Köln – Mehr als 100.000 Menschen haben bis zum Sonntagmorgen einen Offenen Brief an Kanzler Scholz unterzeichnet, in dem 28 prominente Erstunterzeichner am Freitag vor einem Dritten Weltkrieg gewarnt hatten. Seit der Veröffentlichung des Briefes auf der Website des Magazins „Emma“ am Freitagvormittag konnten sich Unterstützerinnen und Unterstützer zunächst auf der Website und später dann auf der Plattform change.org der Forderung anschließen.
Prominente wie die Feministin Alice Schwarzer, der Schriftsteller Martin Walser und der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar hatten in einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appelliert, nicht noch mehr schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin dürfe kein Motiv für eine Ausweitung des Krieges auf die Nato geliefert werden, schrieben die Unterzeichner. Sie warnten vor der Gefahr eines Dritten Weltkrieges.
Prominente gegen Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine
Der Bundestag hatte am Donnerstag mit großer Mehrheit die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gebilligt. Anders als viele Kritiker, die Scholz eine zaudernde Haltung vorwerfen, bekundeten die Unterzeichner des Briefes ihre Unterstützung dafür, dass der Bundeskanzler bisher alles getan habe, um eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs zum Dritten Weltkrieg zu vermeiden. Die Unterzeichner betonten, dass Putin mit dem Angriff auf die Ukraine das Völkerrecht gebrochen habe. Dies rechtfertige aber nicht, das „Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen“. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen.
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Eine zweite „Grenzlinie“ sei das Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung. „Dazu steht selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor in einem unerträglichen Missverhältnis“, hieß es im Offenen Brief. „Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern.“
Die Verfasserinnen und Verfasser ernteten für ihre Wortmeldung allerdings auch harsche Kritik – sowohl aus der Politik als auch von anderen Prominenten. Der Satiriker Jan Böhmermann twitterte, der „intellektuelle Schaden“ werde sich im Falle eines Atomschlags angesichts des Briefes „jedenfalls in Grenzen halten“.
Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, meldete sich auf Twitter zu Wort. „Massenvergewaltigungen von ukrainischen Frauen durch russische Soldaten in Kauf zu nehmen, ist Zynismus pur. Keiner mit gesundem Verstand soll ihre schäbige EMMA kaufen“, erklärte Melnyk. In weiteren Tweets nannte Melnyk die im Offenen Brief erteilten Ratschläge „blöd und sittenlos“. Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer reagierte im Gespräch mit „Welt“ auf die Kritik von Melnyk. „Das ist nackte Demagogie und dieser Botschafter schadet seinem Land“, hieß es von Schwarzer. „Es ist nicht das erste Mal, dass der ukrainische Botschafter Ungeheuerliches sagt.“
Kritik von Göring-Eckhardt und Heilrath
Ebenfalls kritisch zu Wort meldeten sich unterdessen Politiker und Politikerinnen der Grünen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende, Katrin Göring-Eckardt, verws auf die Analyse des Yale-Professors Timothy Snyder, der in einem Podcast erklärt hatte, „jeder, der will, dass dieser Krieg zu einem Ende kommt, sollte den Ukrainern helfen, ihn so schnell wie möglich zu gewinnen.“ Grünen-Politiker Peter Heilrath erklärte unterdessen, er frage sich, ob die Unterstützer des Briefs auch den Kämpfern im Warschauer Ghetto zum Aufgeben geraten hätten, „um unnötige Opfer zu verhindern“.
Der SPD-Politiker und gebürtige Ukrainer Igor Matviyets erklärte unterdessen auf Twitter, „es ist übrigens eine gute deutsche Tradition feige wegzuschauen, wenn Nachbar*innen Opfer von Gewalt werden und letztendlich einfach ‚verschwinden‘“. Belege dafür fänden sich tausendfach „in Form von Stolpersteinen überall auf unseren Straßen“.
Auch aus der FDP gab es Kritik. „Diese Position ist Wahnsinn“, schriebt der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, bei Twitter. Der einzig mögliche Kompromiss sei die „vollständige Wiederherstellung territorialer Integrität der Ukraine“, schrieb die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die auch Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags ist.
Unterstützung von Wagenknecht
Der Offene Brief sei „eine argumentative Bankrotterklärung“, kommentierte unterdessen der seit Kriegsbeginn in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Sicherheits- und Militärexperte Carlo Masala ebenfalls auf Twitter.
Unterstützung für die Position der Erstunterzeichner gab es unterdessen von der Linken. Sahra Wagenknecht fand lobende Worte, die „Forderungen zur Verhinderung“ eines dritten Weltkrieges seien seit der Unterstützung von Panzerlieferungen an die Ukraine „umso dringlicher“. (mit dpa)