Im Zentrum der Aktionswoche zum „Buch für die Stadt“ steht 2023 Volker Kutschers Kriminalroman „Der nasse Fisch“, über den er bei einer Matinee im Kölner Schauspielhaus sprach.
Matinee mit Volker Kutscher zum „Buch für die Stadt“„Ich hoffe, dass uns die Demokratie nicht gleichgültig ist“
„Es war immer der Anspruch des Buchs für die Stadt, Denkimpulse zu geben und ins Gespräch zu kommen“, sagte Anne Burgmer, Leiterin der Kulturredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“, zur Eröffnung der Matinee am Sonntag im Kölner Schauspielhaus. 2023 feiert Buch für die Stadt ein Jubiläum: Seit 20 Jahren gestalten das Kölner Literaturhaus und der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Aktion.
Die Leiterin des Literaturhauses, Bettina Fischer, betonte, dass sich in dieser Zeit auch immer wieder neue Wege der Literaturvermittlung gefunden haben – selbst während der Corona-Pandemie. Und Sarah Brasack, stellvertretende Chefredakteurin des „Kölner Stadt-Anzeiger“, sagte: „Gerade in Zeiten, wo Hass und Hetze an der Tagesordnung sind, kann Literatur einen Dialog schaffen“.
Das diesjährige Buch für die Stadt – Volker Kutschers „Der nasse Fisch“ – ist wie geschaffen, um sich über wichtige gesellschaftspolitische Themen auszutauschen. Das zeigte sich im Gespräch zwischen dem Autor und Anne Burgmer, die die Matinee moderierte. Der historische Kriminalroman spielt im Jahr 1929. Er ist der Auftakt einer Reihe, die bald zehn Bände umfasst und extrem erfolgreich unter dem Titel „Babylon Berlin“ verfilmt wurde.
„Die allererste Idee war: Ich möchte eine Kriminalgeschichte ansiedeln im Berlin der frühen 1930er Jahre, weil ich von dieser Zeit fasziniert war“, erzählt Volker Kutscher von den Anfängen der Gereon-Rath-Reihe. Die Zeit der ersten deutschen Demokratie habe ihn fasziniert – und deren tragisches Ende. „Und genau dieses tragische Ende der Republik wollte ich zeigen, aber auch über 1933 hinaus schreiben. Und abbilden, wie meine Figuren mit diesem extremen Wandel der Gesellschaft umgehen.“ Kutscher, der damals als Zeitungsredakteur arbeitete, hatte für das Buchprojekt seinen Job gekündigt. Denn dass das, was er vorhatte, nicht so einfach nebenbei mit einem einzigen Roman zu schaffen war, war schnell klar.
Im Gespräch mit Volker Kutschers Lektor, Olaf Petersenn, bekam das Publikum einen Einblick in die langjährige Zusammenarbeit der beiden. Zum Beispiel, wenn es um den richtigen Ton für den historischen Stoff geht: Weder schräg gegenwärtig noch schief historisch sollte die Sprache klingen, so Petersenn. Sondern die 1930er Jahre wieder auferstehen lassen, ohne dabei antiquiert zu wirken.
Auch der Autor betonte, dass es ihm wichtig ist, ein möglichst modernes Berlin zu zeigen: „Sodass man beim Lesen meine Bücher in dieser Welt drin ist, dass sie einem nicht so fremd und historisch und verstaubt vorkommt.“
So ist seine weibliche Hauptfigur Charlotte Ritter sehr emanzipiert. In „Der nasse Fisch“ arbeitet sie als Stenotypistin bei der Polizei, ermittelt aber wie eine Kommissarin und studiert Jura. Für Kutscher steht sie für Weimar und für die Möglichkeiten, die diese Demokratie gehabt hätte – „wenn sie nicht dieses üble Ende genommen hätte. Ein Ende, das aber auch nicht zwangsläufig war - das ist mir auch wichtig, zu zeigen.“
Im Fall der Gereon-Rath-Reihe weiß nicht nur der Autor viel mehr als seine Figur. Auch das Publikum kennt die historischen Hintergründe und sieht die Geschichte unaufhaltsam auf den Zweiten Weltkrieg zusteuern.
„Ein ganz alter Trick, der schon im Kasperletheater angewendet wird, wenn der Kasper vorne steht und hinter ihm ist ein Krokodil“, sagt Volker Kutscher. „Die Kinder rufen dann ganz aufgeregt: „Kasper: Das Krokodil!“ Und mein Krokodil, das die Figuren nicht sehen können, ist eben das Jahr 1933 und die Nazis.“
Immer wieder, erzählt Volker Kutscher, werde er nach Parallelen zwischen den 1930er Jahren und heute gefragt. „Diese Parallelen sehe ich nicht. Weil ich hoffe, dass wir ein bisschen mehr wissen als die damaligen Zeitgenossen. Und dass uns die Demokratie nicht gleichgültig ist.“ Denn gerade Gleichgültigkeit gegenüber der Demokratie sei gefährlich und könne heute wie damals zum Problem werden.
Wer seine Gereon-Rath-Reihe kennt, wisse, was passieren kann, wenn man politisch Entwicklungen nicht ernst genug nimmt – wie der Kommissar. „Denn das ist natürlich auch politisch, wenn man sich wie Gereon Rath für unpolitisch hält.“ Diesen Lernprozess müsse seine Figur im Laufe der Serie durchmachen.
Als ehemaliger Zeitungsredakteur ist Volker Kutscher gerade die Rolle der Medien für den Erhalt unserer Demokratie ein Anliegen: „Es ist besorgniserregend, wie viele Menschen - vor allem jüngere – ihre Nachrichten nicht über Qualitätsjournalismus erfahren sondern über das Internet. Seriös gemachter Journalismus ist unabdingbar für eine Demokratie!“
Er wolle mit seinen Romanen keinen Geschichtsunterricht erteilen, betont der Autor, „aber Interesse an Geschichte wecken“ – und das ist ihm mit seiner Serie definitiv gelungen.
„Ein Buch für die Stadt“ ist eine gemeinsame Aktion von Literaturhaus Köln und „Kölner Stadt-Anzeiger“. Unterstützt wird die Initiative vom Unternehmen JTI. Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“ war 2003 der erste Roman, um den sich in Köln und der Region zahlreiche Veranstaltungen drehten.
Informationen zu allen Veranstaltungen der Aktionswoche bis zum 26. November, zu Anmeldungen und zum Kauf von Tickets finden Sie unter bfds.ksta.de