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„Museum der Museen“ im WallrafVon der Bildertapete zur allwissenden Müllhalde

Lesezeit 5 Minuten
Schemenhafte Menschen bewegen sich zwischen im Raum verteilten Gemälden.

Schemenhafte Menschen zwischen ewigen Kunstwerken: Michael Weselys Aufnahme „Abertura, Pinacoteca MASP“

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum inszeniert eine Zeitreise durch die Kunst des Ausstellens und lässt die Wunderkammern wieder aufleben.

Als der Arzt und Bibliothekar Samuel Quicchelberg die erste deutsche Theorie des Museums schrieb, war sein Publikum so erlaucht wie überschaubar (er bewarb sich beim bayrischen Herzog Albrecht V., genannt der Großmütige, um eine Stelle). Aber seine Argumente lesen sich heute so modern, als wolle er die demokratischen Massen für die schöne Kunst begeistern. In seinem „Idealplan“ gleicht das Museum einem begehbaren Gedächtnis, in dem man durch häufige Besuche „schnell, leicht und sicher eine einzigartige, neue Kenntnis der Dinge sowie bewundernswerte Klugheit erlangen kann“.

Wir wissen nicht, ob der Herzog so großmütig war, auf dieses Versprechen hereinzufallen. Aber Quicchelberg legte 1565 immerhin die deutschen Grundlagen für das, was der Kunsthistoriker Walter Grasskamp unlängst als „erfolgreiche Fehlkonstruktion“ umschrieb. Auch das moderne Museum verfolgt einen ähnlich kühnen „Idealplan“ wie die adligen Kunstkammern, der darin besteht, Ordnung ins Chaos einer unüberschaubaren und nie abgeschlossenen Kunst- und Wissensproduktion zu bringen. Das geht nur mit Übermut zur Lücke: Heute sind die Museumswände weitgehend leer, früher bogen sie sich schier vor bemalten Leinwänden.

Die alte Wunderkammer kehrt in der allwissenden Müllhalde des Internets zurück

Diesen Weg aus der Fülle in die Leere zeichnet jetzt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum in einer „Zeitreise durch die Kunst des Ausstellens und Sehens“ nach. Die als „Museum der Museen“ titulierte Ausstellung beginnt mit dem adligen Sammeleifer, der sich seit der Spätrenaissance in sogenannten Wunderkammern austobte, und endet mit Ausstellungskonzepten, die das steinerne Museum in Gedanken abreißen und in den virtuellen Raum verlegen. Dazwischen führen die Kuratoren vor allem durch kölnische Museen und Sammlungen; ganz nebenbei bildet die von Anne Buschhoff und Wulf Herzogenrath entworfene Ausstellung den Schlusspunkt zum Wallraf-Jubeljahr.

Menschen sitzen in einem Museumssaal

Karl Louis Preussers Gemälde „In der Dresdner Galerie“ (1881)

Ironischerweise kehrt in der allwissenden Müllhalde des Internets der alte Gedanke der Wunderkammern wieder – allerdings demokratisiert. Der Ehrgeiz, die ganze (damals bekannte) Welt in einen Raum zu zwängen, blieb im Barockzeitalter noch den Fürsten vorbehalten. Im Wallraf musste man leider darauf verzichten, wie diese die Wände und Decken mit exotischen Naturalien, Bildern und kunstvollen Objekten zu tapezieren; lediglich historische Stiche und Gemälde zeigen den Überfluss. Stattdessen buhlen präparierte Igelfische, Kokosnusspokale, anatomische Modelle und andere lehrreiche Kuriositäten in aufgeräumten Vitrinen um die Aufmerksamkeit des Publikums.

In den Wunderkammern wurde das Chaos durch Assoziieren geordnet, das Fremde durch Verknüpfungen dem Eigenen einverleibt. Mehr Übersicht brachte die fortschreitende Ausdifferenzierung des Weltwissens: Je mehr man wusste, desto dringender wurde der Bedarf nach spezialisierten Museen. Aus den Wunderkammern gingen Naturalienkabinette, Antikensammlungen und Bildergalerien hervor – letztere behielten das Prinzip der Überfülle bei.

In den großen Sälen galt es zu repräsentieren, auf Galeriebildern von Spezialisten wie David Teniers hängen die Werke der adligen Sammlungen Rahmen an Rahmen an der Wand. In bürgerlichen Privaträumen ging es dagegen schon etwas ungezwungener zu, wie Johann Valentin Prehns Gemäldekabinett aus Miniaturen zeigt. Der als Konditor zu Reichtum gelangte Sammler gesellte Heilige zu einer Bettszene (mit Vorhang für den verblüffenden Effekt) und ließ sich auch sonst von der Lust am Dekorativen leiten.

Bereits um 1880 wurde das übermäßige Fotografieren im Museum karikiert

Um 1800 begannen die Kuratoren der mittlerweile öffentlichen Museen, ihre Bestände nach Epochen und Schulen zu sortieren. Was uns heute als selbstverständlich erscheint, überzeugte den Kölner Vorzeigesammler Ferdinand Franz Wallraf damals nicht. Selbst nach einem Besuch des Louvre blieb er dem Prinzip des assoziativen Sammelsurium treu – die Kuratoren erinnern an die biblische „Plage“ der Wallraf-Sammlung mit einer langen Wand aus Druckgrafiken. Mit dem Wallraf’schen Geist hat dies allerdings recht wenig zu tun. Auch die Kuratoren können offenbar nicht aus ihrer (in diesem Fall ordnungsliebenden) Haut.

In der Moderne kam das nach Wallraf benannte Museum in den 1910er Jahren mit der „progressiven Hängung“ ihres Direktors Alfred Hagelstange an. Die Bilder hängen nicht mehr übereinander, sondern bündig und mit gebührendem Abstand in Reih und Glied; sie konkurrieren nicht mehr miteinander, sondern stehen jeweils für sich. So sehen Museen bis heute aus, was uns dazu verführt, diese Hängung als naturgegeben hinzunehmen. Dabei ist sie ebenso ein historisches Phänomen wie die Spöttelei über das Museumsleben, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte. Karikaturisten machten sich ihren Spaß mit nörgelnden Philistern oder sahen im Louvre der Zukunft eine Trambahn an der „Mona Lisa“ halten; auch das übermäßige Fotografieren wurde bereits um 1880 moniert.

Anscheinend war das Museum schon vor mehr als 100 Jahren ein Opfer des eigenen Erfolgs. Auf einem Gemälde von August Allebé sieht man ein gelangweiltes Ehepaar durch eine Ausstellung gut gelaunter Skulpturen schleichen, während ein anderer Herr in aller Ruhe die Zeitung liest. Der Museumsbesuch als bürgerliche Pflichtübung – gegen diesen Albtraum wehrten sich nach 1945 vor allem die Künstler. Daniel Spoerri entwarf 1977 für das Centre Pompidou ein Musée Sentimental, in dem die Objekte nach ihrem (ironischen) Gemütswert ausgewählt werden; zwei Jahre später zeigte Spoerri eine kölsche Variante in Wulf Herzogenraths Kunstverein, die nun wiederum eine auf Wallraf gemünzte (und von Marie-Louise von Plessen eingerichtete) Variante nach sich zieht.

Gedanklicher Höhepunkt von „Museum der Museen“ ist der „Museumszirkus“ nach John Cage – eine Ausstellung innerhalb der Ausstellung, für die insgesamt 17 Kölner Museen jeweils drei zufällig ausgewählte Objekte aus ihrer Sammlung beisteuerten. Auch die Hängung folgte dem Zufallsprinzip, wobei das dafür angewandte Computerprogramm offenbar vom schulpflichtigen Sohn der Kuratorin stammt; etwas unkonventionell, aber Cage hätte das mutmaßlich gefallen.

Am Schluss des Rundgangs steht die Vision eines ortlosen Museums. André Malraux verwirklichte es bereits 1950 zwischen zwei Buchdeckeln, der Medienkünstler Ingo Günther findet es im Wallraf in der Verknüpfung digitaler Museumspräsenzen. Dabei ist die Kölner Meta-Ausstellung das beste Argument für das Museum als analoger Ort. Wo wird man sonst so leicht und schnell bewundernswert klug?