„Moonage Daydream“Warum Brett Morgen sterben musste, um seinen Bowie-Film zu beenden
London – Brett Morgens erstes Treffen mit David Bowie verlief nicht so, wie es der Regisseur von „Moonage Daydream“ erwartet hatte. „Das war 2007 in seinem Büro in der 57. Straße in New York“, erinnert sich der Kalifornier, dessen Dokumentation über den flüchtigsten aller Rockstars ab Donnerstag im Kino läuft: „Bowie trug eine Art Armeejacke und darunter ein Hemd mit V-Ausschnitt. Er schien mir gesund und in guter Form zu sein.“
Der zurückgezogen lebende Brite lobte „The Kid Stays in the Picture“ – der Film über den legendären Produzenten Robert Evans war Morgens Durchbruch in Hollywood. Bowie kannte auch Morgens neuestes Werk, „Chicago 10“ – eine animierte Doku, die gerade das Sundance Festival eröffnet hatte. Aber die lobte er nicht: „Ich fand Ihren Film furchtbar“, eröffnete Bowie dem verdutzten Brett Morgen und nahm dessen Werk Stück für Stück auseinander.
„Er tat das nicht feindselig, sondern ziemlich eloquent“, erzählt Morgen. „Heute denke ich, er hatte Recht, aber damals war ich verärgert. Als Coco, seine Assistentin, sich an mich wandte und fragte, was mein Lieblings-Bowie-Album sei, sagte ich: Nun, um ganz offen zu sein, hat mir nichts gefallen, was du seit „Scary Monsters“ gemacht hast. David schaute mir direkt in die Augen, hielt einen Finger an sein Gesicht und sagte: »Touché«.“
Seine flapsige Meinung über Bowies Spätwerk hat er später gründlich revidiert, sagt Morgen: „Heute ist »1. Outside« [von 1995] mein Lieblingsalbum.“
Dass dieses Treffen ergebnislos verlief, lag freilich weder an der wechselseitigen Schmähkritik, noch an Morgens exaltierter Filmvision, in der Bowie sich als ausgebrannte Version seiner selbst spielen sollte, die sich nach „Ziggy Stardust“ auf ihren Lorbeeren ausgeruht hatte und schließlich während einer Zwei-Uhr-nachts-Vorstellung in einer Berliner Spelunke Suizid begeht. Nein, es lag einzig an Bowies damaligen Unwillen, wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu treten. „Ich bin froh, dass wir das nicht gemacht haben“, sagt Brett Morgen heute.
Unbegrenzter Zugang zu David Bowies Archiv
Doch musste er Bowie bei dieser Begegnung nachhaltig beeindruckt haben, sonst wäre er wohl nicht der erste (und einzige) Regisseur geworden, dem die Nachlassverwalter unbegrenzten Zugang zu seinem gewaltigen Archiv gewährten. „David hat schon von jungen Jahren an alles aufbewahrt“, sagt Morgen, „In den letzten 20 Jahren seines Lebens hat er auch noch Stellvertreter zu Auktionen geschickt, um anonym Sachen aufzukaufen.“
Morgen brauchte allein ein Jahr lang, um sich durch die Fülle des Materials zu kämpfen, er las alles Bücher die über Bowie erschienen waren, jeden akademischen Aufsatz. Und dann – wäre er beinahe gestorben: „Ich hatte einen massiven Herzinfarkt, ironischerweise auf den Tag genau ein Jahr nach Davids Tod. Minutenlang stand mein Herz still, eine Woche lang lag ich im Koma.“
Wenn ein Marvel-Film plötzlich egal ist
Er musste sein Leben ändern. Aber das sah Brett Morgen zuerst gar nicht ein. „Die ersten Worte, die ich nach dem Erwachen an den Chirurgen richtete, waren, dass ich am Montag unbedingt wieder am Set sein muss. Er sagte: »Sie gehen nirgendwo hin.« Und ich: »Sie verstehen das nicht, ich führe Regie bei einem sehr wichtigen Pilotfilm für Marvel.« Der Chirurg antwortete: »Es ist egal, was die machen, Sie haben Glück, dass Sie noch leben.«“
Diese Einsicht stellte sich bei Morgen erst nach und nach ein, doch plötzlich sprach der tote Rockstar, von dem er so viel gesehen und gehört hatte, ohne zu verstehen, anders zu ihm: „Ich begann endlich, Bowie in mein Gehirn aufzunehmen. Nur wenige Künstler haben so offen über ihre eigene Sterblichkeit gesprochen. Er hat von Anfang an verstanden, dass das Leben kurz ist und uns nur diese begrenzte Zeit bleibt, etwas zu tun. Also wollte er das Leben zu einem Abenteuer machen. Jeder einzelne Moment bot ihm die Gelegenheit zu einer Geste, zu einer Begegnung mit anderen Menschen.“
Im Film sehen wir Bowie in Interaktion mit frenetischen Fans und unterkühlten TV-Interviewern, die ihn eher als durchgeknallten Außerirdischen vorführen, denn verstehen wollen. Doch egal, wie töricht die Fragen ausfallen (oder wie viel Kokain gerade durch seine Blutbahnen rauscht), der Star bleibt stets höflich, interessiert am Austausch von Ideen. Weiser in seiner Waghalsigkeit als diejenigen, die ihn partout auf ein Image, oder eine Aussage festnageln wollen.
Die „Ch-ch-changes“ von den Bowie schon sang, bevor er Ziggy Stardust wurde, sie ergeben sich wie von selbst, wenn man es einmal verstanden hat, der eigenen Vergänglichkeit zu lauschen.
Wie die Stimme Gottes
„Bowie war der erste Künstler, von dem ich mir mit 12 oder 13 selbst ein Album gekauft hatte“, sagt Morgen, „er hat mich von der Pubertät zur Selbsterkenntnis begleitet. Das ist als Einfluss schon gewaltig. Aber plötzlich bin ich 47 Jahre alt und er spricht wieder zu mir und es ist wie die Stimme Gottes.“ Und was spricht der Gott? „Zum Beispiel einen Satz wie diesen hier: » Der Moment, in dem du erkennst, dass du mehr Tage schon erlebt, als noch vor dir hast, ist der Moment, in dem du wirklich anfangen kannst, dein Leben zu leben.«“
Was Brett Morgen noch von David Bowie gelernt hat? „Dass Kunst nicht perfekt sein muss. Dass die beste Arbeit nie dort gelingt, wo man es sich allzu bequem gemacht hat. Dass man auf die glücklichen Zufälle hören sollte.“ „Moonage Daydream“ ist bis zum Bersten gefüllt mit glücklichen Zufälle und überraschenden Querverbindungen.
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Wie durch ein Wurmloch wird der Zuschauer ins Bowieversum gezogen, immersiv wirkt zumal das überragende Sounddesign. Egal, wie oft man seine Alben aufgelegt oder angeklickt hat, so hat man Bowie noch nie gehört.
Erklärt wird dagegen so wenig wie möglich: Sein Film, sagt Brett Morgen, sei keine Biografie. Die würde von David Jones erzählen, „ein privater Mensch, der sich erst gegen Ende seines Lebens ein wenig zu erkennen gab“. Der Filmemacher aber interessiert sich für David Bowie, das Enigma. „Ich wollte ein Filmerlebnis schaffen, das so geheimnisvoll und erhaben und eindringlich und alles verbindend ist, wie Bowie selbst.
„Moonage Daydream“ läuft ab dem 15. September im Kino