AboAbonnieren

Museum für Ostasiatische KunstMit Tanaka Ryōhei in ein Japan der stillen Perfektion

Lesezeit 5 Minuten
Der Innenhof des Museums für Ostasiatische Kunst in Köln

Der Innenhof des Museums für Ostasiatische Kunst in Köln

Das Kölner Museum für Ostasiatische Kunst zeigt die erste deutsche Werkschau des japanischen Grafikers Tanaka Ryōhei.

Auf den ersten Blick scheint die Welt des japanischen Grafikers Tanaka Ryōhei (1933-2019) klein und eng zu sein. Sie umfasst vor allem reetgedeckte Dächer, kahle Bäume und alte Holzhäuser. Selten weiten sich diese mit verblüffender Detailtreue festgehaltenen Augenblicke zur bescheidenen Fläche eines Dorfplatzes oder eines winterlichen Felds. Den Horizont verbannte Ryōhei so gut es geht aus seiner Kunst: Wer weiß schon, welcher störende Lärm dahinter wartet?

Eine andächtige Stille liegt über der Welt dieses in Deutschland weitgehend unbekannten modernen Meisters. Es ist eine Stille, die uns vor seinen Bildern innehalten lässt, wie einen Spaziergänger, der am Wegesrand die Gegenwart eines scheuen Tiers erahnt. Dabei erlaubt Tanaka Ryōhei kaum einmal einer Katze, durch seine grafischen Wunderwerke zu streifen. Hier und da ziehen Vögel am Himmel vorüber oder nisten sich in einer Baumkrone ein. Ansonsten hält er sich von allem „Erzählerischen“ fern.

Es ist nicht so, dass die Zeit auf diesen Blättern stillstehen würde. Aber sie vergeht langsamer

Es ist nicht so, dass die Zeit auf diesen Blättern stillstehen würde. Aber sie vergeht langsamer. Sie dehnt sich, wie unter dem Blick eines Wanderers, der kaum vorankommt, weil er auf Schritt und Tritt im scheinbar Bekannten etwas Unerwartetes entdeckt. Tatsächlich besuchte Ryōhei für seine Motive immer dieselben Dörfer nahe der Stadt Kyoto. Er blieb den spärlicher werdenden Reetdächern über 50 Jahre hinweg treu und kehrte doch nie mit dem gleichen Bild im Kopf zurück. Sein Talent lag darin, in der Beschränkung eine unbegrenzte Vielfalt zu erkennen.

Jetzt präsentiert das Kölner Museum für Ostasiatische Kunst die erste deutsche Ausstellung zu Tanaka Ryōhei – und zugleich die umfangreichste, die es bislang in Europa zu ihm gegeben hat. Die 155 Radierungen stammen vorwiegend aus der Sammlung des niederländischen Kurators und Grafikers Chris van Otterloos (er war ein Meisterschüler Ryōheis), etwa ein Drittel der Leihgaben steuerte die Familie des vor fünf Jahren verstorbenen Künstlers bei. 14 weitere Blätter bleiben als Schenkungen in Köln; sie liegen in der von Bas Verberk chronologisch geordneten Werkschau in Vitrinen aus.

Ryōheis Liebe zur Radierung stand quer zur Tradition der japanischen Farbholzschnitte

Bereits die ersten, in den 1960er Jahren entstandenen Radierungen scheinen in eine „typisch“ japanische, in meditativer Stille liegende Gegenwelt zu führen. Wir sehen einen Tempel im Mondlicht, die Dachkränze einer Pagode und ein vom Regen beschwertes Reetdach; die Details sind so fein herausgearbeitet, als sähe man eine lange belichtete Fotografie vor sich, und zugleich fügen sich die grafischen Gegensätze von Linien, Strichen und Schraffuren zu einer gelassenen Harmonie.

Bald lernt der Besucher allerdings, dass Ryōheis Liebe zur Radierung (und in gewisser Hinsicht auch sein Werk) quer zur Tradition der japanischen Farbholzschnitte stand. Während die berühmten Bilder eines Hokusai von spezialisierten Handwerkern in Holzblöcke geschnitten wurden, ritzte oder ätzte Ryōhei seine Motive selbst in Platten aus Eisen, Kupfer oder Zink, wie es schon Rembrandt getan hatte. In Japan galt die Radierung daher lange als eingewanderte „Hollandstudie“, in besonders nationalistischen Zeiten wurde ihre Verbreitung mitunter unterdrückt.

Allzu hoch angesehen war die Radierung auch nach 1945 in Japan nicht. Ryōhei fand zu ihr auf dem zweiten Bildungsweg, während er sein Geld als Designer von Kimonos verdiente. Auf der Abendschule bemerkten seine Lehrer bald, dass sie diesem mit einer Engelsgeduld ausgestatteten Hochbegabten nichts mehr beibringen konnten. Bereits seine ersten grafischen Versuche wurden erfolgreich ausgestellt und innerhalb weniger Jahre auch in den USA und Australien gezeigt. In Europa kam er über den Status eines Geheimtipps hingegen nie hinaus. Als Chris van Otterloo 2019 die Arbeiten Ryōheis im niederländischen Leiden präsentierte, staunte auch die Fachwelt über deren detailversessene und gleichzeitig mühelos wirkende technische Meisterschaft.

Ein frühes Meisterstück schuf Ryōhei mit einem der herbstlichsten Frühlingsbilder der Kunstgeschichte

Ein frühes Meisterstück schuf Ryōhei mit einem der herbstlichsten Frühlingsbilder der Kunstgeschichte. Es zeigt ein dunkel gestricheltes Reetdach mit der Andeutung eines Ziegeldachs darunter und kahlen Ästen darüber, die den grauen Himmel bis an die Bildränder durchziehen. Statt einer Frühlingserzählung vom Erblühen der Natur zeigt uns Ryōhei eine Welt, die sich aufs Schönste in ihrer grafischen Oberflächenstruktur erschöpft. Otterloo nennt es das „Mosaik der Landschaft“.

In der Radierung entsteht die Wirklichkeit aus tausenden winzigen Ritzungen, weshalb es nur folgerichtig ist, bereits die dargestellte Wirklichkeit als Komposition aus Strichen, Linien und Hell-Dunkel-Kontrasten zu verstehen. Diese fand Ryōhei in den alten Dörfern, deren Baumaterialien, Schilfrohr, Steine, Holz und Ziegel, für ihn jedoch mehr waren als bloße Bausteine seiner Kunst. Er sah die Poesie all der alten Reetdächer und ihre Verbindung mit der Natur. Und er wollte die alte Handwerkskunst preisen, indem er sie an Kunstfertigkeit noch übertraf.

Zu dieser Kunstfertigkeit gehörte, dass Ryōhei selten mehr als 100 Blätter mit einer Druckplatte produzierte; danach machte er die Platte unbrauchbar. Seine Radierungen entstanden nach Skizzen, die für ihn aber lediglich Eselsbrücken zu seinen eher im Fiktiven angesiedelten Ansichten und Landschaften waren. Ryōhei dachte seine Arbeit vom Ende her. Alles war auf die fertige Grafik ausgerichtet, die Zeichnungen, die ihr vorausgingen, betrachtete er nicht als Kunst.

Die Andacht auf Ryōheis Dörfern verdankt sich nicht zuletzt der Abwesenheit ihrer Bewohner. Dabei war der Künstler zwar scheu, aber kein Menschenfeind, versichert Otterloo. Seine Dörfer sind menschenleer, weil die Menschen die Felder bestellen. Sie kehrten zurück, wenn sie ihre Arbeit beendet hatten und für Tanaka Ryōhei die seine begann.


„Tanaka Ryōhei – Von Linie zu Landschaft“, Museum für Ostasiatische Kunst, Universitätsstr. 100, Köln, Di.-So. 11-17 Uhr, 30. November 2024 bis 13. April 2025. Der Katalog zur Ausstellung kostet 48 Euro.