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„Monets Garten“ in KölnHat Claude Monet seine Gemälde dirigiert oder gemalt?

Lesezeit 5 Minuten
Ein Mann schaut auf eine Leinwand.

Gemälde von Claude Monet ziehen wie Eisberge vorüber: „Monets Garten“ in Köln

Die Ausstellung „Monets Garten“ ist in Köln angekommen. Warum es sich trotz allem lohnt, in impressionistische Gemälde einzutauchen.

Als Claude Monet sein heute weltberühmtes Gehöft in Giverny bezog, glich es noch einem Armenhaus. Der darbende Witwer zog mit zwei Söhnen in das schmale Anwesen und nahm bei dieser Gelegenheit auch die Ehefrau des bankrotten Unternehmers (und begeisterten Monet-Sammlers) Ernest Hoschedé mitsamt ihren sechs Sprösslingen bei sich auf. Was die Pariser Verächter der Impressionisten zu dieser Kommune zu sagen hatten, kann man sich denken. Der Spott war Monet und Hoschedé ohnehin gewiss; letzterer war vor seinen Gläubigern nach Belgien geflohen, seine Sammlung wurde derweil verramscht.

Aus heutiger Sicht war das abgelegene Gehöft in der Normandie ein Glücksgriff. Als Monet nach düsteren Jahren zu Geld und Reichtum kam, erweiterte er sein Atelierhaus um einen riesigen Garten und eine Wasserlandschaft, die ihm nach und nach die freie Natur als Inspirationsquelle ersetzen sollte. Bereits zu Lebzeiten des Malers wurde das blühende Giverny zur Touristenattraktion, sehr zum Verdruss des Hausherrn, der sich lieber Seerosen widmete, als amerikanische Pilger zu unterhalten. Aus der Wohngemeinschaft gingen zudem zwei Ehen hervor. 1892 heiratete Monet die verwitwete Alice Hoschedé, später nahm einer seiner Söhne eine Tochter Hoschedés zur Frau.

Mittlerweile gehört Monets Atelierparadies zu den nationalen Denkmälern Frankreichs

Mittlerweile gehört Monets Atelierparadies zu den nationalen Denkmälern Frankreichs – mit eigener Internetpräsenz in sechs Sprachen und Besucherzahlen im Millionenbereich. Auf den ersten Blick könnte der Kontrast zu einer Hinterhoflagerhalle in Köln-Ehrenfeld also nicht größer sein. In diese ist die Münchner Alegria Exhibition GmbH mit ihrer Wanderausstellung „Monets Garten“ eingezogen, um dem Rheinland den Impressionismus als „immersives“ Kunsterlebnis ohne Kunstwerke (jedenfalls im Original) nahezubringen.

Das ist einerseits eine Frage des technisch aufgerüsteten Zeitgeists; mit Stichworten wie Immersion, Virtuelle Realität und Edutainment wollen kommerzielle Anbieter die öffentlichen Museen älter aussehen lassen, als sie ohnehin sind. Andererseits träumte bereits Monet davon, eine Landschaft zu malen, in die man als Betrachter eintauchen kann. Seine „Seerosen“-Gemälde ergeben aneinander gereiht eine Länge von mehr als 100 Metern. Im Pariser Musée de l’Orangerie umgeben sie die Besucher in einem eigens dafür umgewidmeten Raum.

Eine Frau steht auf einer Brücke.

Blick in die Ausstellung „Monets Garten“ in Köln

Das Kölner Monet-Erlebnis teilt sich in drei Bereiche auf. Im ersten findet sich eine Zeitleiste mit den wichtigsten Lebenspunkten des Malers, dazu mehrere Leinwände, auf denen man vorgeblich die impressionistische Maltechnik vorgeführt bekommt. In Wirklichkeit flirren auf diesen Millionen kleine Farbstriche wie Schwärme umher, um sich in Gemälde Monets zu verwandeln. Ersteres soll die verwirrende Nahsicht auf ein impressionistisches Bild symbolisieren (das sich ja tatsächlich aus lauter einzelnen Farbstrichen zusammensetzt), letzteres die alles verbindende Fernsicht. Schlüssiger ist eine lang gezogene Seerosenlandschaft, auf der die Programmierer so lange einzelne Farbschichten über Monets Skizzen legen, bis das virtuelle Gemälde vollendet ist.

Kann man in ersten Raum ein impressionistisches Gemälde wie von Geisterhand entstehen sehen (wenn auch im Zeitraffer und etwas abstrakt), so soll das Gesehene im zweiten Erlebnisbereich zum Selbermachen animieren. In einem etwas schlicht geratenen Papier-Nachbau von Monets Garten in Giverny können Kinder (und alle anderen) selbst Seerosen malen und diese scannen, damit sie anschließend als Projektion auf einem Teich (es ist eher eine Pfütze) erscheinen. Im benachbarten Atelier überträgt eine Kamera die eigenen Bewegungen auf eine Leinwand schwärmender Farbstriche, was insbesondere bei ausladenden Gesten sehr hübsche Effekte ergibt, aber doch auf einen kunsthistorischen Irrweg führt. Jedenfalls hat Monet seine Gemälde nicht dirigiert, sondern gemalt.

Hier wird „Monets Garten“ tatsächlich zum Erlebnis, ohne deswegen schon überwältigend zu sein

Aber das ist alles Vorspiel, genau wie ein virtueller Monet und die Station, in der Umarmungen zu Farbexplosionen führen. Die Hauptattraktion findet sich im dritten Raum, der zur Projektionsfläche einer 45-minütigen Multimedia-Inszenierung wird. In dieses Rundkino ist einiges an Gewusst-wie geflossen, auch wenn die im Raum verteilten Sitzkissen eher Sitzfallen sind – jedenfalls für Senioren. Die Rundumprojektion füllt sämtliche Wände und den Hallenboden und wird von (im erweiterten Sinne) klassischer impressionistischer Musik begleitet – von Claude Débussy, Eric Satie, Ottorino Respighi bis Maurice Ravels „Bolèro“ ist alles dabei. Man sieht Stätten und Stationen aus Monets Leben, eine animierte Lokomotive dampfend abfahren (Monet war zeitweise auch ein Maler des städtischen Lebens) und immer wieder Gemälde des Malers, deren Motive wie mächtige Eisberge vorüberziehen. Hier wird der Besuch der Ausstellung tatsächlich zum Erlebnis, ohne deswegen schon überwältigend zu sein.

Der Film erzählt Monets Leben im Wesentlichen chronologisch nach, setzt aber melodramatisch ein. Wir erleben mit, wie der am grauen Star leidende Maler nach mehreren Operationen wieder mehr Farben sehen kann – und die während der Krankheit entstandenen Bilder entsetzt zerstört. Seine letzten Lebensjahre arbeitete er an seinem Vermächtnis, der „immersiven“ Seerosen-Serie, die, nahezu abstrakt, die Natur als göttliche Erscheinung feiert. Monet hatte einmal gesagt, es sei Hochmut, ein impressionistisches Gemälde vollenden zu wollen, weil die Hand stets langsamer sei als der Blick – also malte er seine Bilder in Serien, setzte immer wieder neu an und hörte nie auf, sich nach dem Unmöglichen und Unsichtbaren zu strecken. Seine Kathedralen von Rouen sind neben den Seerosen das berühmteste Beispiel dieses seriellen Malens.

In der Kölner Ausstellung ziehen sie ohne Worte, lediglich begleitet von Orgelmusik an uns vorbei. Und auch Monets früh verstorbene erste Ehefrau, Camille Doncieux, wird von den Kuratoren mit einem Bilderreigen gewürdigt. Sie ist auf beinahe 60 seiner Gemälde zu sehen, was sich nicht nur mit ihrer Rolle als kostenlosem Modell erklären lässt. Die Liebe war für Claude Monet wie ein Augenblick in der Natur – kostbar, weil sie flüchtig ist.


„Monets Garten – Ein immersives Ausstellungserlebnis“, Lichtstr. 15 (Eingang über Vogelsanger Str./ Heliosstr.), Köln, Mo.-So. 10-21 Uhr, 16. Oktober 2024 bis 26. Januar 2025. Tickets ab 20 Euro unter www.monets-garten.de