Der Pianist Alexandre Kantorow belebte Rachmaninows Werk kraftvoll in der Philharmonie.
Münchner Philharmoniker mit Kantorow und SokhievDie Lebensgeister der russischen Romantik
Niccolò Paganini ist der Ahnherr aller romantischen Virtuosität. Mit der Figur des Genueser „Teufelsgeigers“ verbindet sich die Idee einer das Menschenmaß übersteigenden, ins Dämonische ausgreifenden Instrumentalkunst. Zum tönenden Emblem wurde dabei Paganinis 24. Violincaprice, die viele Komponisten zur Grundlage eigener Werke machten. Dieser Tradition fügte Sergej Rachmaninow in seiner Paganini-Rhapsodie von 1934 eine weitere Facette hinzu: Er stellt dem berühmten Paganini-Thema das Dies-Irae-Motiv der christlichen Totenliturgie zur Seite; der virtuose Tastenzauber wird zum furiosen Totentanz.
Dass er zugleich auch ein rauschendes Lebensfest ist, daran ließ Alexandre Kantorow in der Philharmonie keinen Zweifel. Der französische Pianist war in der letzten Spielzeit Artist in Residence des Gürzenich-Orchesters und hat hier mit seiner überragenden Spieltechnik und seinem hochdifferenzierten Klangsinn einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Auch diesmal bewunderte man die phänomenale Leichtgängigkeit, den lockeren Schwung, mit dem er sich in Akkordserien und Oktavkaskaden legte.
Messerscharfe Klarheit im Zusammenspiel
Dazu kam eine kompromisslose Klarheit in Struktur und Rhythmus, die ebenso auch bei Kantorows Musizierpartnern zu verzeichnen war. Unter Leitung von Tugan Sokhiev setzten die Münchner Philharmoniker Rachmaninows Partitur mit einem Höchstmaß an Brillanz und Abbildungsschärfe um; Klavierdiskant und Schlagzeug, Holzbläser und Streicher-Pizzicati funkelten und glitzerten um die Wette. Als Alexandre Kantorow mit dem Tablet in der Hand zur Zugabe schritt, hätte man eher erwartet, eine Rarität oder Novität zu hören - tatsächlich spielte er, mit geradezu impressionistischer Delikatesse ausgekostet, das Intermezzo op. 117/1 von Johannes Brahms.
Spuren des Ex-Dirigenten
Was den Sinn für die spezifischen Klangwerte der russischen Romantik betrifft, zehren die Münchner Philharmoniker offenkundig noch von der Arbeit mit Valery Gergiev, der 2022 aufgrund seiner Putin-Nähe als Chefdirigent geschasst worden war. Tugan Sokhiev, der damals Leitungspositionen in Moskau und Toulouse hatte, gab im gleichen Jahr beide Jobs auf; er wollte sich nicht vereinnahmen und zur Entscheidung zwischen Ost und West zwingen lassen. Auf dem Podium sind Fragen der Politik und Moral indes denkbar weit entfernt - vor allem, wenn man sich populären Tongemälden aus der Märchenwelt widmen kann.
In vollem Saft und mit ungewöhnlicher Trittfestigkeit kam Michail Glinkas sturmwirbelnde Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmila“ daher, die in Tugan Sokhievs Händen einmal nicht wie russischer Rossini klang. Dem ossetischen Maestro gelang es auch, Nikolai Rimskij-Korsakows „Scheherazade“-Suite viel von ihrer statisch-blockhaften Faktur zu nehmen. Neben den flexiblen und entwicklungsfreudigen Tempi trugen dazu auch die mit maximaler gestischer Freiheit ausgeführten Soli bei. Neben der Konzertmeisterin wurden vor allem Flöte und Fagott vom Publikum stürmisch gefeiert; alle zusammen fegten mit dem Trepak aus Tschaikowskys „Nussknacker“ temperamentvoll aus.