Illner zu Offenen Briefen„Wenn die Ukraine kapituliert, werden Zivilisten ermordet"
In der ZDF-Talkshow „maybrit illner“ am Donnerstagabend waren mit Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar und Publizistin Marina Weisband Unterzeichner zweier Offener Briefe an Kanzler Olaf Scholz zu Gast – konnten ihre Differenzen jedoch nicht ausräumen. Zur Ausgangsfrage „Frieden schaffen mit noch mehr Waffen – Fehler oder Pflicht?“ diskutierten außerdem CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, Konflikt- und Friedensforscherin Nicole Deitelhoff und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in der ZDF-Sendung.
„Wir reden immer mehr über Waffen und zu wenig über Verhandlungen“, begründete Yogeshwar seine Motivation für den ersten Offenen Brief, der sich gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen hatte. Die Idee hinter dem Brief der 28 Prominenten sei gewesen, den „Konflikt“ angesichts des „latenten Risikos einer Eskalation nicht weiter anzufeuern“.
Marina Weisband: „Das ist kein Frieden“
Beide Briefe verfolgten mit Frieden das gleiche Ziel stellte die Unterzeichnerin der Replik, Marina Weisband, fest – hob zugleich aber die Unterschiede hervor. „Wenn die Ukraine kapituliert und Gebiete an Russland abtritt, dann sind das die Gebiete, in denen vergewaltigt und gefoltert wird, in denen Zivilisten ermordet werden. Das ist kein Frieden.“, entgegnete sie der Forderung Kiews Position nicht weiter zu stärken. Es sei zudem falsch, dass die Lieferung schwerer Waffen zu einer Ausweitung des Konflikts herbeiführe. Wenn die Drohung mit Atomwaffen dazu führe, dass ein Aggressor Gebiete annektieren könne, sende man vielmehr ein „fatales Signal“.
„Wenn die Ukrainer sagen, wir wollen uns bis zum Letzten selbst verteidigen, dann werden sie es entweder mit oder ohne westliche Waffen tun, aber sie werden nicht kapitulieren“, erklärte Weisband. Wer Kompromisse oder die Aufgabe von Gebieten von der Ukraine fordere, „den muss ich fragen, in wie vielen Städten sollen denn Zivilisten ermordet werden dürfen?“
Ranga Yogeshwar sieht keinen Gegensatz in den Briefen
Eine Antwort auf Maybrit Illners Frage, ob es den Ukrainern zuzumuten wäre unter einem „russischen Protektorat“ zu leben, vermied Yogeshwar daraufhin. „Die beiden Briefe sollten nicht als Gegensätze gesehen werden“, erklärte der Journalist zum Unverständnis der Moderatorin stattdessen und betonte, die Wahrscheinlichkeit für einen ukrainischen Sieg sei „eher gering“. Kriege würden „nicht gewonnen“, sondern mit einem „Agreement“ enden, führte Yogeshwar aus. Der Fokus müsse stärker auf Verhandlungen gelegt werden. „Dafür muss man sehr viel Atem haben, aber damit kann der Krieg aufhören“, so das Rezept des Journalisten.
„Das letztliche Ziel ist nicht ein militärischer Sieg, sondern dass die Ukraine nicht verliert“, wendete Friedensforscherin Deitelhoff ein. „Waffenlieferungen in Kombination mit massiven Wirtschaftssanktionen“ sollten beide Konfliktparteien verhandlungsbereit machen. Noch sei die russische Seite jedoch davon überzeugt, den Krieg „auf dem Schlachtfeld“ entscheiden zu können. „Dieses Kalkül müssen wir verhindern.“ CDU-Politiker Röttgen stimmte der Friedenforscherin zu.
Kevin Kühnert um Abwägung bemüht
Kevin Kühnert äußerte sich unterdessen abwägend. „Wir haben es mit einem Aggressor zu tun, der in den letzten Jahren hat erkennen lassen, dass er sich für Spielregeln höchstens gelegentlich interessiert“, daher sei man dazu „verdammt“, sich Gedanken über mögliche weitere Entwicklungen zu machen, erklärte der SPD-Politiker. Dass Atommächte sich „alles rausnehmen“ könnten, sei jedoch ein Trugschluss. Dennoch müsse man „fahrlässige Handlungen“ in einer solchen Situation verhindern.
Der SPD-Generalsekretär stellte aber auch klar: „Es ist immer schmerzhaft, das auszusprechen, für die Menschen, die jetzt dort leiden, aber wäre der Angriff auf Polen und nicht auf die Ukraine gewesen, würden wir heute nicht über schwere Waffen reden, sondern dann würde die Bundeswehr in Polen stehen und dort kämpfen.“ Polen ist Nato-Mitglied, die Ukraine nicht.
Einigkeit herrschte bei den Politikern Kühnert und Röttgen derweil darüber, dass Deutschland keine Kriegspartei sei – letztlich liege das aber ohnehin bei Putin, erklärte der CDU-Außenpolitiker. „Putin hat seine eigene Agenda – er will die Ukraine zerstören, erobern und ein Imperium begründen, das richtet er nicht danach, ob wir Gepard oder Leopard liefern.“ Der Brief sei ein Plädoyer für das Recht des Stärkeren, kritisierte Röttgen die Wortmeldung von Yogeshwar, Schwarzer und Co. „Die einzige Chance auf Frieden besteht darin, den Aggressor in die Schranken zu weisen, damit Diplomatie wieder eine Chance hat.“
„Es geht uns nicht darum, die Ukraine im Stich zu lassen“, versicherte Yogeshwar und verwies auf historische Entwicklungen vor dem ersten Weltkrieg und die Eigendynamik der Kriege im Irak und das Ende des Militäreinsatzes in Afghanistan. Das Ende des zweiten Weltkriegs erwähnte er nicht.
„Es droht zu einem neuen kalten Krieg zu werden“
Er habe Verständnis für die Forderungen von direkt betroffenen Ukrainern, erklärte Yogeshwar. Im 21. Jahrhundert brauche man allerdings „Ressourcen für ganz andere Herausforderungen“ wie den Klimawandel, daher sei es wichtig von der „militärischen Eskalation“ wegzukommen. „Es droht zu einem neuen kalten Krieg zu werden“, erklärte Yogeshwar. Bei Röttgen klinge es fast, als würde der CDU-Politiker das wollen, monierte der Journalist später noch. „Wir haben heißen Krieg“, entgegnete Röttgen.
Kühnert blieb derweil weiterhin diplomatisch und zeigte Verständnis für Menschen, die angesichts der Situation Ängste und Sorgen haben. Wer beim weltweit größten Atomwaffenarsenal keine Angst habe, „mit dem stimmt was nicht“, pflichtete Friedensforscherin Deitelhoff bei, schob allerdings nach: „Es geht darum, dass man sich von dieser Angst nicht die Politik diktieren lässt.“ Derzeit seien „keine Auffälligkeiten“ auf russischer Seite erkennbar, die auf einen Atomwaffeneinsatz hindeuten würden, sondern lediglich „symbolische Drohungen“.
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„Russland wird auf Jahre hinweg das Sicherheitsproblem in Europa bleiben“, erklärte Röttgen zum Abschluss. Dennoch müsse langfristig angestrebt werden, „dass Russland wieder Teil der europäischen Friedensordnung wird“, führte der CDU-Politiker aus. „Nach Putin“, fügten Kühnert und Deitelhoff prompt an.