Henning Borggräfe, seit November 2022 Direktor des NS-DOK, gibt drei Tipps für Veranstaltungen im September und erzählt, wie viel die Stadtz Köln historisch zu bieten hat.
Mein Kulturmonat mit Henning BorggräfeDer Direktor des NS-DOK gibt drei Tipps für den September
Köln ist unter den deutschen Millionenstädten auf eine angenehme Weise unprätentiös und offen. Das mag ich an dieser Stadt ebenso wie die Nähe zu den westeuropäischen Nachbarländern. Da Teile meiner Familie hier leben, kannte ich Köln schon ganz gut, bevor ich meine Stelle im NS-DOK antrat. Ich war vor allem viel in Deutz und in Kalk unterwegs. Das Rechtsrheinische liegt mir auch stadträumlich näher, weil es so ähnlich ist wie das Ruhrgebiet, wo ich herkomme: stark geprägt von den Hinterlassenschaften der Schwerindustrie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Generell ist eine der großen Stärken von Köln, wie sehr Geschichte in der Stadt präsent ist. Das gilt für die römische und mittelalterliche Geschichte, die ich mir mit dem Podcast „Eine Geschichte der Stadt Köln“ erschließe, wie für die Orte, die mit dem Nationalsozialismus in Verbindung stehen. Das zieht sich vom rechtsrheinischen Gremberger Wäldchen, wo im Zweiten Weltkrieg ein sogenanntes Krankensammellager für ausländische Zwangsarbeiter lag, bis hinaus zum ehemaligen Deportationslager Müngersdorf in der Nähe des Stadions des 1. FC Köln.
Auf dem Kölner Messegelände war zu NS-Zeiten ein KZ-Außenlager von Buchenwald
Neben dem EL-DE-Haus ist aber der eindrücklichste Ort der nationalsozialistischen Verfolgung für mich das Messeareal. Die alten Messehallen beherbergten verschiedene Zwangsarbeitslager, ein KZ-Außenlager von Buchenwald und sie waren der Sammlungspunkt für die Deportationen der Juden sowie der Sinti und Roma aus Köln und dem Umland. Im Tanzbrunnen, wo jetzt regelmäßig große Festveranstaltung stattfinden, war zudem ein Lager der Gestapo für politische Häftlinge. Mit Ausnahme eines Gedenksteins auf der Rheinseite vor den Messehallen sieht man davon wenig.
Für unser Haus ist es eine große Aufgabe, diese Orte im Stadtraum besser in das Erinnern der Stadtgesellschaft einzubeziehen. Das muss nicht heißen, dass man überall etwas Neues baut. Ich bin auch kein Verfechter davon, den jetzigen Nutzern etwas wegzunehmen. Aber man kann im digitalen Raum mit Apps, Stadtrundgängen oder interaktiven Karten neue Formate finden, damit Menschen sich selbst mit der NS-Geschichte in ihrer Lebenswelt auseinandersetzen können. Da hat Köln im Vergleich mit anderen Großstädten noch Nachholbedarf.
Henning Borggräfe lobt die aktive Zivilgesellschaft in Köln
Es hat ja einige Zeit gedauert, bis die Stadt und auch die Stadtgesellschaft in der Breite angenommen haben, dass ein offener Umgang mit der NS-Vergangenheit für das demokratische Zusammenleben wichtig ist. Um die Erinnerungskultur steht es in Köln aber grundsätzlich gut. Das hat auch mit einer aktiven Zivilgesellschaft zu tun. Das NS-DOK selbst ist dafür ein Zeugnis: Es war eine zivilgesellschaftliche Initiative, die es erkämpft und durchgesetzt hat. Jetzt ist es neben dem NS-Dokumentationszentrum München die größte kommunal betriebene Gedenkstätte in Deutschland.
Wir erleben ständig, dass die Diskussion über die NS-Vergangenheit in dieser Stadt sehr lebendig ist. Als unser Förderverein im Mai eine Aktionswoche zum 90. Jahrestag der NS-Bücherverbrennungen auf die Beine gestellt hat, haben über hundert Initiativen in den verschiedensten Kölner Vierteln Lesungen oder andere Aktionen veranstaltet. Dass so etwas aus sich selbst heraus funktioniert, zeigt, wie groß das Interesse ist und wie stark die Zivilgesellschaft in Köln ist.
Wir erleben das auch bei der Diskussion über das Denkmal zum Völkermord an den Armeniern und bei der Frage, wie man mit dem kolonialen Erbe in der Stadt umgeben soll. Viele Impulse kommen aus zivilgesellschaftlichen Initiativen. Einige von ihnen arbeiten mit dem NS-DOK zusammen, zum Beispiel die Bürgerinitiative aus Müngersdorf, die das dortige Deportationsmahnmal errichtet hat.
Museum Ludwig, Stadtmuseum, Rautenstrauch-Joest-Museum: Direktor des NS-DOK lobt die Kölner Museen
Was mich ebenfalls beeindruckt, ist die Arbeit des DOMiD. Das ist auch als zivilgesellschaftliche Initiative entstanden, die sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Geschichte der Bundesrepublik als Einwanderungsland zu bewahren und zu vermitteln. Aktuell zeigt das DOMiD eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle in Bonn. Geplant ist die Eröffnung eines Hauses der Einwanderungsgesellschaft in Kalk. Die Pläne sehen jedenfalls sehr spannend aus. Es ist natürlich nachteilig, wenn man als Museum noch kein Gebäude hat. Aber den Kolleg*innen dort ist es gelungen, das in eine Stärke umzuwandeln und den digitalen Raum und unterschiedliche Orte in der Stadt zu bespielen.
Was die Museen angeht, sind wir in Köln gut aufgestellt, auch wenn natürlich jedes mehr Personal gebrauchen könnte, weil sich die Museumsarbeit stark verändert. Ich bin sehr gespannt darauf, wie sich das Museum für Ostasiatische Kunst unter der Leitung von Shao-Lan Hertel weiterentwickelt. Ich bin auch neugierig darauf, wie es mit dem Stadtmuseum weitergeht und freue mich auf die Eröffnung der neuen Ausstellung zur Kölner Stadtgeschichte im Haus Sauer Anfang Dezember.
Ich finde aber auch beeindruckend, was die Kolleg*innen in den Kunstmuseen machen. Das Museum Ludwig war das Museum, was ich schon vorher am häufigsten unter den Kölner Museen besucht habe. Das ist ein super Kunstmuseum, eine der besten Adressen Deutschlands und immer wieder empfehlenswert. Ich finde es auch bemerkenswert, wie engagiert Frau Snoep im Rautenstrauch-Joest-Museum das Thema Kolonialismus angeht und wie sie neue Wege im Kuratieren beschreitet.
Drei Tipps für den September
1. Ausstellung „Hier und Jetzt“ im Museum Ludwig
Im Museum Ludwig gibt es eine Ausstellung zur ukrainischen Moderne. Für die Ausstellung hat man aus dem Nationalmuseum in Kiew Kunstwerke nach Köln geholt und sie so vor dem Krieg in Sicherheit gebracht. Die Ausstellung läuft schon seit Juni, geht aber nur noch bis zum 24. September.
2. Schauspiel Köln: Die Lücke 2.0
Im Schauspiel läuft das Stück „Die Lücke“ von Nuran David Calis am 19. und am 30. September. Das Stück ist 2014 uraufgeführt worden und thematisiert den NSU-Anschlag in der Keupstraße, der ja quasi direkt um die Ecke des Spielortes des Schauspiels im Depot stattfand. Im Juni 2024 ist der 20. Jahrestag des Anschlags – ein wichtiges Datum, auch für uns als NS-DOK.
3. Hänneschen Theater: Et kölsche Jrundjesetz
Das Hänneschen ist ja einer der ältesten Kölner Institutionen, da muss man mal gewesen sein. Das ist eine Aktivität, die man wunderbar mit seinen Kindern machen kann und bei der man ein Stück Köln kennenlernt. „Et kölsche Jrundjesetz“ läuft an vielen Terminen im September.
Zur Person
Henning Borggräfe, geboren 1981 in Herdecke an der Ruhr, ist Direktor des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. Er studierte in Bochum Geschichte und Politikwissenschaften, arbeitete seit 2015 als Leiter der Forschungs- und Bildungsabteilung in den Arolsen Archives, dem weltweit größten Archiv über die Opfer und Überlebenden des NS-Regimes. Im November 2022 übernahm er die Direktion des NS-DOK.