AboAbonnieren

Moritz Bleibtreu über sein Regiedebüt„Schlaf ist das beste Kino“

Lesezeit 7 Minuten

Moritz Bleibtreu in Cortex

  1. Der Schauspieler Moritz Bleibtreu hat zum ersten Mal selbst Regie geführt und auch das Drehbuch zum Thriller „Cortex“ geschrieben.
  2. Es geht um eine Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, in der nichts mehr sicher scheint.
  3. Im Interview verrät er, welche drei Dinge es für einen guten Film braucht, worin Steven Spielbergs Erfolgsgeheimnis liegt und was er an den Filmen Christopher Nolans bewundert.

Köln.Herr Bleibtreu, Sie sind einer der beliebtesten Schauspieler Deutschlands und haben in über 90 Kino- und Fernsehfilmen mitgespielt. Jetzt, mit 49 Jahren, führten Sie zum ersten Mal Regie. Wie kam es zu diesem Wunsch, selbst zu inszenieren?

Den gab es eigentlich schon immer. Ich habe mich schon immer für Dramaturgie interessiert. Sprache hat mich immer begeistert. Ich spreche selbst fünf Sprachen. Ich habe ein gutes Ohr für Dialekte und Akzente. Meine Mutter hat mich oft in Diskussionen über Dramaturgie involviert und mit mir im zarten Alter von sechs über Macbeth gesprochen. Ich war bei ihren Proben im Schauspielhaus dabei und fragte: „Mama, warum machen die das jetzt so?“ Dadurch habe ich sehr für ein Verständnis für Dramaturgie entwickelt. Als Jugendlicher habe ich viel geschrieben, Gedichte, Theaterstücke, Scripts. Es hat aber sehr lange gedauert, bis ich mich an „Cortex“ festgebissen hatte.

Warum?

Zeitgleich habe ich an mehreren Sachen geschrieben. Es ist es schwer gefallen zu sagen: Was ist es, was ich erzählen will? Dann kam „Cortex“. Ich weiß gar nicht so sehr, warum. An der Basis liegt natürlich die Frage: Wer bin ich? Wer ist der andere? Wo bin ich in dem anderen? Das ist ja mein Beruf, ich werde dafür bezahlt, so zu tun, als wäre ich ein anderer. Gleichzeitig ist es aber auch sehr elementar: Wer sehnt sich nicht manchmal danach, ein anderer zu sein. Das Glück, nachdem wir alle streben, liegt so sehr darin verankert, sich zu finden und zu wissen: Was macht mich glücklich? Ist es wirklich das, was ich wollte? Das ist das Problem, dass wir in unserer westlichen Welt mit all diesen Entscheidungsmöglichkeiten haben.

Bevor ich den Falschen caste, spiele ich die Rolle lieber selbst

Sie haben das Drehbuch geschrieben, Regie geführt, produziert und die Hauptrolle übernommen. Wie kriegt man das alles unter einen Hut?

Das war nicht gewollt. Ich habe den Film geschrieben und wollte ihn natürlich inszenieren. Produzieren liegt nahe, weil man an dem Projekt dran sein muss. Spielen wollte ich nicht. Mein großer Fehler: Ich habe beim Schreiben keinen Schauspieler im Kopf gehabt. Ich habe die Geschichte ins Blaue hineingeschrieben. Dann habe ich gecastet, und es gab nicht diesen Moment, wo ich dachte: Das ist er! Bevor ich jemanden nehme, bei dem ich wüsste, dass es der Falsche ist – dann lass ich mir lieber vorwerfen, dass es falsch war, mich selbst zu nehmen. Dann war klar, ich brauche jemanden, auf den ich mich stützen kann. So kam Thomas W. Kiennast ins Spiel. Er ist ein Allround-Filmemacher mit einem riesigen Erfahrungsschatz. Ohne ihn wäre es nicht gegangen. In den Momenten, wo ich spiele, also vor der Kamera bin, habe ich die Regie komplett abgegeben. Ich habe es auch nicht mehr korrigiert oder angeschaut. Wenn man gute Leute hat, muss man als Regisseur nicht mehr so viel machen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie schwierig war es denn, das Drehbuch zu schreiben. Ich frage, weil ich als unvorbereiteter Zuschauer in den Film hineingeworfen wurde, mit Episoden, die sich wiederholen, unter Umständen mit anderen Ausgängen, mit Szenen, die sich als Traum entpuppen. Es gibt also mehreren Ebenen, die man als Autor ja in eine gewisse Ordnung bringen muss.

Ja – das war kompliziert. Ich schreibe erst immer auf Schnitt – wie ein Zwölfjähriger, der beim Dreh in der Kamera schneidet. Ich muss dann die einzelnen Erzählstränge in die einzelnen Zeitachsen bringen, das heißt die einzelnen Stränge ausschreiben. Das, was in Anführungszeichen so „verwirrend“ wirkt, so willkürlich vielleicht, geht nur, wenn man genau weiß, wo man ist. Das war eine Fleißaufgabe. Ich mag das aber, auch in der Literatur. Ich mag falsche Fährten, klassische Whodunits, ich mag das Mitdenken, wenn mich Stoffe fordern, nicht nur narrativ-dramaturgisch – auch visuell. Eine Initialzündung war sicherlich „Memento“. So etwas wollte ich gern mal versuchen. Es gibt natürlich dieses Verständnisproblem: Kann man dem Zuschauer das zumuten? Das war eine ständige Diskussion.

Zur Person

Moritz Bleibtreu, geboren 1971, entstammt einer Schauspielerfamilie, seine Mutter ist die Theater- und Filmschauspielerin Monica Bleibtreu. Er stand bereits als Kind vor der Kamera, bekannt wurde er in den 90er Jahren mit Filmen wie „Knockin’ on Heaven’s Door“, und „Lola rennt“; mit dem Regisseur Fakih Akin drehte er vier Kinofilme.

Mit dem Thriller „Cortex“ feiert Bleibtreu sein Regiedebüt. Er schrieb auch das Drehbuch und spielt die Hauptrolle. Der Film läuft am 22. Oktober in den deutschen Kinos an.

Schlaf, Schlaflosigkeit, Träume, Wahrnehmung – was hat Sie an diesem Themenkomplex so sehr interessiert? Es kommen auch Fachbegriffe wie „Begleitertraum“, „Klartraum“ und „Realitätscheck“ vor, was darauf hindeutet, dass Sie sich mit alldem sehr befasst haben.

Ja – das ist eine faszinierende Materie. All das gibt es tatsächlich. Es gibt Menschen, die von sich behaupten, dass sie sich selbst im Traum führen und steuern können. Sie träumen sich nachts um zwölf Mal eben an den Strand von Jamaika, mit dem Caipirinha in der Hand. Ich bin ein sehr neugieriger und wissbegieriger Mensch. Schlaf habe ich oft als etwas Unnötiges empfunden. Gleichzeitig ist es aber auch das ultimative Kino. In dem Moment, wo wir einschlafen und dieser Vorhang aufgeht, sehen wir einen Film, den wir selber geschrieben haben, und wir wissen nicht, warum. Rein wissenschaftlich betrachtet, weiß man über Traumzustände weniger als darüber, wie es auf dem Mars aussieht. Dabei liegt es uns so nahe und beschäftigt uns so sehr.

Da gibt es ja diese schöne Szene, wo Sie in den Spiegeln gucken und Jannis Niewöhner zurückblickt. Als Zuschauer muss ich mich ja auf das verlassen, was ich sehe. Also frage ich mich: Haben die beiden den Körper getauscht?

Der Film macht etwas sehr Einfaches: Wir kündigen die Träume nicht an. Normalerweise beginnen Traumsequenzen unscharf und verschwommen, oder sie sind Schwarz-weiß in einem Farbfilm. So viel geben wir dem Zuschauer nicht, es ist Eins zu Eins, wie im wirklichen Leben. Es ist nicht zu unterscheiden von einem Traum. Das macht sie ja so beängstigend. Gleichzeitig haben wir nach Mitteln gesucht, diesen Bodyswitch begreiflich zu bebildern. Da mussten wir viel fummeln. Und gleichzeitig verwirren. Wir legen die beiden Köpfe in einer Szene übereinander, plötzlich ist nur Jannis da. Logisch betrachtet ist es genau das, was passiert: Zum ersten Mal sieht er sich. Und dann sieht er den anderen.

Beim Sounddesign hat man ständig das Gefühl, als würde gleich alles zusammen brechen. Haben Sie eng mit dem Sounddesigner zusammen gearbeitet?

Nein, gar nicht. Ich bin eher einer, der anderen Mitarbeitern einen großen Raum lässt. Es gibt zwei Arten von Regisseuren: Es gibt die, alles so machen, wie sie es wollen. Helmut Dietl zum Beispiel hat en detail alles so gemacht, wie er es wollte. Es interessierte ihn nicht, ob jemand noch eine Idee hatte. Es wird so gemacht, wie er es will. Spiel, Interpunktion – er hat mich sogar Bindestriche mitspielen lassen.

Man braucht drei Dinge für einen guten Film

Nervt das?

Nein, mich nervt das überhaupt nicht. Das ist eine Herangehensweise. Wenn er das so will, dann bin ich sein Werkzeug. Dann gibt es andere Regisseure, etwa Steven Spielberg, den ich bei „München“ mal gefragt habe: „Wie machen Sie es.“ Er antwortete: „Ich mache gar nichts. Ich engagiere die besten Leute auf der Welt und sage ihnen, wie großartig sie sind.“ Und dann machen die. Und Spielberg steht da und raucht seine Zigarre. Und alles läuft. Was man braucht, ist, wie Billy Wilder gesagt hat: „Drei Dinge für einen Film: ein gutes Buch, ein gutes Buch und ein gutes Buch.“ Wenn man das hat, hat man schon ein starkes Rückgrat. In der Tradition würde ich mich gerne sehen. Ich gebe erst einmal ab, dann gucke ich was kommt. Wenn sich das überhaupt nicht vereinbaren lässt für meinen Film, dann muss ich handeln. Meistens ist es aber so, dass das, was mir zugetragen wird, das Ganze nur noch reicher macht.