio-Publikum weiterhin merkt.
„The Masked Singer“ ist eine Adaption. Gibt es Dinge, auf die man für ein deutsches Publikum besonders achten muss?
Ja, total. Das ist für uns die spannendste Herausforderung, wenn wir Formate im Ausland entdecken. „The Masked Singer“ kommt aus dem asiatischen Raum. 2018 habe ich das Format entdeckt und für Endemol Shine eingekauft. Da war es noch diese etwas skurrile Show, von der keiner so genau wusste, was er davon halten soll. Mir war sofort klar, wir müssen zwei Dinge für Deutschland anders machen. Wir sind hier ja in Köln, da liegt uns Karneval nicht fern, aber es war klar, dass es keine Karnevalsshow werden darf. Die Kostüme müssen extrem aufwändig sein und dadurch absolut herausragend. Die Qualität ist also – und das ist vermutlich deutsch – sehr hoch. Wir benötigen für jedes Kostüm im Schnitt 300 Stunden Handarbeit. Der andere Punkt ist: Das Ratespielt muss knallhart sein und ernst genommen werden. Deshalb haben wir einen Geheimhaltungskodex, der an eine Bibel erinnert. Das ist eine komplexe logistische Leistung.
Wie sehr kann man Erfolg planen? „The Masked Singer“ ist sehr erfolgreich, „Pretty in Plüsch“, das Sie auch produziert haben, funktionierte gar nicht.
Zur Person
Fabian Tobias (42) ist seit Juli 2020 Geschäftsführer der Produktionsfirma Endemol Shine Germany. Zuvor war er bei Brainpool als Geschäftsführer für den „Show & Factual“-Bereich verantwortlich.
Endemol Shine Germany hat seinen Sitz in Köln. Endemol Shine gehört in Deutschland zu Banijay Germany. Die Firma verantwortet Formate wie „Wer wird Millionär?“, „Promi Big Brother“, „Kitchen Impossible“, „Promis unter Palmen“, „Hot oder Schrott – Die Allestester“, „Beauty and the Nerd“ und „The Masked Singer“.
Pro Sieben zeigt das Finale von „The Masked Singer“ an diesem Dienstag, 20.15 Uhr. In der Jury ist Joko Winterscheidt zu Gast.
Es gibt da nicht die eine Wahrheit, aber es gibt Grundannahmen. Beim deutschen Publikum ist das Leistungsprinzip und Relevanz wichtig. Bei „Wer wird Millionär?“ wollen die Zuschauerinnen und Zuschauer etwas lernen und die Kandidaten sollen gefordert werden. Bei „The Masked Singer“ ist das Leistungsprinzip durch das Lösen der Rätsel höher als bei „Pretty in Plüsch“. Wir haben für Vox „Hot oder Schrott“ von einem englischen Sender adaptiert. Die Engländer haben eine lustige, skurrile Comedyshow daraus gemacht, nicht wirklich einen Produkttest. Wir wollten es auch witzig machen, aber wir wollten eben auch informieren. Dem Deutschen, der ein zwiespältiges Verhältnis zur Unterhaltung hat, weil er ja gerade selbst nichts leistet, wenn er vor dem Fernseher sitzt, muss man das Gefühl geben, etwas zu lernen. Das ist Segen und Fluch, weil es die deutsche Unterhaltung einerseits oft spannender macht, aber manchmal würde man sich auch wünschen, einen Abend einfach mal Unterhaltung aus Spaß an der Freude zu zeigen – das funktioniert in Deutschland aber fast nie.
Unterhaltung soll unterhalten, aber haben Sie nicht auch eine Verantwortung? Bei der Folge von „Promis unter Palmen“, in der Claudia Obert gemobbt wurde, hatten viele Zuschauer das Gefühl, dass das zu weit geht.
Im Wort Unterhaltung steckt auch das Wort Haltung. Eine werteorientierte Haltung ist heute wichtiger denn je. Besonders gelungen ist Unterhaltung, wenn man lachen und auch mal weinen kann, aber das Gefühl der bleibenden Irritation hat in der Unterhaltung nichts verloren. Das hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Ich kann nachvollziehen, dass Menschen das bei dieser Folge empfunden haben. „Promis unter Palmen“ hat keine Moderationsebene, daher ist uns Machern eine Einordnung der Geschehnisse über Moderation nicht möglich gewesen. Wir haben uns mit der Folge mit etwas Abstand sehr kritisch auseinandergesetzt. Wir würden heute zum Beispiel über den Off-Sprecher anders reagieren und mit mehr Sensibilität draufschauen.
Solche Shows sind nicht neu. Kandidaten wissen, worauf sie sich einlassen. Aber muss man manche Menschen nicht auch vor sich selbst schützen?
Grundsätzlich gehen wir bei Erwachsenen von selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten aus, die wir auch auswählen. Wir bringen niemanden in eine Situation, in der wir das Gefühl haben, der Kandidat oder die Kandidatin versteht die Komplexität des Projekts nicht. Das ist unsere Aufgabe. Wir haben da eine Fürsorgepflicht, schauen genau hin, haben Psychologen am Set. Es ist ja aber auch eine Stärke der Reality, gesellschaftliche Themen ganz unverstellt zu sehen und nah an sie herankommen. Aber wir dürfen manche Dinge nicht ohne Einordnung stehen lassen.
Sie haben die neue Staffel „Promis unter Palmen“, die am 12. April in Sat.1 startet, in Thailand gedreht. Wie ging das in Pandemie-Zeiten?
Wir haben in Deutschland viele tolle Locations und haben auch für einen Plan B nach passenden Villen gesucht. Aber Palmen gibt es bei uns ja leider nicht. Mit Energie, Durchsetzungskraft und Verantwortungsbewusstsein hat es unser erfahrener Reality-Produzent Rainer Laux geschafft in Thailand zu drehen. Im Dezember ging es bereits zu Vorbesichtigungen nach Thailand und das komplette Team ist direkt vor Produktionsstart 16 Tage mit allen Promis in thailändische Quarantäne gegangen. Mit einem gut durchdachten Konzept aus Hygiene-, Abstands- und Nachverfolgungslogistik haben wir eine produktionell sichere Show unter thailändischer Sonne auf die Beine gestellt. Und inhaltlich spannend wird es auch wieder!
Streaming-Anbieter verändern den Markt. Anfangs konzentrierten sie sich sehr auf Serien und Filme. Das ändert sich jetzt, die non-fiktionale Unterhaltung wird ausgebaut.
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Ja, die Streamer gehen auf Non-Fiction. Bei Netflix ist eines der erfolgreichsten Programme die Dating-Reality „Love is blind“, das war für unseren Markt ein echter Türöffner. Und wir merken auch bei Amazon, dass die Bereitschaft da ist, im deutschen Markt Fuß zu fassen. Es gibt Aufträge. Eine neue Show von uns, über die ich noch nicht sprechen kann, ist sehr spektakulär und wird dieses Jahr noch bei einem großen Streamer gezeigt. Der Markt für die Kreativen bietet im Moment unglaublich viele Möglichkeiten. Wir haben nicht mehr nur den Auftrag, zu einer festen Zeit eine Masse von Menschen zu erreichen, es kann auch sein, dass ein Programm über einen längeren Zeitraum sein Publikum erreicht.
Sie selbst haben vor 20 Jahren Ihre Karriere als Praktikant bei Endemol begonnen und haben sich dann stetig hochgearbeitet. Bald kann man in Köln „Entertainment Producing“ an der ifs studieren. Wie sinnvoll ist es, dass man Ihren Berufen nun auch von einer eher akademischen Seite angehen kann?
Ich bin total glücklich über die Entwicklung, die Stars hinter der Kamera von morgen systematisch aufzubauen. Wir müssen das auch genauso angehen. Denn wir dürfen uns nichts vormachen, die Zeiten, in denen wir als coole Medienbranche uns zurücklehnen konnten, sind vorbei. Fernsehen ist nicht mehr der Hype. Aber wir sind ja Inhalte-Produzenten – und Inhalte sind immer noch der Hype. Diese Botschaft müssen wir hinaustragen.
Sie gehören zu den „Top 100 Out Executive 2020“. Warum ist es heute immer noch wichtig, das zu thematisieren?
Es ist vor allem deshalb ein Thema, weil die Sichtbarkeit fast eher zurückgeht. 2017 hat uns die große „Out in Office“-Studie gezeigt, dass es Fortschritte gibt. Waren es im Jahr 2007 nur rund zwölf Prozent Schwule und Lesben, die sich am Arbeitsplatz geoutet hatten, so waren es zehn Jahre später immerhin um die 30 Prozent. Man könnte aber auch sagen: Nur 30 Prozent? Was ist mit den anderen zwei Dritteln? Klar, es ist ein Fortschritt, aber ich finde, wir haben da schon immer noch viel zu tun. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier in Köln und in der Medienbranche in einer sehr liberalen Bubble leben.