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Neue Ausstellung im Kölner Museum LudwigKeine Demokratie ohne freie Geister

Lesezeit 4 Minuten
  1. Das Kölner Museum Ludwig tritt in der neuen Ausstellung „John Dewey, who?“ mit 50 Arbeiten aus seiner Sammlung in den Dialog mit der Gegenwart.
  2. Darunter finden sich viele Neuerwerbungen, die noch nie gezeigt wurden.
  3. Unsere Ausstellungskritik.

Köln – Den „Kiosk“, von dem man im Untergeschoss in Empfang genommen wird, haben Peter und Irene Ludwig bereits 1994 erworben. Der in Paris lebende Chinese Huong Yong Ping beweist mit der Installation prophetische Qualitäten. Die Magazine und Wochenblätter, die hier angeboten werden, haben ihr Verfallsdatum längst überschritten. Von einem Betonmischer zum Papiermatsch degradiert, warten sie vergebens auf Abnehmer.

Auch wenn der Künstler bei der Herstellung dieses Abgesangs auf den Print-Journalismus vermutlich auf die Pressezensur in seiner Heimat abzielte, muss man sogleich an die gegenwärtige Zeitungskrise denken – ein idealer Fall einer Kunst also, die gesellschaftliche Fragestellungen aufgreift und die Fantasie des Betrachters aktiviert.

John Dewey als Ausgangspunkt für neue Ausstellung

Das will auch die frisch sortierte Präsentation der hauseigenen Gegenwartskunst erreichen. Die Kuratorinnen Barbara Engelbach und Janice Mitchell nehmen mit rund 50 Arbeiten, darunter viele noch nie gezeigte Neuerwerbungen, Bezug zu aktuellen Debatten, die in der Pandemie-Zeit eine besondere Dringlichkeit erfahren haben. Als inspirierenden Ausgangspunkt hat das Duo die Philosophie und Pädagogik von John Dewey gewählt.

Wer eine diskurslastige Überhöhung befürchtet, darf aufatmen, denn dem pragmatischen US-Amerikaner lag nichts ferner als die Realität der Straße zu ignorieren. „Die Isolierung und starre Abgeschlossenheit einer Bande oder Clique“, schrieb er, „zeigt und verstärkt zugleich ihren antisozialen Geist.“ Nur einer von vielen Sätzen, die einen Pfeil in die heutige von lautstark ausgetragenen Interessenkämpfen geprägte Epoche schießen.

Erziehung sollte auf Demokratie vorbereiten

Der 1952 verstorbene Dewey hat sich für eine Schulerziehung engagiert, die auf die Demokratie vorbereiten sollte, womit er eine Gesellschaft meinte, die es zulässt, auch mal in Frage gestellt zu werden. Wissen als Gegenmittel zur Toleranz gefährdenden Ignoranz hielt er ebenso hoch wie das Sammeln und Auswerten von Erfahrungen. Und wo kann man nachhaltigere Erfahrungen machen als in der Kunst?

Für Dewey war sie nichts weniger als Teil des demokratischen Prozesses. Sie sollte im Betrachter, der für ihn nur als freier Geist zu denken war, etwas auslösen und ihn zur Diskussion animieren. Da verwundert es nicht weiter, dass seine Ideen in berühmten Kunsthochschulen wie dem Black Mountain College oder dem California Institute of the Arts aufgegriffen wurden.

Eine Archivpräsentation lädt entlang von biografischen Tafeln dazu ein, sich in das Wirken des weit gereisten Denkers zu vertiefen, der in Japan, China und in der Türkei Spuren hinterlassen hat. Damit nicht nur eine Stimme dominiert, äußern sich einige der ausgestellten Künstler über ihre studentische Lehrzeit, darunter auch Kerry James Marshall, der mit dem 2014 angekauften Gemälde „Vignette # 15“ vertreten ist.

Grassierende Überwachungskultur thematisiert

Der Afroamerikaner kritisiert die Dominanz weißer Körper in der westlichen Kunstgeschichte. Seine Bilder bieten eine Alternative für die Unsichtbarkeit der schwarzen Pendants. Von seinem Studium am Otis College in Los Angeles habe er mitgenommen, keine Angst vor Konflikten zu haben, denn jeder kämpfte dort für seine tiefste Überzeugung.

Die erkennt man auch bei Oscar Murillo auf Anhieb. Der Kolumbianer fordert in seiner tribünenartigen Installation „Collective Conscience“ dazu auf, Platz neben den lebensgroßen Puppen in Arbeitskleidung zu nehmen und bühnenreif simulierte Solidarität zu erleben.

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Oder bei Julia Scher, die sich 1991 Gedanken über die grassierende Überwachungskultur machte. Die Installation „Security by Julia X“ wirkt aus heutiger Perspektive fast rührend: Ein Empfangsschalter versucht sich in pinkfarbener Camouflage, auf den Monitoren flattern Bilder der Besucher im Wechsel mit Gewaltszenen, die sich in anonymen Hausgängen abspielen. In Zeiten unsichtbar agierender Gesichtserkennungssoftware glaubt man sich mit einem Relikt aus einer geradezu heilen Sicherheitszone konfrontiert.

Nicht so im Fall der zeitgleich entstandenen Arbeit „Blues and Pinks“ von Carrie Mae Weems. Sie verwendet Fotografien von Charles Moore, der als Dokumentarist der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre gilt. Zu sehen sind gegen Diskriminierung protestierende Schüler, flankiert von den brutalen Reaktionen der Polizei. Weems färbt das Geschehen in blau und pink und lässt die Motive fast aus den verdrehten Rahmen kippen. Eine erschütternde Flaschenpost und ein Beweis dafür, dass Kunst dank minimalster Verfremdung eine Brücke in die konfliktreiche Jetztzeit aufschlagen kann.

„John Dewey, who? Neupräsentation der Sammlung für Gegenwartskunst“ im Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10-18 Uhr.