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WDR Sinfonieorchester unter Cristian MăcelaruTriumph mit dem Keim des Zerfalls

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Altistin Sasha Cooke

Altistin Sasha Cooke

Das WDR-Sinfonieorchester begeisterte unter Chefdirigent Christian Măcelaru mit Mahlers dritter Sinfonie.

Im Anfang war die Sinfonie wüst und roh. Versprengte Brocken knallten unvermittelt aufeinander wie Kometentrümmer. Hier rufen acht Hörner im Unisono, dort schneiden scharfe Trompetenfanfaren dazwischen. Auf dunkle Trauermärsche und dumpf grollende Trommeln folgen wild auffahrende Läufe der Bässe, aufjauchzende Sehnsuchtsmotive, silberhelle Choralzeilen der Flöten. Nichts davon passt zusammen. Erst ein Marschthema nimmt Gestalt an und gibt dem Stückwerk Richtung und Ziel. Immer mehr Orchestergruppen reihen sich dem Gleichschritt ein und steigern das Thema zu gewaltiger Kraft. Doch der Triumpf ist voreilig, denn er trägt den Keim des Zerfalls in sich und bekommt schnell Risse. Die fröhlichen Triller sind allzu grell und das siegesgewisse Dur verkehrt sich zu düsterem Moll. Der Marsch zerfällt und übrig bleibt nur wieder das erratische Geröll des Beginns.

Mahlers dritte Sinfonie: Ungeheure Monumentalität

Gustav Mahlers dritte Sinfonie ist von ungeheurer Monumentalität. Das 1902 in Krefeld unter anderem von Teilen des Gürzenich-Orchesters uraufgeführte Werk dauert einunddreiviertel Stunden und sehr groß besetzt. Der mehr als halbstündige erste Satz ist so lange wie eine ganze Sinfonie von Haydn oder Mozart. Die hier montierten Gegensätze bauen Spannungen auf, die in den fünf nachfolgenden Sätzen einen ganzen Kosmos bilden. Denn die dort als versprengte Findlinge aufschlagenden Motive entfalten erst dann ihre eigentliche Bedeutung. Nach dem gewaltigen Erwachen der Natur im Kopfsatz „erzählen“ die folgenden Sätzen laut Mahlers später verworfenem Programm von den „Blumen auf der Wiese“, den „Tieren im Walde“, dem „Menschen“, den „Englein“ und schließlich von der „Liebe“ als göttlich-kosmischem Prinzip.

Mahlers Musik lädt zur Identifikation ein

Die erstaunliche Popularität von Mahlers Sinfonik – beide Aufführungen der Dritten durch das WDR Sinfonieorchester waren ausverkauft – erklärt sich nicht zuletzt dadurch, dass wir heutigen Menschen uns immer noch in dieser hochgradig zerrissenen Musik wiedererkennen können. Wie Mahler um 1900 in der zerbrechenden K. und K. Monarchie, leben wir heutigen in einer ebenso von sozialen, politischen, ökonomischen, kriegerischen und ökologischen Krisen hochgradig gestressten Zeit. Mahlers Musik lädt ein zur Identifikation sowohl mit der in ihr ausgedrückten Verzweiflung als auch mit der darin ebenso stark manifesten Hoffnung auf Versöhnung, Rettung bzw. – was die vielen Choralthemen nahelegen – christologische Erlösung. Und ebenso verführt das wunderbare „Posthorn-Solo“ des dritten Satzes – nicht umsonst „Scherzando“ betitelt – zu eskapistischem Rückzug vor allen Konflikten in nostalgische Vergangenheit und alpenländisches Idyll.

WDR Sinfonieorchester unter Măcelaru überzeugte

Der vierte Satz mit dem von Altistin Sasha Cooke eindringlich gesungenen „O Mensch“ auf das „Nachtwanderlied“ aus Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ spricht von Pein und Lust, und auch damit noch heute jeden Menschen direkt an. Das glockenhelle „Bim Bam“ der Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik sowie der Damen des WDR-Rundfunkchors im fünften Satz nimmt volkstümlich-heiter die Erlösungssehnsucht vorweg, die dann im Finale in demütigem Pianissimo als rein instrumentaler Gesang der Streicher anhebt, um schließlich eine überbordende Apotheose durch Trompeten, Posaunen, Hörner und das große Tutti zu erfahren. Alle Sehnsucht der Menschheit nach Frieden mit sich und der Welt scheint hierin zu kulminieren. Das WDR Sinfonieorchester unter Leitung von Chefdirigent Cristian Măcelaru begeisterte in jeder Phase von Mahlers riesenhaftem Werk mit exzellenten Einzelleistungen der vielen Bläsersolisten, mit fantastisch weichem Streichersatz und großartig strahlendem Gesamtklang. Dafür gab es zu recht frenetischer Beifall.